Kabarettistin, Akkordeon-Spielerin, Autorin, Nonne, Lehrerin: Isa Vermehren führte ein Leben voller spannender Wendungen. Jetzt verstarb die langjährige Leiterin der Hamburger Sophie-Barat-Schule. Geboren wurde sie 1918 in eine Lübecker Familie.

Hamburg. "1947 klopfte ich bei der Gesellschaft der Ordensfrauen vom Heiligsten Herzen Jesu an und sagte zur Oberin, dass ich Auto fahren, Ziehharmonika und Theater spielen kann und ungewöhnliche Erlebnisse gehabt hätte." Mehr Untertreibung in eigener Sache geht wohl kaum noch. Denn der Lebenslauf von Schwester Isa Vermehren klang schon bis zu diesem Zeitpunkt wie von einem übereifrigen Schriftsteller erfunden, der ausprobieren will, wie viele radikale Wendungen er so gerade noch glaubhaft anbieten kann. Am vergangenen Mittwoch ist Vermehren, die langjährige Leiterin der Hamburger Sophie-Barat-Schule, im Alter von 91 Jahren in Bonn gestorben.

1918 in ein evangelisches Lübecker Elternhaus geboren, flog das junge Mädchen von der Schule, weil es lieber von der Schule flog als widerspruchslos wie so viele andere die Nazi-Fahne beim Morgenappell zu grüßen.

Isa wurde in der Hoffnung auf die schützende Größe der Hauptstadt aus der vehement erbraunten Provinzstadt nach Berlin verfrachtet und - mit 15! - Kabarettistin im berühmten "Katakomben"-Ensemble von Werner Finck, neben Theo Lingen und Ursula Herking. "Dort wurden die besten Witze gemacht, aber leider auch die gefährlichsten." Ihr damals sehr loses Mundwerk bescherte dem "Mädchen mit der Knautschkommode" - ihr Akkordeon hatte sie "Agathe" getauft - einen Szene-Hit und viel Ärger. In ihrer politisch inkorrekten Version von "Eine Seefahrt, die ist lustig" sang sie, Goebbels für jeden sehr offensichtlich im Hintersinn: "Unser Erster auf der Brücke ist ein Kerl Dreikäsehoch, aber eine Schnauze hat er wie 'ne Ankerklüse hoch."

Der Dreikäsehoch vergaß das nicht und rächte sich, 1935 wurde das Kabarett verboten. Der Warnschuss wurde registriert. Weitergemacht wurde trotzdem. Vermehren spielte in mehreren Kinofilmen, unter anderem in "Knock Out" mit Max Schmeling und Anny Ondra.

1938 konvertierte Vermehren zum Katholizismus und tingelte während der Kriegsjahre im Rahmen der "Wehrbetreuung" mit ihrer Agathe an diversen Frontlinien entlang. 1944 wurde sie von den braunen Machthabern ins KZ geworfen, weil sich ihr Bruder, ein Diplomat, nach England abgesetzt hatte. Es war der erste Fall von Sippenhaft, angeordnet von Goebbels persönlich. Was sie in Ravensbrück, Buchenwald und Dachau erlebte und überlebte, hielt sie in dem Buch "Reise in den letzten Akt" für die Nachwelt fest. "Sie ahnen nicht, was im Menschen ist, wenn Sie das nicht gesehen haben", sagte sie später, "er ist weder edel noch hilfreich, noch gut." Vermehren studierte Englisch und Deutsch und wurde 1951 Ordensschwester, nachdem sie vier Jahre zuvor in Helmut Käutners Trümmerfilm "In jenen Tagen" mitgewirkt hatte.

Weder Bühnenerfahrung noch Führerschein nützte der Ordensnovizin anfangs viel - Lehrerinnen wurden dringender gebraucht. Vermehren fügte sich und wurde Lehrerin. 1961 betraute man sie mit der Leitung des St.-Adelheid-Gymnasiums in Bonn-Pützchen.

In Hamburg wurde Vermehren einige Jahre später zu einer moralischen Instanz, als sie die Leitung der Sophie-Barat-Schule übernahm - 1969, in einer Zeit, in der Katholizismus, wie er an der damaligen Mädchenschule gepredigt wurde, bei vielen Jugendlichen Welten davon entfernt war, in oder wenigstens beliebt zu sein. Ein Jahr nach Amtsantritt gab die Direktorin dem "Zeit"-Reporter Ben Witter auf die Frage nach der Pille die schöne Antwort: "Dieser Ausdruck ist bisher noch nicht gefallen."

"Mutter Vermehren" blieb an der Schule und prägte sie bis 1983. In fortgeschrittenem Alter, jenseits der Pensionsgrenze, machte Schwester Isa vom Bonner Sophie-Barat-Haus aus noch einmal Karriere vor Publikum; diesmal allerdings auf einer ganz anderen, viel größeren Bühne als in der Kabarett-"Katakombe". Sie ging zum Fernsehen. Zwölf Jahre lang, von 1986 bis 1998, las sie eingerahmt von Nachrichten, Lottozahlen und Spielfilm einem Millionenpublikum in der ARD liebevoll, aber direkt die Leviten.

Ihr regelmäßig ausgestrahltes "Wort zum Sonntag" kam so gut an, dass Vermehren neben dem Bundesverdienstkreuz auch den Deutschen Predigtpreis 2003 erhielt, weil sie, frei nach Luther, dem Volk aufs Maul geschaut habe. Ihr Hamburger Biograf Matthias Wegner ("Ein weites Herz") fasst ihr Erfolgsgeheimnis als Gratwanderung zusammen - sie war einerseits die "strenge Katholikin, die sich bewusst als Konservative bezeichnete", andererseits hatte sie eine "enorme Liberalität im Umgang mit Menschen und Ereignissen".

Auch Vermehrens Akkordeon Agathe wurde gewürdigt: Es erhielt 2005 einen Ehrenplatz im Bonner Haus der Geschichte.