Jazzpianist Herbie Hancock konfrontiert sein Publikum mit immer neuen Klängen. Am 28. Oktober kommt er für ein Solokonzert nach Hamburg.

Hamburg. Buhrufe kannte er schon. Aber fliegende Tomaten und wassergefüllte Luftballons? Das war für Herbie Hancock eine neue Erfahrung, als er Anfang der 70er-Jahre mit seiner Band in Berlin auftrat. "Die Leute hassten uns, aber wir waren richtig unter Feuer", sagt er und lacht. Damals hatte der amerikanische Jazzmusiker den akustischen Flügel gegen ein E-Piano und ein paar Synthesizer getauscht. Mit seiner Headhunters-Band spielte er einen neuartigen Electro-Jazz-Funk, den seine Fans partout nicht hören wollten. Sie kannten den freundlichen, immer gut gelaunten Künstler als virtuosen Pianisten, der von 1963 bis 1968 zu Miles Davis' klassischem Quintett gehörte und auf dem Blue-Note-Label Platten unter eigenem Namen veröffentlicht hatte. Darauf befanden sich erfolgreiche Nummern wie "Cantaloupe Island" und "Watermelon Man", aber die wollte sein Publikum nicht als pluckernde Synthi-Version hören, deshalb flog rotes Gemüse in Richtung Bühne.

Mit konservativen Jazzfans hatten in der Vergangenheit Heerscharen von Musikern zu tun. Es braucht scheinbar immer eine gewisse Zeit, bis sie sich an einen neuen Stil gewöhnt haben. Bei Hancock dauerte es damals jedoch nicht allzu lange: "Als wir im darauffolgenden Jahr wieder nach Berlin kamen, tanzten die Leute schon wie wild zu unserem Jazz-Funk." Hancock, inzwischen 73 Jahre alt, hat sich nie auf seinen Lorbeeren und seinen Erfolgen ausgeruht. Immer wieder verblüffte er Kritiker und Fans mit neuen Kapriolen. In den 80ern verteufelten Puristen ihn für sein Electro-Album "Future Shock", Hancock dagegen freute sich über einen Grammy für die ausgekoppelte Single "Rockit", die zum erfolgreichsten Instrumentalstück der 80er wurde. "Damals habe ich genau zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten zusammengespielt", sagt er rückblickend auf die Zusammenarbeit mit dem New Yorker Bassisten Bill Laswell.

Wenn er am 28. Oktober für ein Solokonzert nach Hamburg kommt, wird er wieder versuchen, sein Publikum zu überraschen. "Karsten (Jahnke, der Konzertveranstalter) erwartet bestimmt, dass ich nur auf dem Flügel spiele", sagt Hancock und fängt wieder an zu lachen, "aber den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Ich habe auch eine Reihe an Synthesizern, Vocodern und iPads mit. Der Abend wird sich aus akustischen und elektronischen Nummern zusammensetzen." Er werde bekannte und unbekannte Songs spielen, kündigt er an. Neue Technologien haben den in Los Angeles lebenden Musiker seit jeher interessiert. Wann immer ein neues Keyboard oder ein Synthesizer auf den Markt kam, probierte Hancock ihn aus und erweiterte so sein Klangspektrum kontinuierlich: "Ich experimentiere immer weiter. Das ist aufregend und hält mich wach."

In den vergangenen Jahren hat Hancock viel mit Sängern zusammengearbeitet. 2007 veröffentlichte er das Album "River: The Joni Letters", auf dem er die Songs der von ihm verehrten Joni Mitchell interpretiert und dazu Leonard Cohen, Norah Jones, Tina Turner und Corinne Bailey Rae ins Studio geladen hatte. "Sie ist eine faszinierende Poetin. Bei ihren Songs harmonieren Text und Musik auf wundervolle Weise. Für mich gehört sie zu den Musik-Genies unserer Zeit", begeistert Hancock sich für die Kalifornierin, die seit Ende der 60er-Jahre zu den kreativsten Singer-Songwritern gehört. Vor zwei Jahren erschien "The Imagine Project", eine Arbeit, bei der er sich bekannte Songs wie "Imagine" von John Lennon, "The Times They Are A' Changin'" von Bob Dylan und Sam Cookes "A Change Is Gonna Come" vorgenommen hat. Als Sänger sind unter anderem India-Arie, Pink, Juanes und Chaka Khan dabei. "Es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht, instrumentale Musik zu spielen, aber jetzt war es überfällig, mit Stimmen zu arbeiten", erzählt er.

Nach diesen Ausflügen in die Welt der Popmusik, steht für Hancock als nächstes eine Kollaboration mit einem Star der klassischen Musik an. "Ich plane ein Crossover-Projekt mit Lang Lang", berichtet Hancock, der zu den letzten lebenden Legenden des Jazz zählt. In der Vergangenheit hat er bereits Konzerte mit dem Chinesen gegeben, demnächst werden sie im Studio sein. Mit klassischer Musik ist Hancock vertraut. Bereits als Zwölfjähriger konzertierte er in seiner Heimatstadt Chicago mit dem dortigen Sinfonieorchester und spielte Mozarts Klavierkonzert in D-Dur. Er erinnert sich noch daran, wie aufgeregt er damals gewesen ist.

Lampenfieber kennt er heute nicht mehr. "Aber ich fühle bei jedem Konzert die Verantwortung, das Beste zu geben und im besten Fall Magie entstehen zu lassen", sagt er. Konzerte mit Herbie Hancock enthalten immer noch ein großes Überraschungsmoment, die Publikumserwartungen will er nicht ohne Weiteres erfüllen. "Ich bin ein Musiker, kein Roboter."

Herbie Hancock solo So 28.10., 19 Uhr, Kampnagel, Karten 57,45