Bei seinem Konzert auf dem Kampnagel zeigte der 70-jährige Musiker John Cale eine Vehemenz, die an ganze junge Bands erinnerte.

Hamburg. Als umgängliche Plaudertasche galt John Cale nie. Zuweilen hatte es sogar den Anschein, als würde er mit seinem Velvet-Underground-Kollegen Lou Reed darum konkurrieren, wer der Unfreundlichere von beiden sei. Der Umzug des gebürtigen Walisers von New York ins sonnige Kalifornien scheint Cale gutgetan zu haben, denn zu Beginn seines Konzertes auf Kampnagel begrüßte der Grantler das Publikum mit einem freundlichen "Hallo Hamburg, schön euch begrüßen zu dürfen!" Nach dem instrumentalen Auftakt und dem wuchtigen "Captain Hook" schob Cale noch einen Gag hinterher: "Wir haben eine Menge neuer Songs dabei. Also schnallt euch an!"

Die Laune war bestens, die Verfassung des 70 Jahre alten Multiinstrumentalisten ebenfalls. Seine Haare sind inzwischen so weiß wie die seines Entdeckers und Förderers Andy Warhol.

Cale ließ sich von einer dreiköpfigen Band in der klassischen Besetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug begleiten, er selber stand die meiste Zeit hinter einem Keyboard, bei "Helen Of Troy" schnallte er sich dann auch eine E-Gitarre um. Auf seine alten Tage hat Cale wieder zum Rock zurückgefunden.

Sein aktuelles Album "Shifty Adventures In The Nookie Wood" enthält eine ganze Reihe von lospreschenden Nummern wie "I Wanna Talk 2 U", "Scotland Yard" oder "Face To The Sky", die er allesamt im Programm hatte. Doch der ursprünglich von der Neuen Musik kommende Komponist und Instrumentalist kramte auch ein paar alte Rocknummern raus, die er länger nicht mehr im Repertoire hatte - wie "Praetorian Underground" aus dem 1983 erschienenen Album "Caribbean Sunset" oder "Captain Hook", das sich auf der "Sabotage/Live"-Platte wiederfindet, die 1979 im New Yorker Klub CBGB aufgenommen wurde.

Wer ein Best-of-Programm mit Hits wie "Close Watch", "Paris 1919" oder gar das Elvis-Presley-Cover "Heartbreak Hotel" erwartet hat, wurde enttäuscht. Bei dieser Tournee ging es Cale darum, neues Material zu präsentieren, denn neben fünf Songs aus "Nookie Wood" hatte er sechs weitere von der im vergangenen Jahr erschienenen EP "Extra Playful" im Repertoire.

Die Vehemenz, mit der er sein Programm durchzog, erinnerte an junge Bands, Abnutzungserscheinungen gab es nicht. Und die beiden Langhaarigen, die mehr schlecht als recht Gitarre und Bass bedienen durften, steckte er erst recht in die Tasche. Es wirkte so, als sei ihm da eine am Telefon zusammengestellte Band mit auf Tournee geschickt worden. Als er von der Bühne ging, kam der Miesepeter wieder durch: Die Begleitmusiker würdigte er keines Blickes.