Die Gruppe Tonbandgerät ist auf dem Sprung in die Musikbranche. Das Abendblatt begleitet sie auf ihrem Weg. Die Band, Teil 1: Im Proberaum.

Hamburg. Es gibt diese besonderen Momente, da scheint alles ganz offen. Sie machen Angst, sie machen euphorisch. Doch selten ist dieses Gefühl so voll von Süße und Sprengkraft wie mit Anfang 20. Die Schule vorbei, die Wege frei. Die Hamburger Band Tonbandgerät packt diese Energie in Pop.

"Wir haben die Zeit/wie andere das Geld/wir wollen nicht viel/wir wollen nur die Welt", singt Ole Specht. Seine Arme federn dabei auf und ab. Die Bewegungen, sie sind immer da. Sie springen an mit der Musik. Nicht nur auf der Bühne, vor Publikum, sondern auch mit den drei anderen, im Proberaum. Ein kleiner Würfel in einem Bunker in Hamm ist Keimzeile dessen, was jetzt gerade losgeht. Es gibt kein Fenster, aber die Zukunft steht sperrangelweit offen. Der erste Plattenvertrag, der erste Fernsehauftritt, das erste Mal im Radio. Der Sender N-Joy schickt die Band ins Rennen um den New Music Award. Im November spielen sie ihre erste große Soloshow im Knust. Vieles ist momentan sehr neu im Leben von Tonbandgerät. Aber die vier Freunde, sie sind sich schon lange vertraut.

Draußen scheint die Sonne, drinnen die Lichterketten. Auf dem alten Teppich steht das Quartett mit den Gesichtern zueinander. Isa Poppensieker zupft ihren Bass, sodass der Song dunkel pulsiert. Das gelbe Sommerkleid, die blonden Haare, alles beginnt zu schwingen. Sie schaut kurz hinüber zu ihrer Schwester Sophia, die nur zwei Meter entfernt eine helle Melodie aus der Gitarre schickt. Ganz ruhig und konzentriert bearbeitet sie ihr Instrument. "Here we are", steht in Rosa auf dem weißen T-Shirt. Wir sind hier. Im Jetzt.

Den Herzschlag für den luftigen Sound der Band liefert Jakob Sudau, der zwischen den beiden an den Drums sitzt. Die Arme schmal, der Schlag akzentuiert, die Locken wild. Jeder spielt und hört und wippt für sich allein und zugleich für alle zusammen. Die Kommunikation funktioniert über Blicke. Und über den Beat. "Immer, immer höher", singt Ole. Die Augen leicht verschlafen, der Mund dafür strahlend groß wie ein Scheinwerfer. Seine Stimme tönt hoch: "Immer, immer näher." Die Nähe ist spürbar in diesem Kleeblatt. Sie ist langsam gewachsen.

Damals, vor fünf Jahren, suchten die beiden Poppensieker-Schwestern Musiker für eine gemeinsame Band. "Wir wollten jemanden, der meine Lieder singen möchte, denn ich hatte keine Lust dazu", erzählt Sophia, die alle Songtexte schreibt, aber selbst lieber Gitarre spielt. Ein Freund reichte YouTube-Links von Ole weiter, die Mädchen schrieben ihn über MySpace an. Das Internet, eine Kontaktbörse.

"Ich war erst ein bisschen skeptisch", sagt der 23-Jährige und lacht. "Aber Sophias Texte fand ich sehr cool und interessant, weshalb ich das ausprobieren wollte." Dass er von den Empfindungen singt, die aus weiblicher Sicht verfasst wurden, ist ungewöhnlich, verleiht den Liedern aber eine feine Spannung. "Er hat den Stress auf der Bühne, ich habe den Stress zu Hause", sagt Sophia. Ein Transfer von innen nach außen, von ihrer Seele zu seiner Stimme. Sie kann in Ruhe beobachten, wie sich ihre Verse verwandeln, wenn Ole sie interpretiert. Verse wie "und die Straßen bleiben ganze Sommer lang fest in unseren Händen". Verse über Ideale, Zweifel und Aufbruch, allein sein wollen und lieben können. Daran denken, was früher war. Das besagt auch der Name Tonbandgerät. Eine Erinnerungsmaschine, über die sich Augenblicke und Gefühle abrufen lassen.

Wie Sophia dasitzt, mit dem geraden Pony, der exakt auf ihre Augenbrauen fällt, entsteht schnell der Eindruck, dass sie die Nachdenkliche der Band ist. Mag sein. Aber verkopft ist sie nicht. Ihre Texte sind impulsiv, auch verträumt. "Meine Songs sind kein Tagebuch", sagt die 23-Jährige. "Wir sehen uns fast jeden Tag. Und wenn nicht, dann schreiben wir uns. Die meisten Songs handeln davon, was wir zusammen erlebt haben", erzählt Jakob. Seine Stimme klingt warm, ganz freundschaftlich.

