Zwei Hamburger Musiker riefen vor zwei Jahren den Wettbewerb “Tonali“ für den klassischen Nachwuchs ins Leben. Es ist eine Erfolgsgeschichte.

Hamburg. Wenn zwei Nobodys eine aus dem Nichts geborene musikalische Idee in Nullkommanichts zu einem Erfolg führen können, an dem in Hamburg keiner mehr vorbeikommt, dann ist mindestens eine Messerspitze Besessenheit im Spiel. Amadeus Templeton, 36, und Boris Matchin, 41, die Begründer des "Tonali Grand Prix", mag auch noch manch andere Obsession antreiben, die zum Netzwerken etwa und natürlich die zur Musik. Aber was ihr Denken, Planen und Handeln derzeit besonders beflügelt, ist ihr Tick mit Zahlen. Die Sechs, die Drei, die Zwölf: Sie sind die Rotationszentren des Wettbewerbs, der scheinbar Widerstreitendes vereint, Spitzenförderung und musikalischen Breitensport, junge Künstler und deren Altersgenossen im Publikum, künstlerische Exzellenz und Happening, auch E und U. Heute wird "Tonali12" mit einem Konzert in St. Johannis Harvestehude eröffnet.

Sechs Tage dauert der Wettbewerb, für den sich Nachwuchsmusiker zwischen 16 und 21 Jahren mit Wohnsitz Deutschland bewerben konnten. Zwölf Cellisten ringen um den halb sportlich, halb im seligen Andenken an den Vorläufer des Eurovision Song Contest "Grand Prix" getauften ersten Preis des Wettbewerbs. Zwölf Schulen haben die Patenschaft über je einen der Wettspiel-Teilnehmer übernommen. Drei Vorrunden müssen die Aspiranten überstehen, ehe die drei Besten am Sonnabend in der Laeiszhalle unter sich ausmachen, wer die sieben Juroren am meisten überzeugt. Sechs Euro kosten die Eintrittskarten dafür. Und was der Monatsbeitrag im "Tonali"-Freundeskreis, zu dem die beiden Anstifter in einer Kampagne derzeit um 3333 (Quersumme: 12) Mitglieder werben? Sechs Euro.

Vor zwei Jahren waren die Zahlennarren, beide hauptberufliche Cellisten, mit dem ersten "Tonali"-Wettbewerb für junge Geiger angetreten. Damals wollten sie eigentlich nur die Lücke zwischen "Jugend musiziert" und internationalen Wettbewerben schließen. Inzwischen sehen die beiden auch in Charme und Rhetorik hoch begabten Musiker ihr "Tonali"-Baby zu viel Höherem berufen. Das Niveau der Kandidaten gegenüber 2010 sei erheblich gestiegen. Vor allem sei diesmal die Vernetzung mit Hamburger Schulen viel besser gelungen als bei der Premiere. Schüler warben ihre Klassenkameraden, Freunde und Familienmitglieder als Kartenkäufer fürs Abschlusskonzert am 25. August, das deshalb seit Wochen praktisch ausverkauft ist.

Als überzeugte Freiberufler und Beinahe- Digital natives verabscheuen Amadeus Templeton und Boris Matchin feste Bürozeiten, was überhaupt nichts ausmacht, weil sie deshalb ja erst recht überall und immer erreichbar sind. Mit einer einzigen Mitarbeiterin bewältigen sie alles an Organisation. Ideen, Pläne und Projekte blühen üppig wie in einem Hochtechnologie-Treibhaus. "Wir sehen ,Tonali' als Gesamtkunstwerk. Das bewegt uns durch die Nächte, die Tage", sagt Templeton. Ihr Winz-Büro im Grindelviertel, Toilette einmal übers Treppenhaus, wirkt trotz imposanter Raumhöhe eher als Wohnbriefkasten denn als Kommandozentrale einer Unternehmung, die von ungefähr drei Dutzend namhaften "Förderern, Sponsoren, Unterstützern und Kooperationspartnern" (in dieser Reihenfolge) als beispielhafte bis vorbildliche Jugendkultur-Initiative angesehen wird, geeignet, dem akut an Nachwuchslähmung erkrankten Klassik-Betrieb wieder auf die Beine zu helfen.

