Gisela Stelly ist mit “Goldmacher“ zugleich ein starker Roman zur Geschichte unseres Landes und über den Mann ihres Lebens geglückt.

Hamburg. Nicht einmal eine Minute dauert es, bis bei einer ersten Lesung vor einigen Wochen im Bauch der Cap San Diego plötzlich ein eigentlich unerhörter Vergleich im Raum steht. Die "Buddenbrooks", Thomas Manns übergroßer Familienroman, der deutsche Familienroman, leichthin erwähnt von Hellmuth Karasek, der die Lesung moderiert. Gisela Stelly sitzt neben ihm, schaut ihn an und lächelt leise. Sie sieht sehr schön aus, dort auf der Bühne und auch sonst. Eine Frau mit Klasse und rotem Haar und einem gewissen Geheimnis, sich ihrer Wirkung bewusst, auf zeitlose Weise mädchen- und damenhaft zu gleichen Teilen. Eine Frau, der man die Schönheit ihrer Jugend ansieht, auch wenn sie ihr Alter heute nicht mehr preisgeben mag.

"Goldmacher" heißt ihr neuer Roman, ein Familienroman, ein dickes Buch und durchaus das, was man meint, wenn man von einem großen Roman spricht. Auch wenn manche Vergleiche da vielleicht etwas vorschnell zur Hand sind. Karasek relativiert sogleich, eigentlich erinnere der Roman doch eher an ein Werk von Visconti, das sei auch viel passender, schließlich habe Gisela Stelly lange als Filmemacherin gearbeitet. Fast klingt das, als sei sie "eigentlich Filmemacherin", dabei hat sie schon sehr lange keinen Film mehr gedreht. Vielleicht ist sie auch "eigentlich Journalistin"? Für die "Zeit" schrieb sie zwischen 1967 und 1983 vor allem über gesellschaftliche Themen, viele Essays, Anfang der 70er-Jahre notierte sie gemeinsam mit dem späteren "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust Hausfrauenprotokolle in Lohbrügge. Oder ist sie gar - "eigentlich"! - die langjährige Ehefrau von Rudolf Augstein, mit dem Gisela Stelly 20 Jahre verheiratet war, länger als jede andere seiner Ehefrauen (er hatte immerhin fünf). Schon in früheren Romanen war Augstein - zumindest als Figur, die ihm sehr ähnelt - aufgetaucht, in "Moby" beispielsweise, den Gisela Stelly heute als "eine kammermusikalische Eröffnung", eine Ouvertüre zum "Goldmacher" beschreibt. Denn auch jetzt, vor allem jetzt, im "Goldmacher" (erschienen im Arche-Verlag), spielt der legendäre "Spiegel"-Erfinder eine ganz zentrale Rolle, wie er sie offensichtlich, auch nach der Trennung noch, in Stellys Leben immer gespielt hat. Dabei wirkt die Frau mit der papierzarten Haut und dem aufmerksamen Blick keineswegs wie die typische "Frau an seiner Seite", eine doch immer etwas überhebliche Beschreibung für die Gefährtinnen berühmter Männer, als könnten diese ihnen per se nicht recht gewachsen sein.

Familie also. Geld. Macht. Utopien. Und ein ambivalenter Männerbund. Keimzellen des neuen Stelly-Romans, große Themen. Vielleicht sind die "Buddenbrooks" an dieser Stelle gar nicht so verkehrt als Referenz, wenn man die Anmaßung dieses Vergleichs galant ignoriert. Die "Goldmacher" sind schon irgendwie ihre "Buddenbrooks", denn Gisela Stelly ist in den vergangenen Jahren vor allem eines gewesen: eigentlich Schriftstellerin.