Hinter ihm an der Wand hängt ein Lebkuchenherz, das Oles Mutter der Band zum Fünfjährigen geschenkt hat. "Herzlichen Glückwunsch" steht darauf. Gegenüber, über dem alten Sofa, prangt ein großes Foto von der Bühne des Woodstock-Festivals. Mit Blick auf das Publikumsmeer. "Das motiviert", sagt Jakob.

Als die Band vor zweieinhalb Jahren einen neuen Drummer suchte, kam der 22-Jährige dazu. "Und nach zwei Proben stand direkt das bis dato größte Tonbandgerät-Konzert an, ein Benefizfestival in Emden vor 800 Leuten. Da war ich ein wenig überrumpelt", erinnert sich Jakob. Ebenfalls 2010 spielte die Band bereits auf dem Wilhelmsburger Dockville-Open-Air, nachdem sie den Förderpreis "Krach und Getöse" des Vereins RockCity gewonnen hatte.

"Die Aufbauphase musste Jakob nicht mitmachen", sagt Sophia und grinst. Ganz zu Beginn waren sie - noch ohne Führerschein - mit der U-Bahn "oder mit Papa" zu ihren ersten Konzerten in Jugendzentren und kleine Klubs gefahren. Zum Beispiel in den Musikklub Live an einem verregneten Dienstagabend. "Es waren drei Leute da, eine davon war meine Logopädin", erzählt Ole. Nach zwei Songs blies der Veranstalter den Auftritt ab. Die Anfänge, sie brauchen Ausdauer und Optimismus. "Komischerweise haben wir uns nach so einem Auftritt nie Gedanken darüber gemacht, ob wir weitermachen. Das stand nie zur Debatte", sagt Ole und schaut jetzt ganz wach aus den blauen Augen.

Tonbandgerät war damals eine klassische Schülerband. Die Gymnasien in Eimsbüttel lagen nah beieinander. Die Welt war noch nicht so weit, wie sie jetzt scheint. Und die große Karriere haben die vier nie bewusst geplant. "Ich bin einfach immer zur Probe gegangen", sagt Ole. "Es hat Spaß gemacht." Vier- bis fünfmal pro Woche komponiert und trainiert, verfeinert und verwirft die Band mittlerweile ihre Lieder. An die 20 Stück sind es momentan. Auf einem Flipchart sind die Favoriten mit einem Herzen versehen. Jedes Intro, jeder Schlag, jeder Akkord kommt auf den Prüfstand, bis sie der Banddemokratie standhalten. Wie beim Song "Auf drei".

Jakob hat seit ein paar Wochen ein neues Samplepad, mit dem sich Musik in Schleifen abspielen lässt. Wie lassen sich die Effekte in den Sound einbauen? Klappt das Timing? Experimentieren ist ebenso notwendig wie wiederholen, wiederholen, wiederholen. "Lass uns das noch mal ab 'Wir wollen Schiffe aus Papier' machen", schlägt Jakob vor und beginnt mit kerzengeradem Rücken den Takt zu tackern. Über das Fell der Trommel hat er seine Jeansjacke gelegt. Sonst wäre da zu viel Klang für zu wenig Raum. Dennoch schieben sich alle zusätzlich Gehörschutz in die Ohren. Wer Musik macht, will sie noch lange hören. Und Ole beginnt zu singen: "Wir wollen Schiffe aus Papier/die niemals sinken/die uns tragen/und im Nebel blinken." Seine Stimme, der Sound, sie dringen an die dicken Bunkerwände, an die Technik auf der Bierkiste, die Gitarren im Ständer, die Ledertasche in der Ecke.

Der Bunker in Hamm ist bereits der sechste Übungsraum der Band. Die vier stehen dort immer genau an den gleichen Stellen. Das Vertrauen ist nicht blind, aber intuitiv. "Streiten mussten wir auch erst lernen. Das war gar nicht so einfach", sagt Ole. Manchmal, erzählt er, gehe er auch sauer aus dem Proberaum, weil er mit einer Stelle nicht zufrieden sei. "Es hilft total, das dann mal ruhen zu lassen." Und dann geht es weiter. Die Band ist keine, die sich durch coole Zickereien einen Namen machen möchte. Dafür lieben sie ihre Musik zu sehr. So sehr, dass manche Songs Kosenamen haben. Aus "Hirngespenster" wird kurz "Hirni". Eine Nummer über Abhängen vorm Kiosk, über Veränderung, über den süßen Vogel Jugend.

Doch auch wenn die Zukunft sperrangelweit offensteht, gibt es Momente, in denen Weichen gestellt werden müssen. Die erste schwierige Frage für Tonbandgerät war, ob die Bandmitglieder nach dem Abi in Hamburg bleiben oder woanders studieren wollen. "Das war eine große Entscheidung", sagt Ole. "Aber wir haben gesagt: Nee, wir wollen die Band wirklich weitermachen."

Tonbandgerät live: 8.3.2013, Uebel & Gefährlich; Bandwebsite: www.musikvomband.de

Alle bisherigen Teile der Abendblatt-Serie zu Tonbandgerät unter www.abendblatt.de/tonbandgeraet