Ein Gespräch mit Lena Meyer-Landrut über ihr neues Album “Stardust“, einen verpatzten Kiez-Auftritt und Castingshows.

Berlin. Lena, geborene Meyer-Landrut, ist zurück: Nach den Nummer-eins-Alben "My Cassette Player" und "Good News" erscheint am 12. Oktober "Stardust". Wir trafen die jetzt 21 Jahre alte Siegerin des Eurovision Song Contests 2010 zum Interview in Berlin.

Hamburger Abendblatt: Lena, die Titelsingle Ihres neuen Albums "Stardust" wird man schwer wieder los. Danke für den Ohrwurm. Ein musikalischer Höhepunkt Ihrer bisherigen Karriere.

Lena: Danke! Gern geschehen.

Ihr Auftritt kürzlich im Schmidts Tivoli war allerdings der Tiefpunkt des Reeperbahn-Festivals. Und das will bei knapp 300 Bands schon was heißen.

Lena: Sie sind sehr ehrlich. Um ehrlich zu antworten: Ich habe mich selber voll unter Druck gesetzt, weil ich wollte, dass es gut wird. Und - dann wurde es nicht gut.

Sie wirkten sehr nervös und überdreht.

Lena: Ich. War. So. Schweine. Mäßig. Aufgeregt! Das war mein erster Auftritt mit neuer Band und neuen Songs, die wir nur vier Tage proben konnten.

Nach zwei Eurovision Song Contests und einer Tour durch die großen Arenen konnte Sie ein Auftritt vor 600 Zuschauern im Schmidts Tivoli einschüchtern?

Lena: Ja, ich wusste, dass mein Konzert eigentlich nicht das ist, was das Reeperbahn-Festival ausmacht. Die Leute gehen dahin, um Lukas Graham oder Kakkmaddafakka zu sehen, und die wie ich gern alternative, undergroundige Konzerte besuchen. Ein cooles Festival, und da wollte ich hin. Aber wer zu viel auf einmal will, vergisst zu genießen.

Genießen heißt, auch mal durchzuatmen. Sie waren aber sehr fleißig und haben mit "Stardust" schon Ihr drittes Album in drei Jahren veröffentlicht.

Lena: Oh, ich habe ein halbes Jahr durchgeatmet und die Vergangenheit Revue passieren lassen. Nach Düsseldorf 2011 und meinem Abitur habe ich nur rumgegammelt, Fernsehen geguckt und Kaffee getrunken.

Sie haben sich für ein Philosophie-Studium in Köln eingeschrieben, sind dann aber wieder im Studio gelandet.

Lena: Die Plattenfirma hat mich gefragt, ob ich nicht noch ein Album machen und probieren will, eigene Songs zu schreiben. Und da Miss Li musikalisch ein Vorbild für mich ist, sind wir in der Probierphase zweieinhalb Tage zu ihr nach Schweden gereist.

Die Chemie muss ja gestimmt haben.

Lena: In diesen zweieinhalb Tagen haben wir "Mr. Arrow Key", "Day To Stay", "Goosebumps" und "ASAP" geschrieben und dachten uns: Och jooh, das klappt ja eigentlich ganz gut. Machen wir doch mal weiter so.

Auch wenn Miss Li und auch Rosi Golan, Alexander Schroer oder Ian Dench auf "Stardust" Spuren hinterlassen haben, klingt es deutlich eigenständiger als die beiden Vorgänger.

Lena: Für die ersten beiden Alben hieß es abzuliefern. "My Cassette Player" ist in dreieinhalb Wochen entstanden, "Good News" in fünf Wochen.

"Stardust" lässt viele Interpretationen zu. Erst Star, dann Staub, zum Beispiel.

Lena: Nee. Für mich stehen der Song und das Album für Freiheit und Glück. Dafür, dass ich mit mir im Reinen bin.

Heißt Freiheit, dass Sie sich vom Pop-System Stefan Raab gelöst haben?