Die Tonalisten haben ihren Holger Noltze und ihren Martin Tröndle gelesen, jene beiden Musikwissenschaftler, die sich in letzter Zeit unabhängig voneinander produktive und provokative Gedanken um die Zukunft der E-Musik und ihres Publikums gemacht haben ("Die Leichtigkeitslüge", "Das Konzert - neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form"). Zwei Mantren bestimmen deshalb die Richtung, in die die Ideen der "Tonali"-Macher fließen. Das eine: "Wer das Konzert erhalten will, muss es verändern." Das andere gibt Auskunft über ihren pädagogischen Ansatz unter Umgehung von Pädagogen: "Jung für Jung." Es ist ein Ansporn zur Selbsterziehung der Jugend.

Deshalb haben die Schüler nicht nur wieder diesen Kartenverkaufswettbewerb veranstaltet - wie schon beim ersten "Tonali" können sie per SMS-Abstimmung ihren Publikumspreis im Finale vergeben. Vor allem aber veranstaltete im Frühsommer jede der zwölf Schulen ein Gesprächskonzert mit ihrem Cello-Paten. Ein von Templeton und Matchin entworfenes Organisationspapier machte Musiklehrer und andere Erwachsene bei der Planung und Durchführung entbehrlich. Die Schüler übernahmen alles in Eigenregie. Und jetzt beim Wettbewerb bewertet eine (natürlich) zwölfköpfige Schüler-Jury in der Vorrunde B die Eignung der Kandidaten zur Musikvermittlung.

Nur begnadet Cello spielen: Das reicht heute nicht mehr, um ein junges Publikum zu begeistern. Drei Tage lang coachten die "Tonali"-Erfinder deshalb an der privaten Universität Witten/Herdecke die Kandidaten in "Kommunikationskompetenz für Musiker", also in der Kunst, auch ohne das Instrument die Neugier der jungen Zuhörer auf ein musikalisches Thema zu wecken.

"Wir sind ein Wettbewerb, transportieren damit aber ganz was anderes", sagt Templeton listig. Ohne falsche Künstlerscheu spricht er auch fließend Marketingdeutsch. Dann entfahren ihm Sätze wie: "Wir kommunizieren echtes Premium zu einem supergünstigen Preis." Diese Sprache kommt an, bei privaten Geldgebern und bei Stiftungen, die sich aus dem breiten "Tonali"-Angebot rauspicken können, worauf ihre Satzungsziele sie festlegen: "Kinder, Elite, Hamburg - für 99 Prozent aller Stiftungen ist bei uns was dabei", frohlocken die Initiatoren.

Ihr wirksamster Lockstoff: die eigene Begeisterung. "Tonali" sei "wie eine Bienenwabe: andocken, kleben bleiben", scherzt Matchin. Das Netzwerk, das die beiden in den letzten zwei Jahren geknüpft haben, schließt im Wege entwaffnender Umarmung auch potenzielle Konkurrenten ein. So soll etwa der Deutsche Musikrat, Träger von Jugend musiziert, bei "Tonali" 2013 (dann ist Klavier dran) einen der zwölf Wettbewerbsteilnehmer aus den eigenen Reihen bestimmen dürfen.

30 000 Euro fehlen zum diesjährigen Gesamtetat von 220 000 Euro noch. Aber den beiden Erfindern wächst deswegen kein graues Haar. "Wir haben zahlreiche Angeln im Wasser", sagt Boris Matchin. Man glaubt es, wenn man hört, dass der Präsident von Steinway International, Thomas Kurrer, ihnen für 2013 als Sonderpreis mal eben einen Flügel aus seiner Fabrikation versprochen hat. Und dass nach dem etwas heißblütig-amateurhaft geratenen Dokumentarfilm über "Tonali10" jetzt ein professionelles Team um den renommierten Fernsehregisseur Hannes Treiber und die Hamburger Produzentin Ute Schneider eine Doku über "Tonali12" drehen wird, mit "weltweiter Kinovermarktung", wie Templeton hofft. Viel Rückenwind für einen Wettbewerb, bei dem es nur Gewinner gibt.

"Tonali12" Eröffnungskonzert heute, 20.00 Uhr, St. Johannis, Turmweg. Die Wertungsspiele sind öffentlich und kostenlos; www.tonali.de