Experten erklären, wie man jetzt schon das Image des Konzerthauses im Hafen aufbaut, obwohl erst in drei Jahren Eröffnung gefeiert wird.

Hamburg. Der Rohbau der Elbphilharmonie auf dem Kaispeicher A wächst, die Streitigkeiten um Zeitplan und Bauqualität halten locker Schritt. Am Johannes-Brahms-Platz - in den Büros der Hamburg Musik in Laeiszhalle und Brahmskontor - wird derweil an einer zweiten Elbphilharmonie-Baustelle gearbeitet, die nicht weniger anspruchsvoll und risikoreich ist: Dort entsteht all das, was später mal die Elbphilharmonie ausmacht - außer der Architektur. Eine 35-köpfige Crew um Generalintendant Christoph Lieben-Seutter bereitet dort vor, was 2013, wenn das Haus am Hafen eröffnet wird, den Anspruch Hamburgs einlösen soll, nicht nur zwei Konzerthäuser, sondern auch einen den zehn besten Konzertsäle der Welt zu haben.

Wie aber entwickelt man das Image eines Kulturortes, den es noch nicht gibt? "Für ein Weltklasse-Konzerthaus gibt es kein Rezept", sagt Lieben-Seutter. Aber Zutaten: "Die Architektur, die war von Anfang an Spitze. Die Top-Akustik ist bestens vorbereitet. Und das Programm, von dem wir selbst ja nur ein Drittel gestalten, kann man schon jetzt hören. Alle drei müssen auf das Ziel Weltklasse einzahlen."

Vertriebschef Thomas Harden fügt dazu: "Und der Service." Er kümmert sich auch um ein neues elektronisches Ticketsystem, das die Beziehungen zu den Kunden intensivieren kann und hilft, sie mit Konzertangeboten ihrer Präferenzen anzusprechen. Kundenfreundlichkeit hat Priorität. Christoph Becher, Referent des Intendanten, legt die Messlatte hoch: "Wir schauen überall auf der Welt, wo wir etwas lernen und besser werden können. Wir wollen nicht nur gut sein, wir wollen, wenn das neue Haus seine Türen aufsperrt, in allen Bereichen den Wow-Effekt." Die Architektur von Herzog & De Meuron formuliere diesen Anspruch.

Aufgerüstet wurde auch optisch: Plakate, Programme und andere Drucksachen sind auf den von Ruedi Baur in Zürich entworfenen Namenszug aus sich überlagernden, unterschiedlichen Schriften umgestellt - wie die Beschriftung, die später in der Elbphilharmonie die Wege weisen wird. "Das garantiert unsere Wiedererkennung auch ohne Logo", sagt Lieben-Seutter. Jedes Konzert bekommt ein eigens gestaltetes Plakat und qualitativ hochwertige Programmhefte. Eine wahre Flut von Drucksachen wird inzwischen an 40 000 Interessenten verschickt. Im Internet kann man die Künstler vorher hören und sehen.

Am Erscheinungsbild findet der Hamburger Gestalter und Marken-Kommunikator Peter Schmidt noch wenig Gefallen: "Ich sehe im Augenblick noch nicht, wie die Elbphilharmonie eine internationale Kulturmarke mit globaler Strahlkraft wie die Met, Scala oder das MoMA werden kann. Ist der Name 'Elbphilharmonie' überhaupt international markenfähig? Was sagt er wem? Kann man ihn emotional aufladen? Die übereinander gelagerten Schrifttypen auf Plakaten und Broschüren sehen unentschieden aus, so als ob viele Menschen gleichzeitig reden. Das demonstriert keinen Exzellenzanspruch, sondern strahlt eher Unsicherheit aus."

"Weltoffen, innovativ, neugierig, hochklassig" - so will Christoph Lieben-Seutter das Image der Elbphilharmonie. Dass sie einzigartig sein soll, hat für ihn keine Priorität: "Einzigartig wird der Bau und die Kombination von Haus und Programm."

