Chansons und Schlager bringen neuen Schwung in die Verwechslungsposse “Charleys Tante“ im Engelsaal. Termine bis Frühjahr 2013.

Engelsaal. Perplex stehen sich die zwei Tanten gegenüber. Im gleichen roten Kostüm. Die eine ist falsch, nämlich der verkleidete Kapitän Frank Bamberger. Die andere ist "Charleys Tante" Donna Lucia d'Alvadorez. Die Damen wissen, dass sie um die pikante Situation wissen, und geben sich das mit ironischen Blicken zu verstehen. Vor einigen Jahren waren die beiden ein Paar in Hamburg, ehe Frank zur See fuhr und seine Liebste im Stich ließ. "Gnädige Frau, wo waren Sie gestern?", singt Karin Westfal, die echte Tante, mit maliziösem Unterton und erteilt dem untreuen Ex-Lover - sozusagen von Frau zu Frau - süffisant den Rat: "Du musst die Männer schlecht behandeln."

In den Couplets der zentralen großen Szene - mit Karl-Heinz Wellerdiek als Gegenspieler(in) - beweist Karin Westfal in Philip Lüsebrinks pfiffiger Inszenierung der ollen Verwechslungsklamotte nicht nur Humor und bissigen Witz, sondern mit warm und dunkel timbriertem Sopran auch elegante Diseusen-Allüre. Ansonsten toben die Darsteller oft im Klamauk und im Mambo- oder Samba-Rhythmus übers Deck der MS "Brasilia".

Denn die Komödie spielt in Brasilien auf einem von Touristen nicht gerade frequentierten Dampfer. Bühnenbildner Sebastian Titze gibt dem Szenenbild mit Topfpalmen, Luxusliner-Bildern und Rattanmobiliar exotisches Flair. Wellerdiek hält sich in seiner Fassung des Schwanks zwar ans Original von Brandon Thomas, reduziert jedoch Figuren und Handlung. Aus dem abgenudelten Boulevard-Klassiker wird eine spritzige musikalische Komödie mit Chansons, Schlagern und Friedrich Schröders Musik zu Hans Quests Verfilmung mit Heinz Rühmann (1956). Reminiszenzen an seine Amazonas-Reise als Entertainer auf der MS "Hanseatic" von Rio bis Manaus brachten den Engelsaal-Prinzipal auf die Idee, mit dem Dampfertrip der Jungmänner-Posse mehr Fahrt und Schwung zu verleihen, was Lüsebrink in seiner Regie und Choreografie auch unterhaltsam umsetzt.

Alle drei Paare stehen nämlich auf dem "Traumschiff der Liebe" mächtig unter erotischem Dampf: das ältere durch das unverhoffte Wiedersehen und die beiden jungen, weil sie noch nicht recht zum Zug gekommen sind. Der eine bekennt, dass er "vorm Küssen immer Lampenfieber" hat, der andere wünscht sich: "Ich möchte so gern ein Tenor sein." Aber die beiden altmodischen, von ihnen angehimmelten Cousinen - die blonde Hamburger Deern Kathrin (Hanna Goossens) und Amanda (Dorothea Maria Müller) - bestehen auf einer Anstandsdame. In der Not des Testosteronstaus kommt Charley (Björn Schäffer) und Jacob (Stefan Linker) die rettende Schnapsidee. Und Kapitän Bamberger macht gute Miene zum abgekarteten Spiel ...

Karl-Heinz Wellerdiek verschafft sich mit dunkler Wuschelperücke, glitzernder Schmetterlingsbrille und Fächer den Auftritt einer fülligen Kaffeeplantagen-Besitzerin, verzichtet aber ansonsten auf das übliche tuntige Getue. Er singt - unter Beifall und Gelächter des animierten Publikums - mit frivolem Augenaufschlag das Oscar-Straus-Chanson "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben" und Cole Porters "Sei mal verliebt". Herbert Kauschka begleitet flott und kundig am Klavier - keineswegs zum ersten Mal in einer Doppelrolle als musikalischer Leiter und schnoddriger Barmann Alfonso.

Regisseur Lüsebrink achtet zwar auf Gags und Situationskomik, doch sollte zwischen den jungen Verliebten - neben den routinierten Blödeleien - öfter erotisches Knistern oder Spannung zu spüren sein. Wie bei der Rumba zu Walter Kollos "Nachts ging das Telefon" oder dem Finale im Sambaschritt. Schließlich tanzen sie ja in Brasilien.

"Charleys Tante" Engelsaal (U Gänsemarkt), Valentinskamp 40-42, weitere Vorstellungen am 6.12., 19.30, 12.12., 15.00 und bis Frühjahr 2013, Karten zu 27,39 bis 40,59 unter T. 319 74 76 99; www.engelsaal.de