Tana Frenchs wuchtiger Kriminalroman erzählt in ebenso genauen wie grausigen Details vom Sterben einer Familie in einem irischen Dorf.

Es ist ein beschaulicher Platz, die kleine Ortschaft Broken Harbour an der irischen Küste. Gleich hinter den adretten Häusern türmen sich die Dünen, man hört das Rauschen des Meeres. Doch es liegt ein dunkler Schatten auf diesen Häusern. Die meisten von ihnen stehen leer, Bauruinen, unvollendet, vergessen. Eine geplatzte Immobilienblase. In eines dieser einst als Wohntraum für junge Familien gepriesenen Eigenheime ist der Tod eingezogen. Ein kleiner Junge und seine Schwester ruhen stumm in ihren Betten, mit einem Kissen erstickt. Der Vater liegt blutüberströmt in der Küche, ermordet, die Mutter lebensbedrohlich verletzt dicht neben ihm. Als wollten sie sich umarmen in ihrem letzten Augenblick.

"Schattenstill" heißt der vierte, 729 Seiten starke Kriminalroman der in Irland lebenden gebürtigen Amerikanerin Tana French. Es ist eine Geschichte, die voller Rätsel steckt: Woher stammen die vielen Löcher in den Wänden des apart eingerichteten Häuschens der Opferfamilie? Was sollen die sechs im Haus verteilten Babyfone mit eingebauten Kameras? Warum ist die Luke zum Dachboden mit kräftigem Draht verschlossen worden?

"Meine Aufklärungsrate ist so hoch, weil ich die Kontrolle behalte. Über Situationen, über Zeugen, über Verdächtige und vor allem über mich selbst." Detective Mike Kennedy ist ein Typ von unerschütterlichem Selbstvertrauen, selbstverliebt in seine kriminalistischen Fähigkeiten, nicht wissend, dass ihn dieser Fall an seine Grenzen treiben wird. Als Kind verbrachte Kennedy die Sommer mit seiner Familie in Broken Harbour - eine schöne Erinnerung, eine geschönte Erinnerung? Denn weshalb will der Detective vermeiden, dass seine verhaltensgestörte Schwester etwas von den grausigen Vorfällen in Broken Harbour erfährt?

Kennedy und sein junger Partner Richard Curran ermitteln methodisch, hartnäckig, penibel - und können schnell einen Verdächtigen festnehmen, einen Stalker, der die Familie offenbar über ein Jahr hinweg beobachtet hat. Kennedy scheint wieder einmal den richtigen Riecher gehabt zu haben, aber zu Ende geträumt ist dieser Albtraum noch lange nicht.

Tana French, 39, entwickelt ihre Geschichte sehr bedächtig, so genau wie grausig erzählt sie von den Details, dem Tathergang, der Obduktion der drei Leichen. Wie die Geschichte modelliert sie auch die Charaktere behutsam, schält sie gleichsam aus einer groben Form heraus, sodass all ihre Stärken und Schwächen plastisch und wie von einer gnadenlosen Sonne ausgeleuchtet zutage treten.

"Schattenstille" ist ein wuchtiger, ein dunkler Kriminalroman um Schuld und Verrat, der auch von einem freudlosen Land in den Zeiten der Krise erzählt. Broken Harbours gibt es viele in diesem Europa.

Tana French: "Schattenstill". Dt. v. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz, 729 S. 16,99 Euro

Tana French liest am 2. November beim 6. Hamburger Krimifestival auf Kampnagel.