Lena: Nö. Er hat zwar nicht an "Stardust" mitgeschrieben, aber das heißt nicht, dass ich mich von ihm emanzipieren musste. Für mich ist Stefan ein wichtiger Begleiter und Kritiker, und daher freut es mich sehr, dass ihm "Stardust" gefällt, auch wenn er es hier und da anders abgemischt hätte. Jeder Produzent hat eben eigene Ideen.

Die schöne Ballade "Day To Stay", aber auch "To The Moon" und "ASAP" erzählen von Innigkeit, Sehnsucht und Heimweh, die im Studio von dem einen oder anderen Tobsuchtsanfall begleitet wurden. Lassen Sie sich von Gefühlen und Kontrollverlust zu oft übermannen?

Lena: Ohne Ende! Ich bin ein Gefühlsmensch, der schnell anfängt, sich für etwas zu begeistern oder zu weinen. Und das schon bei Banalitäten wie einer Folge "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder einem traurigen Song.

In den Texten erfährt man viel Persönliches von Ihnen. Ist es unangenehm für Sie, sich zu öffnen?

Lena: Nein, auf keinen Fall. Für mich sind es Mittel, um Erlebnisse zu verarbeiten und zu erklären. Gerade Heimweh - ich liebe es, unterwegs zu sein, und leide doch wie ein Hund.

Lassen Sie sich verletzten, von Kritik oder einem Verriss des Auftritts beim Reeperbahn-Festival?

Lena: ( gespielt weinerlich) Aber ich kann doch nicht alles können! Es ist alles scheiße! Abbrechen, abbrechen! (lacht) Das denke ich im ersten Moment, auch beim Aufnehmen, beim Produzieren, beim Aussuchen von Fotos. Das ist immer wieder ein Geduldsspiel mit mir selber. Ich gehe dann kurz vor die Tür und dann wird alles gut.

Das Musikgeschäft kennt selten Gnade.

Lena: Als ich damals in der Casting-Box für "Unser Star für Oslo" stand, war ich noch sehr naiv, und ich muss immer noch lernen, dass das, was ich sage, am nächsten Tag in der Zeitung stehen könnte (lacht) . Für immer.

Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich für eine Castingshow bewerben?

Lena: Man muss auf jeden Fall gucken, wo man hingeht. Ich bin froh, dass ich zu Stefan Raab gegangen bin und nicht zu "DSDS" oder "Popstars". Das ist schon ein Unterschied. Und dann sollte man das machen, was man selber gut findet, nicht, was die anderen gut finden. Dann ist es auch einfacher, mit Kritik umzugehen.

Sie haben 2010 im Prinzip ganz oben angefangen, aus der Casting-Box direkt zum Liebling der Nation und Europas. Würden Sie sich gern ein Stück zurückentwickeln, vielleicht nicht in großen Arenen, sondern auf kleineren Bühnen ...

Lena: Guck! Das mache ich! Es gibt im März eine Klubtour. Dann kann ich nächstes Jahr beim Reeperbahn-Festival spielen, dann habe ich es geübt.

Mancher wird garantiert unken, dass Sie niemand mehr sehen will, wenn die Hallen kleiner werden als früher.

Lena: Das ist für mich kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt. In den großen Arenen war ich schon, aber hautnah am Publikum zu sein in Klubs mit Geschichte, die ich selber oft als Fan besucht habe, das fehlt mir wirklich. Voll Bock! Endlich Gesichter sehen und keine Monitore. Schweiß! Bier! Voll Bock!

2008 fragten wir die Schwedin Lykke Li, damals 21 und nicht zu verwechseln mit Miss Li, nach ihren Träumen. Die Antwort war eine fünf Minuten lange Liste. Wie viele Minuten wäre Ihre Liste lang?

Lena: Oh, fünf Minuten mindestens. Ein Hund wäre toll, aber wie soll ich ihn erziehen, wenn ich ihn sooo lieb habe und nicht "Nein!" sagen kann? Ach ja, Lykke Li, "Dance, Dance, Dance" ist ein toller Song. Danke für den Ohrwurm.

Gern geschehen.