Doch auch Peter Wippermann, Marken-Experte und Trendforscher ("Trendbüro") entdeckt Unentschiedenheit: "Will man mit internationaler Ausstrahlung an die faszinierende Visualität des Gebäudes anknüpfen oder eher nach Hamburg hinein wirken und mögliche Kritiker des teuren Projektes befrieden?"

"Unterschiedliche Garzeiten" räumt Becher den verschiedenen Bereichen des Konzerthauses ein. Manche laufen schon gut, andere werden noch zulegen. Ein Erfolg seien die Angebote für junge Zuhörer: "Dr. Sound im Einsatz" lockt Jugendliche aus Jenfeld, Mümmelmannsberg und Wilhelmsburg nach drei Konzerten in jedem Stadtteil mit ihren Eltern in die Laeiszhalle - für vier Euro pro Nase. Es gibt auch schon Babykonzerte und "Zukunftsmusik".

Etwa 100 eigene Veranstaltungen gab es in der ersten Saison der Elbphilharmonie-Konzerte. "Weltklasse-Konzerte hat Hamburg ja schon, schräge Events, großartige Stars, Avantgarde." Lieben-Seutter will gemeinsam mit der Programm-Macherin Petra Gaich mehr neue Formate entwickeln, eingefahrene Formen aufbrechen wie bei John Malkovich am vorigen Wochenende. Ihm sind Vielfalt und Überraschung bei hoher Qualität wichtig, das Hineinwachsen in andere Orte und das Erreichen neuer Zielgruppen mit Themenfestivals wie Akkordeon oder Türkei.

Genau da moniert Peter Wippermann eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: "Was ich von der Elbphilharmonie wahrnehme, ist löblich und geht in Richtung Demokratisierung der Kultur und den Versuch, den Widerspruch zwischen dem repräsentativen Bau und der Bevölkerung abzumildern. Es hört sich an wie eine pädagogische Form der O2 World."

Auch Peter Schmidt sorgt sich: "Die Elbphilharmonie ist für Hamburg eine einmalige Chance, die seit Jahrzehnten vorherrschende kulturelle Provinzialität zu überwinden. Aber wo ist der Exzellenzanspruch? Wo ist in dem Konzept etwa ein Restaurant, von dem die Welt sprechen wird? Wir brauchen Ereignisse, die es so nur in Hamburg gibt oder die von Hamburg aus um die Welt gehen. Vielleicht muss man auch mal nachdenken, ob man nicht aus den besten Musikern ein neues Hamburg-Orchester gründet, das bewusst so ausgestattet wird, dass es in der Weltspitze zu Hause sein kann und das dem Haus und der Stadt den unglaublichen Glanz bringt, den Hamburg so lange versäumt, auf jeden Fall aber verdient hat."

Während Lieben-Seutter noch immer mit der Terminunsicherheit für den wirklichen Startschuss im neuen Haus kämpft und ein Eröffnungsfestival eher später im Herbst 2013 sieht, wünscht sich Peter Schmidt "zu Beginn drei Jahre lang jedes Jahr zehn Spektakel, die global beachtet werden - nicht nur Konzerte, sondern unerhörte Dinge, die weltweit im Fernsehen übertragen werden." Er fände es schlimm, falls die Elbphilharmonie etwas wird, "das in Wien niemanden mehr interessiert".

Lieben-Seutter sieht das ein wenig anders: Er entwickelt sein Konzertprogramm in erster Linie für das Hamburger Publikum und will damit vor allem neue Schichten ansprechen. Er setzt auf Glaubwürdigkeit, auf Vertrauen und Neugier aufs Programm. Seine Vision ist ein Konzerthaus der Zukunft, das sich ganz anders definieren muss als noch 1990: "Das Publikum wird ein anderes sein, mit anderen Erwartungen. Da muss man Weltklasse nicht allein in der Kunst sein, sondern auch bei der Zugänglichkeit."