Mit „Nena” begann 1983 alles. Wie klingt der erste Lieblingspopstar fast 30 Jahre später? Ein Selbstversuch anlässlich der neuen Platte.

Hamburg. Zwei Bilder einer Frau gilt es abzugleichen. Das eine ist ein "Bravo"-Poster. Es hing Anfang der 80er-Jahre im Grundschulkinderzimmer auf einer hellblauen Tapete mit weißen Wölkchen. Und es hängt für immer in der Erinnerung. Der Blick cool und sinnlich. Die Haare strähnig und wild. Der Mund voll, die Wangen schmal. Nena war damals die schönste, spektakulärste Frau der Welt. Sie war das personifizierte Versprechen, wie es nur der Pop geben kann. Ein Versprechen für die präpubertäre Seele, dass hinter den Wolken des Kinderzimmers etwas Größeres, irre Aufregendes liegt.

Das Album "Nena" war die erste Langspielplatte, die 1983 in diesen kleinen Raum im Westen Deutschlands Einzug hielt. Die Songs sickerten tief ins Innere. Jede Zeile, jede Melodie ist noch da. Allein die Titelnamen: "Vollmond", "Tanz auf dem Vulkan", "Satellitenstadt". Das klang nicht nach Provinz, das klang verboten und toll. Auf der Plattenhülle liegt die Sängerin, damals 23, auf der Kühlerhaube eines blauen Peugeot 203. Ihre Band, vier Jungs, lehnen um sie herum am Auto. Sie trugen enge Hosen, dunkle Blousons und wüst geföhntes Haar. Mehr 80er geht kaum.

Das andere Bild ist das Cover des neuen Nena-Albums "Du bist gut", das jetzt erschienen ist. Die Musikerin ist von ihrer Tochter Larissa Kerner gezeichnet worden. In Schwarz, Weiß und Grau. Mit nur wenigen Strichen. Die Haare sind kürzer, die Augen schauen offener. Und doch ist ihr Profil unverwechselbar. Zeitlos und eigensinnig. Als sei die gemalte Nena wieder näher an ihrem Künstler-Ich. Als ließen sich all die anderen Nenas ausradieren, die sich im Laufe der Jahre über das alte, erste Bild gelegt haben. Die Schulgründungs-Nena. Die Osho-Nena. Die Otto-Katalog-Nena. Die Synchronsprecherin-Nena. Die Castingshow-Nena. Als könnte dieses Blatt neu beschrieben werden. Fast 30 Jahre sind vergangen. Was ist übrig geblieben von der einstigen Ikone? Von der Magie ihrer Musik?

Das Markenzeichen von Nena war und ist ihre Stimme. Im Song "Kino", dem ersten auf der Platte "Nena", legt sie ihr lässiges Timbre über die quengeligen Keyboardtöne aus dem Umhängekeyboard (!) von Uwe Fahrenkrog-Petersen. Ihr Gesang ist ganz weit vorn, ganz klar. In dem Stück "Das ist nicht alles", das das aktuelle, 17. Studioalbum eröffnet, knarzt es ebenfalls synthetisch und tanzbar. Doch Nenas Gesang wirkt verzerrt und künstlich aufbereitet. Wie schade. Das Aufgepeppte schafft eine Distanz, die nicht nötig ist. Denn andere Lieder, etwa die Midtempo-Nummer "Besser geht's nicht" oder das balladeske "Lautlos", zeigen doch, dass sich Nena nach wie vor auf ihr Klangspektrum verlassen kann. Lasziv, überdreht, gehaucht, kieksig. Halb Frau, halb Mädchen. In guten Momenten ruft ihre Stimme immer noch dieses wahnsinnige Gefühl wach: Dass es möglich ist, all diese Facetten selbst auszuleben.

Inhaltlich ist aus dem Twen, der "nur geträumt" hat, dem "schon ganz heiß" und der "total verwirrt" ist, eine erwachsene Frau geworden, die weniger dem ersten Mal entgegenfiebert, sondern die ihr Leben in Rück- und Vorschau zu balancieren versucht. "Ich steck' in meinem Muster/ und fühl' mich wie aus Beton/ Angst und Schuldgefühle sind 'ne schlechte Kombination", heißt es in "Das ist nicht alles". Und weiter: "Ich glaub' an unser Potenzial." In Verse gegossene Therapiestunden. Der persönliche Wahrheitsgehalt solcher Erkenntnisse mag hoch sein und den Hörer durchaus zur Reflektion anregen, aber der alte Herzblut-Fan vermisst bei dieser Eins-zu-eins-Übersetzung der eigenen Existenz doch die lyrische Idee, das Impulsive, das einen aus den eigenen vier Wänden katapultiert.

Wenn Nena in "Schmetterlinge" singt "An die Könige der Welt/ unsere Völker haben gewählt/ ohne Angst und ohne Waffen/ werden wir Bewusstsein schaffen", dann sehnt man sich doch nach dem einfachen, aber sehr prägnanten Bild der "99 Luftballons" zurück. Der Gitarrist Carlo Karges hatte die Zeilen zu dem Überhit der Neuen Deutschen Welle mitten in die Hochphase des Kalten Krieges hineingeschrieben, mitten hinein in die eigenen Ängste.

Nato-Doppelbeschluss, Pershing-II-Raketen, Friedensbewegung - alles war in der kleinen Metapher von grenzüberschreitenden Flugobjekten verdichtet. Eine in Pop gegossene Symbolik, die nicht nur zum Spiegel der Geschichte wurde, sondern die jedes Kind verstand. Die Furcht vor der Bombe, hier ließ sie sich wegsingen und -tanzen. Auf dem elterlichen Dachboden gemeinsam mit den Klassenkameraden, die regelmäßig zu Besuch kamen, um eben jene Langspielplatte zu hören.

Auch heute geben die Texte, die Nena singt, eine Facette unseres Zeitgeistes wieder. Das Gutmenschentum kommt allerdings weniger aufmüpfig daher, sondern ist eingebettet in spirituelle Schöpfungslyrik. "Hilf' mir Gott, wo ist mein Licht/ ich glaube, diesmal schaff' ich's nicht", singt die 52-Jährige etwa in "Deine Flügel brechen nicht". "Leben,/ in den Übergang schweben/ durch den goldenen Regen", heißt es in "Frieden". Das muss man mögen.

Zu wünschen wäre es, auf "Du bist gut" mehr Songs zu finden wie "Ich hab dich verloren". Denn das Lied hat trotz des eindeutigen Themas Trennung doch etwas Geheimnisvolles, Poetisches. Auch der Titeltrack am Ende des Albums überrascht nach vielen zarten Melodien mit härteren elektronischen Beats. Da ist sie wieder, die 80er-Jahre-Coolness, die alte, aufregende Nena.

Aber letztlich sind Erinnerung und Nostalgie ja doch vage Begleiter im Leben. Manchmal haben sich zwei Menschen längst auseinandergelebt, ohne es zu merken. Und doch bleibt da immer dieses Wissen, dass die erste Liebe besonders wichtig ist. Die Liebe zum Pop ist geblieben. Dafür herzlichen Dank.