Pina Bausch hat den zeitgenössischen Tanz revolutioniert. Sie war glühend verehrtes Vorbild für Generationen von Choreografen, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt.

Hamburg. Die international gefeierte mit Preisen ausgezeichnete Choreografin ist am Dienstagmorgen in Wuppertal im Alter von 68 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Mitte Juni hatte sie Premiere mit ihrem neuen Stück in Wuppertal gehabt, wurde vom Publikum gefeiert, von der Kritik für den Charme, die Leichtigkeit ihrer nun letzten Choreografie gerühmt.

Der Tanzabend trug keinen Titel. Ein Markenzeichen der Bausch, denn sie hatte den Namen, der für sie und ihre Arbeit bürgte. Bausch, an der Essener Folkwang-Schule von Kurt Jooss, dem Papst des deutschen zeitgenössischen Tanzes ausgebildet, hat nie interessiert, wie Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt. Virtuosität hat die Choreografin von ihren Tänzern auf eine andere Weise gefordert: Sie mussten sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in den Probenprozess einbringen und dennoch Schwierigkeiten mit Text, Gesang und Tanz perfekt meistern. Die Hamburger konnten im Schauspielhaus ihr Signaturstück "Nelken" sehen, auf Kampnagel "Café Müller", "Kontakthof" mit Senioren oder früher noch "Two Cigarettes in the Dark".

Bekanntlich rauchte die am 27. Juli 1940 in Solingen geborene Gastwirtstochter Kette. Ihr blasses, feines Gesicht verschleierte fast immer Zigarettendunst. Doch der Blick war hellwach. Sie beobachtete scharf, genau und redete nur das Nötigste. Choreografien zu erklären, wäre Bausch nicht im Traum eingefallen. Was sie zu sagen hatte, hat sie in ihren Collagen und Revuen klar und zugleich faszinierend rätselhaft ausgesprochen: Anfangs beschäftigten sie die kaputten Beziehungen zwischen Mann und Frau ("Blaubart"), später ließ sie sich in den lichten Stücken von der Kultur fremder Länder inspirieren.

John Neumeier - wie Bausch begann er 1973 mit dem Aufbau einer Kompanie - war bestürzt von der Nachricht: "Das ist ganz schockierend, eigentlich unvorstellbar", sagte der Intendant des Hamburg Balletts und würdigte Bausch als Erneuerin des Tanzes. "Sie hat die ganze Tanzwelt mit ihren Werken regelrecht geschüttelt, es waren sehr offene, ehrliche Arbeiten. Und diese Art von Ehrlichkeit war wie ein Gegengift zum Manierismus des traditionellen Balletts. Ich habe sie persönlich gekannt und wir haben einander respektiert, auch wenn wir beide eine total andere künstlerische Handschrift haben", betonte er und meinte: "Pina Bausch hat mit ihren Choreografien Bomben gesetzt - alle mussten darüber nachdenken - ich werde ihre Präsenz sehr vermissen." Sie habe die Grenzen zwischen Theater und Tanz gesprengt, dieser Kunst ein völlig neues Publikum gewonnen, das dem Ballett gegenüber kritisch blieb. "Ich finde, der Begriff Tanztheater hat erst durch sie seine Berechtigung gewonnen." Zu seinen Lieblingsstücken von Bausch gehöre ihr frühes Werk "Frühlingsopfer/Le Sacre du Printemps" von 1975: "Unvergesslich, diese Konsequenz", rühmte Neumeier.

Auch für Vladimir Malakhov, den Ersten Solotänzer und Intendanten des Berliner Staatsballetts, geht der Welt "eine der wichtigsten Choreografinnen" verloren. "Sie war nicht nur eine großartige Tänzerin und Choreografin, sie war auch ein wundervoller Mensch mit einem großen Herzen." Filmregisseur Wim Wenders hatte die Absicht, im September einen Film mit ihr zu drehen und sagte: "Ihr plötzlicher Tod ist ein großer Schock - für ihre Familie, für ihre Tänzer und Mitarbeiter, für ihre Freunde und für alle Menschen, die von ihrem Tanztheater berührt und beseelt waren." Sie hatte schon in Federico Fellinis Film "E la nave và" mitgespielt, Tänzer von ihr rührten einen spanischen Macho in Pedro Almodóvars "Sprich mir ihr" zu Tränen. Sie selbst führte Regie beim Film "Die Klage der Kaiserin".

Bausch war eine Universalkünstlerin. Wie es mit dem Tanztheater Wuppertal und dem Repertoire weitergeht, ist noch ungewiss. Viele Protagonisten der ersten Stunde - Josephine Ann Endicott, Mechthild Grossmann, Dominique Mercy oder Lutz Förster - können die Stücke erhalten. Die Tänzer reagierten erschüttert. Sie befinden sich gerade auf Gastspiel in Wroclaw (Breslau), werden aber auch zu den Auftritten in Moskau, Sao Paulo oder Kairo reisen. Sie machen, was sich Pina gewünscht hätte: Sie tanzen ihre Stücke weiter, halten die Choreografin in ihrem Werk lebendig.