Ja, beim Romanschreiben sei sie bei sich angekommen, sagt sie einige Zeit nach der "Cap San Diego"-Lesung in einem der Separees von Cölln's Restaurant und nickt. Die Idee zu einem Familienroman brüte schon sehr lange in ihr. Vielleicht schließt sich hier, mit diesem Buch, nicht nur ein Kreis. "Ich empfinde die Familie als Ursprung für alles, was in der Gesellschaft passiert, nach wie vor, auch wenn das Konzept Familie sich mit den Jahren verändert hat", sagt Gisela Stelly, nippt an ihrem Tee, Darjeeling, und blickt in die früheren Austernstuben, als die das Restaurant in der Neustadt auch im "Goldmacher" vorkommt, weil sich Rudolf Augstein hier einst gern zum Lunch traf. Hamburger Reeder haben im ersten Stock eigene Räume mit Namenszug auf den Sitzkissen, die Atmosphäre ist distinguiert und diskret. Ein Ort mit Geschichte also, "ich kannte ihren Mann gut", beeilt sich auch der heutige Pächter zu erklären, als er Gisela Stelly erkennt oder jedenfalls erfährt, wer da interviewt und später vor dem Silber des Hauses fotografiert wird.

Sie lächelt höflich, "Ach so?", und seufzt dann doch nicht.

Lange hat sie nicht als "Frau Augstein" wahrgenommen werden wollen, und trotzdem (oder vielleicht deshalb?) ist Rudolf Augstein seiner Ex-Frau Gisela Stelly als Autorin zu einer Art Lebensthema geworden, auch wenn "Goldmacher", das muss man ausdrücklich sagen, weder ein Schlüssel- oder Enthüllungsroman noch gar eine Biografie geworden ist oder je hätte sein wollen. Aber das Buch erzählt die Geschichte zweier bemerkenswerter Männer, Franz Münzer und Anton Bluhm, Letzterer unverkennbar an Augstein angelehnt, deren Bestimmung sich während des Aufstiegs der Nationalsozialisten schicksalhaft verknüpft und deren Karrieren und Lebenswege Gisela Stelly bis zur Jahrtausendwende parallel zur Geschichte der Bundesrepublik erzählt.

"Das Geld ist natürlich weg", heißt es an einer Stelle, es ist einer der Kernsätze. Das Geld ist weg, und nicht nur das, es ist "natürlich weg", schon auf den ersten Seiten fällt Antons Vater eine wegweisende Entscheidung, die ihn um sein Vermögen bringt und seine Frau um ihr Glück. In seinem kleinen Sohn Anton indes lässt sie sehr früh den tiefen Wunsch nach Gerechtigkeit wachsen.

Zum auslösenden Motiv für die Autorin wurde die "moderne Goldmacherei", wie Stelly die Ursache für die weltweite Finanzkrise nennt. Ein Wort übrigens, das ihr nicht gefällt. "Es ist ja viel mehr als nur eine Krise! Es erschüttert die Grundfesten unseres Vertrauens, es passiert ein Finanzbetrug unendlichen Ausmaßes, mit den Mitteln moderner Alchemie, die riesige Schulden in Werte verwandelt. Das ist doch eigentlich etwas, das man dem Teufel immer zugetraut hat: Dass er aus Dreck Gold macht. Genau das ist hier passiert."

Und eben das passiert auch zu Beginn des Romans, 1924, ein Jahr nach der großen Inflation, einer Zeit, in der die Sehnsucht nach Wundern groß ist und die Wunde des Ersten Weltkriegs noch nicht verheilt. Anton kommt nahe Hannover und Franz in München zur Welt; Antons Vater beteiligt sich leichtgläubig an einem Projekt, das verspricht, mit den Mitteln der Naturwissenschaft Gold herzustellen, Franz' Vater ist in die böse Scharlatanerie verwickelt. Ein aus heutiger Sicht offensichtlicher und dennoch damals verblüffend erfolgreicher Betrug, den es unter den Nationalsozialisten übrigens tatsächlich gegeben hat. Auch Hapag-Lloyd in Hamburg kaufte damals Anteilsscheine jener Goldmacherei, mit deren Erlös unter anderem der "Völkische Beobachter" unterstützt wurde.

