Nora Bossong erzählt in “Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ vom Zusammenbruch eines Familienunternehmens.

Ein Mann, Mitte 50, hat keinerlei Antrieb mehr, was seine Firma angeht. Das Unternehmen ist ein Familienbetrieb, es wird jetzt in der dritten Generation von den Tietjens geführt. Aber Kurt Tietjen ist ein melancholischer Aussteiger, der seine innere Mitte verloren hat. Vielleicht hatte er sie aber auch nie. In Familienunternehmen werden Kinder für die Firma gezeugt, sie müssen ihr ihr Leben widmen. Von den Erben in einem ökonomischen Zielen verpflichteten Familienverbund wird erwartet, dass sie den guten Namen wahren. Familiendynastien wie die Quandts, die Jacobs oder die Krupps haben ihren Platz im kollektiven Gedächtnis des Landes; und aus der Literatur kennt jeder die Buddenbrooks.

Die 1982 in Bremen geborene Autorin Nora Bossong erfindet in ihrem dritten Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" eine in Essen ansässige Familie, die mit Textilproduktion reich geworden ist. Kurt Tietjen jr., der aktuelle Firmenchef, ist der Repräsentant des Familienunternehmens in seiner Dekadenzphase. So recht Lust auf die Aufgabe hatte er nie, und so ist sein plötzliches Verschwinden dann auch irgendwie lebenslaufmäßig konsequent. Er verlässt ein sinkendes Schiff, denn Tietjen & Söhne schreibt lange schon rote Zahlen. Von New York aus, wo er sich auf der Suche nach größtmöglicher Distanz zu seiner hochwohlgeborenen Herkunft im heruntergekommenen Redhook einmietet, torpediert er das Fortkommen seiner Firma nach Kräften, deren Chef er immer noch nominell ist.

Zu Hause in Essen schickt sich gleichzeitig Luise Tietjen an, eine junge Frau von Mitte 20, den Karren wieder flottzubekommen. Die Tochter des unternehmensmüden Alten schließt mit ihrer schnell erworbenen Starke-Frau-Attitüde an den Firmengründer Justus an: Der baute sein (bescheidenes) Imperium auf einen exklusiven Vertrag mit dem deutschen Heer. Sein kuscheliges Tuch sollte die weltkriegenden Wilhelm-Soldaten nach den Kämpfen im Schützengraben über die Härte des Feldzugs hinwegtäuschen.

Jahrzehnte später hat das Unternehmen 226 Mitarbeiter. Kein Global Player , aber doch immer auch mit dem Zug ins Große. Amerika kann der Ruhr-Clan allerdings nicht knacken - früher nicht und heute erst recht nicht. Was bleibt, ist die Handtuch-Versorgung Deutschlands.

Nora Bossong gilt als eine der vielversprechenden Autorinnen ihrer Generation, die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" listete sie kürzlich in ihrer "20 unter 40"-Auswahl. Das will ja was heißen. Und wenn man etwas an der Autorin loben kann, dann ist das ihr unbedingter Wille, Geschichten über unsere heutige Zeit zu erzählen (indem sogar die EU-Krise anzitiert wird). So, wie das in diesem Literatur-Herbst auch Rainald Goetz tut in seinem "Johann Holtrop". Die Goetz-Watschn für die moralisch verdorbene und zynische Wirtschaftskaste findet in Bossongs "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ihre Entsprechung: Natürlich ist auch das Modell des seit Generationen bestehenden, stolzen Familienunternehmens, wie es Bossong kaltherzig beschreibt, auf den Hund gekommen.

Dabei ist ihre Idee, dem realen Essener Stahlgiganten Krupp ("Hart wie Kruppstahl") einen fiktiven Frotteehersteller an die Seite zu dichten, zunächst einmal charmant. Und auch die Eingebung, dem Heer der deutschsprachigen Familienromane einen harten Anti-Familienroman entgegenzustellen, ist so schlecht nicht. Tietjen & Söhne ist der von Intrigen, Betrügereien und Krisen geschüttelte Betrieb der globalisierten Wirtschaftswelt: Kurt Tietjen ließ, bevor er sich desillusioniert aus dem Staub machte, seine Frotteeware in China produzieren - unter übelsten Bedingungen. Schmiergelder flossen unter seiner Federführung auch.

Das dunkle Sinnbild der Nöte und Zwänge eines Unternehmens, das sich großer Konkurrenz erwehren muss und dessen Erfolg fest mit dem guten Namen des Traditionsbetriebs verbunden ist, bietet die Schwester Kurts. Sie ist geschlagen mit einem Ehemann, der sich als Angeheirateter in die Machtzentrale der Firma geschlichen hat, und stürzt, emotional kaltgestellt, in den Wahnsinn. So kann man sich den Imperativen des Unternehmens auch entziehen.

Aber dem Roman mangelt es ein wenig am inneren Zusammenhang. Die harten Schnitte - die Geschichte wird in Zeit- und Ortsprüngen erzählt - haben Methode: Wir sollen es nicht mit einer psychologisch ausformulierten Erzählung zu tun bekommen. Oder etwa doch? Wenn dem so wäre, dann wäre Nora Bossong die Konstruktion tatsächlich um die Ohren zu hauen. Sie neigt auch dazu, das Zeigen einer gewissen Weltläufigkeit überzustrapazieren. Ihre Unternehmer-Typisierung (Vorstandsmitglieder, "die vom jahrzehntelangen Warten auf Quartalszahlen dick und aufgedunsen in ihren Ledersesseln saßen und schon beim Öffnen des E-Mail-Programms ins Schnaufen gerieten") dagegen ist hübsch und gemein.

Der innen ausgeblutete (Nie-wirklich-)Patriarch, der sich in Brooklyn deklassiert - das wirkt wie vieles in diesem zackigen Erzählwerk aber seltsam unmotiviert. Und die hard-boiled Wirklichkeitsauffassung, die Bossong ihren Figuren angedeihen lässt, ist nur in Maßen genießbar: "Lange hatte Luise Tietjen an nichts geglaubt, weder an Stoffe noch an Menschen, nicht einmal an Geld, denn an Geld zu glauben gelingt nur denen, die nicht zu viel davon besitzen." Immerhin in dieser Auffassung ist die Frau ihrem Vater ähnlich - "Reich sein ist nichts (...) nur ein Zustand", so formuliert der es. Kalendersprüche, nichts weiter.

Nora Bossong: "Gesellschaft mit beschränkter Haftung". Hanser. 304 S., 19,90 €