Das frisch preisgekrönte Fundus-Theater ist ein gelungenes Beispiel für ambitionierte Kinderkultur. Das Publikum wird ernst genommen.

Hamburg. In einem Eilbeker Hinterhof drängelt, quietscht und lacht das Publikum, es spielt Fangen und bringt eine Wolke von Turnhallenduft mit in das kleine Foyer. Ein ganz normaler Theatervormittag. Und doch ganz anders. Zwei fünfte Klassen des Gymnasiums Hamm sind zu Gast im Fundus-Theater beim "Try Out", einer Art Generalprobe für das Theaterstück "Die Kinderbank".

Das glyzinienumrankte Hinterhaus in der Hasselbrookstraße beherbergt ein Unikum: Das Fundus-Theater ist eines von ganz wenigen Kindertheatern in Hamburg - und das Einzige, dessen Produktionen stets Uraufführungen sind. Zudem bietet das Fundus-Theater freien Kindertheatertruppen eine Spielstätte. Andernorts mögen Kinder schon mal zu "Kids" mutieren, wenn es darum geht, sie als Zielgruppe abzugreifen. Nicht so im Fundus-Theater: Mit kommerzieller Bespaßung oder Verniedlichung haben die Leiterinnen Sylvia Deinert, Tine Krieg und Sibylle Peters nichts im Sinn. Sie nehmen, das spürt man aus jedem Satz, ihr Publikum ernst. Hier machen Profis Theater für Kinder. 14 000 Besucher zählt das Theater jedes Jahr.

Die beiden Schulklassen haben sich im Saal um einen roten Teppich geschart. "Ich brauche Euros!", singen drei Schauspieler und fahren auf goldbesprühten Bürostühlen Scooter, und die Kinder lachen und schnippen gleich mit. Von einem Tennis-Schiedsrichterstuhl herab begrüßt Sibylle Peters als Vorstandssprecherin der Kinderbank ihr Publikum: "Ich mache euch jetzt eine Reihe von Versprechungen. Die müsst ihr aber nicht alle glauben. Das ist bei Banken oft so." Aha. Folgt jetzt also eine Generalabrechnung mit den Buhmännern des Turbokapitalismus?

Weit gefehlt. Nicht weniger als eine witzige, altersgerechte und hoch kompetente Einführung in Theorie und Geschichte des Geldwesens ist es, was die habilitierte Theaterwissenschaftlerin Peters in der folgenden Stunde im Rahmen ihres sogenannten Forschungstheaters ausbreitet - und zwar so geschickt, dass es wirkt, als lockte sie das viele Wissen aus den Kindern heraus. So geht interaktives Lernen: Die coolsten Banküberfälle kommen genauso vor wie die Ursprünge des Handels, Tausch und Schenkung, aber auch so fundamentale Beobachtungen wie die, dass der Wert des Geldes etwas mit Vertrauen zu tun hat.

Das Forschungstheater ist die zweite Säule im hauseigenen Programm. Peters bringt dort Wissenschaft, Kunst und kindliche Spontaneität zwanglos zusammen. Dafür hat das Fundus Theater gerade den "BKM-Preis Kulturelle Bildung 2012" erhalten, den der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien vergibt. Stolze 20 000 Euro beträgt das Preisgeld - ein warmer Regen, den das Theater bestens brauchen kann. Denn die finanzielle Ausstattung des Hauses ist, wie so oft bei der Kinderkultur, dürftig. Viel Energie und Zeit verwenden die Leiterinnen darauf, private Drittmittel einzuwerben. Die 418 000 Euro, die der Senat pro Spielzeit zuschießt, und die familienfreundlichen Eintrittspreise reichen natürlich nie aus, um die Honorare und Kosten für Betrieb, Miete und das rund zehnköpfige Team zu decken.

In Kategorien wie Tarifverträgen oder festen Arbeitszeiten denkt ohnehin niemand. "Wir arbeiten hier ohne Scheuklappen", sagt Deinert. Jeder im Team, auch die Schauspieler, ist Bühnentechniker, Empfangsdame oder auch mal Reinigungskraft. Die Grenze zwischen Hingabe und Selbstausbeutung ist fließend. "Wir sagen immer: Wenn du gehst, geht nur ein Teil von dir", scherzt Deinert in Anspielung auf Peter Maffays schon etwas betagten Erfolgstitel "So bist Du", greift in einen Setzkasten und stellt eine kleine Fuchsfigur in das schwarze Regal darüber. Maffay-Bord heißt denn auch dieses System: Jeder hat seinen kleinen Stellvertreter, der anzeigt, ob er gerade im Theater ist.

Eine sinnvolle Erfindung. Auch in einem vergleichsweise winzigen Theater kann man durchaus lange nach jemandem suchen. Hinter den Kulissen wird jeder Kubikmeter der bis zu sechs Meter hohen Räume genutzt: In der Werkstatt hängen die Kostüme der aktuellen Produktion bis unter die Decke, der Requisitenraum hat gar eine zweite Ebene, um all die Bühnenbilder, Versatzstücke und Requisiten der laufenden Produktionen aufzunehmen.

Das Fundus-Theater hat keine Drehbühne wie die Staatsoper. Aber es hat zwei Säle, davon einen mit richtigen Rängen, es hat Lichttechnik und Beschallung. Einen Vorhang gibt es natürlich auch - wenn auch nicht aus schwerem Samt und nicht in Originalgröße. "Manchmal reicht es, etwas als Zitat zu haben", sagt Deinert und lacht. Zumal das meiste, wie gewiefte Theaterleute wissen, ohnehin im Kopf der Kinder stattfindet.

Deinert und Krieg sind jahrelang über Land gefahren; in Hamburg gab es in den 80er-Jahren kaum Spielorte für freies Kindertheater. 1992 kam Peters dazu, sie bezogen das erste eigene Studio und 1997 die Räume in der Hasselbrookstraße. An manches gewichtige Thema haben sie sich herangetraut. Aufsehen erregte etwa "Das Familienalbum", ein Puppentheaterstück zum Thema sexueller Missbrauch, das sich an Grundschulkinder wandte. Die Fundus-Crew macht es sich auch in der Themenwahl nicht leicht und ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Unbeschwertheit und großer Ernst liegen auch bei Kindern oft nah beieinander.

Nachdem die Schulklassen nach dem "Try Out" der "Kinderbank" wieder gegangen sind, ist es plötzlich seltsam still. Gleich kommt eine freie Gruppe zur Generalprobe; jemand räumt den Schiedsrichterstuhl weg, aus dessen luftiger Höhe Peters gefragt hat: "Können Wünsche im Theater Wirklichkeit werden?" Im Kopf hallt noch ihre Antwort nach: "Das klappt nicht immer. Aber dann lernt man etwas über die Wirklichkeit. Oder über das Theater." Ein Geschenk ist beides.

Nächste Premiere: "Die Kinderbank" 24.11., 11.00 (Premiere), Fundus Theater (S Landwehr), Hasselbrookstr. 25. Karten unter T. 250 72 70; www.fundus-theater.de