Während Anton Bluhm, Sohn einer katholischen Mutter, fortan in jeglichem Wunderglauben den Teufel erkennt und sein Leben der Wahrheit, der Vernunft und schließlich der Herausgabe eines politischen Magazins widmet (das im Buch nie "Spiegel" genannt wird, aber spätestens in der Episode, in der Anton einen Teil des Unternehmens an die Mitarbeiter verschenkt, unverwechselbar zu erkennen ist), wächst Bankierssohn Franz Münzer im Einfluss des Okkultismus des Dritten Reichs auf und wird zum überzeugten Wunderweltenbauer.

"Es ist zweifelsohne an Rudolf Augsteins Leben entlanggeschrieben", sagt Gisela Stelly, die ihren früheren Mann stets beim vollen Namen nennt, nie einfach "Rudolf" sagt oder "Augstein" oder gar "mein Ex-Mann". Ende der 90er-Jahre, da waren beide längst getrennt, habe er sie einmal gefragt, ob sie nicht seine Biografie schreiben wolle, sie hat abgelehnt. "Ich verheddere mich ja schon so mit jedem Datum. Wenn überhaupt, mache ich einen Roman daraus", habe sie ihm damals gesagt, erzählt Gisela Stelly. "Die Idee hat ihm, glaube ich, gefallen." Sie fasst ihr Haar zusammen, streicht es nach hinten, eine sehr weibliche Geste.

Trauerarbeit sei die Auseinandersetzung mit dem Roman trotzdem nicht gewesen, stellt sie klar und sinnt über diese Antwort dann doch noch ein wenig nach. Ja, sie habe Rudolf Augstein in der Figur des Anton Bluhm neu erforscht, "sein Festhalten und Bestehen auf moralischen Werten". Eine emotionale Herausforderung, das gewiss. "Und durchaus auch eine Hommage an die Tat, die Hälfte des Unternehmens an die Mitarbeiter zu verschenken, das war wirklich einzigartig."

Weniger die Recherche der historischen Fakten sei im Schreibprozess kompliziert gewesen, als vielmehr das Verweben der Personen, sagt Gisela Stelly, die ihre Romane grundsätzlich zunächst mit der Hand schreibt ("Vielleicht eine Marotte, aber ich habe sonst das Gefühl, da fließt nichts"), mit dünnem Filzstift, während ihre Beine hochgelegt sind. Zehn mit kleiner Schrift vollgeschriebene DIN-A5-Blankohefte wurden es, fünf ganze Jahre, sie hebt die Handflächen, "Jonathan Franzen schreibt sogar zehn Jahre an einem Roman." Der Psychoanalytikerin und Feministin Margarete Mitscherlich hat Gisela Stelly während dieser Zeit regelmäßig erste Auszüge geschickt, im Gegenzug habe Mitscherlich sie immer wieder ermutigt und ihr am Ende, kurz vor ihrem Tod, sogar noch lobende Sätze für den Klappentext "geschenkt".

So ist Gisela Stellys "Goldmacher" schließlich langsam zu jenem süffigen Familienroman gewachsen, bei dem Hellmuth Karasek die "Buddenbrooks" und Visconti einfallen und dem es zweifelsohne gelingt, historische Vorbilder und Geschehnisse und pure Fiktion miteinander in einen ausgesprochen lebendigen Austausch zu bringen. Auch Literatur ist eine Form der Alchemie, der schließlich immer etwas Wundersames innewohnt, und das nicht allein für den späteren Leser: "Man erschreibt sich seine Figuren", sagt Gisela Stelly und lächelt. "Man kennt sie ja eigentlich überhaupt nicht."

Die Autorin liest am 31. Oktober, 20 Uhr, in der Buchhandlung Christiansen (Bahrenfelder Str. 79, 12 Euro, erm. 8,50 Euro) und stellt das Buch am 8. November, 19.30 Uhr, im Literaturhaus auf Einladung der Buchhandlung Samtleben (10 Euro, erm. 8 Euro) vor. Hannelore Elsner liest; Manfred Geier moderiert.