Ryan Gosling und Michelle Williams - zwei Beispiele für eine junge Generation von Schauspielern, die ältere Kollegen in den Schatten stellt.

Hamburg. Für den Golden Globe ist er bereits nominiert, für die Oscar-Verleihung gilt er als Mitfavorit. Ganz Amerika schwärmt zurzeit für Ryan Gosling , jenen erst 31 Jahre alten Schauspieler, der in diesem Jahr gleich für vier Filme mit euphorischen Kritiken überschüttet wurde. Sein weibliches Pendant heißt Michelle Williams. Auch sie ist 31 und gilt als Muse der Independent-Regisseure. Beide waren in diesem Jahr in "Blue Valentine" zu sehen. Für dieses Beziehungsdrama lebten die beiden vor Drehbeginn monatelang zusammen, um sich im Alltag kennenzulernen und diese Gewohnheiten und Rituale später in den Film einbringen zu können - eine ungewöhnliche und zeitaufwendige Methode.

Ryan Gosling und Michelle Williams stehen für eine neue Generation von Hollywood-Schauspielern. Glamouröse Premierengalas und 20-Millionen-Dollar-Gagen interessieren sie weniger als ungewöhnliche Drehbücher. Zwar musste auch Gosling für die Premiere des Films "Drive" in Cannes über den roten Teppich laufen, doch so richtig glücklich wirkte er in seinem schnieken blauen Anzug nicht. Bei der Festivaleröffnung in Venedig ein paar Monate später für "The Ides Of March" fehlte er dann als einziger in George Clooneys Entourage.

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Das Independent-Festival in Sundance, mitten in Utah gelegen, ist für beide Schauspieler ein passenderer Ort. Das von Robert Redford unterstützte Festival ist zur wichtigsten Plattform unabhängiger Filmemacher in den USA geworden. Hier begann die Karriere von Regisseuren wie Quentin Tarantino, Jim Jarmusch und Robert Rodriguez, hier tauchen jedes Jahr neue Schauspieler in kleinen Filmen auf, deren Name später bei den großen Studios gehandelt werden und die sich dann auf den Besetzungslisten teurer Produktionen finden.

Ein Beispiel für so eine Karriere liefert Jessica Chastain, Jahrgang 1981. Im vergangenen Januar überschlugen sich die Kritiker für ihre Rolle als Ehefrau eines von apokalyptischen Albträumen heimgesuchten Mannes, nachdem "Take Shelter" in Sundance Premiere gefeiert hatte. Später im Jahr spielte sie an der Seite von Brad Pitt im Cannes-Gewinner "The Tree Of Life", in dem Südstaatendrama "The Help" und drei weiteren Filmen.

Jessica Chastain scheint gerade omnipräsent zu sein. Auf die A-Liste hat die Rothaarige es geschafft, weil sie als zähe Schauspielerin gilt, die ihre Rollen mit Hingabe und Ernsthaftigkeit angeht. "Sie ist ein Chamäleon", sagt Schauspielerkollege Sam Worthington über Chastain. Weitere Newcomer der vergangenen zwei Jahre sind Jennifer Lawrence, 21, die den Durchbruch mit "Winter's Bone" geschafft hat, Saiorse Ronan, 17, die in "Abbitte", "In meinem Himmel" und "Wer ist Hanna" brillierte, oder die Australierin Mia Warsikowska, 22, gerade als "Jane Eyre" in unseren Kinos und demnächst in Gus Van Zants "Restless" zu sehen. Auffällig ist, dass vor allem junge Frauen dieser neuen Schauspielergeneration ein Gesicht geben. Bei den männlichen Kollegen ist neben Gosling noch James Franco erwähnenswert.

So viele schauspielerische Talente wie im Moment gab es lange nicht mehr. Wie diese jungen Akteure in Hauptrollen brillieren und ältere Kollegen in den Schatten stellen, das erinnert an die 70er-Jahre, als eine Phalanx von Regisseuren und Schauspielern das New Hollywood kreierte und sich gegen das herkömmliche Studiosystem positionierte. Regisseure wie Robert Altman, Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich und Martin Scorsese, Schauspieler wie Robert De Niro, Warren Beatty, Faye Dunaway, Jeff Bridges, Peter und Jane Fonda, Jack Nicholson und Robert Redford waren die wichtigsten Figuren eines neuen Aufbruchs. Mit kritischen Filmen, die ein anderes, oft hässlicheres Bild von Amerika zeigten als den bürgerlich-puritanischen "american way of life", holten diese kreativen Köpfe wieder ein jüngeres Publikum in die Kinos und beendeten den kommerziellen Niedergang der Filmindustrie.

Aktuelle Independent-Produktionen wie "Winter's Bone" oder "Blue Valentine " spielen am US-Boxoffice keine große Rolle, im Moment profitiert Hollywood von seinen 3-D-Filmen und konnte in diesem Jahr trotz zurückgegangener Besucherzahlen den Umsatz wegen gestiegener Ticketpreise steigern. Aber diese Filme bringen neue Themen und neue Gesichter auf die Leinwand und sind das wichtige Sahnehäubchen in dem Einerlei der Blockbuster und austauschbaren Genrefilme.

Wie zum Beispiel "Meek's Cutoff" von Kelly Reichardt. In diesem feministischen Western im Zeitlupentempo spielt Michelle Williams eine schweigsame Pioniersfrau. Und obwohl sie nicht viel Text hat, dominiert sie die Leinwand allein mit ihrer Präsenz. Sie hat die außerordentliche Fähigkeit, mit zurückgenommenen Spiel emotionale Nuancen zu zeichnen. Die Ex-Frau von Heath Ledger gehört zu jenen feinfühligen Schauspielerinnen, die beim Zuschauer Empathie auslösen. Das war so in dem Roadmovie "Wendy und Lucy", ebenfalls von Kelly Reichardt in Szene gesetzt, wie auch in "Brokeback Mountain", wo sie die Frau des homosexuellen Cowboys (Heath Ledger) spielt.

Auch Ryan Gosling verfügt über diese Fähigkeiten, alleine mit Mimik das auszudrücken, wofür andere zwei Seiten Text benötigen. Über die "Iden des März" sagte er, dass er versucht habe, einen Mann mit zwei Gesichtern zu spielen: im ersten Teil den enthusiastischen Wahlkämpfer für den Präsidentschaftskandidaten Morris (George Clooney), im zweiten den enttäuschten Pragmatiker, der seinen Kopf von seinem Herz getrennt hat. Diese Ambivalenz findet sich auch in anderen Filmen von Gosling: In "Blue Valentine" zerfällt sein Charakter in den fürsorglichen Vater und den aggressiven Ehemann, in "Drive" (deutscher Filmstart: 26. Januar 2012) spielt er einen sanften Stuntman, der zum brutalen Killer wird, weil die Umstände ihm keine andere Wahl lassen. In "Drive" wirkt Ryan Gosling genauso cool wie Robert De Niro 1975 in "Taxi Driver".

Nicht nur Ryan Gosling, auch Michelle Williams kann sich Hoffnungen auf eine Oscar-Nominierung machen. Seit drei Wochen läuft in den USA "My Week With Marilyn", in dem sie Marilyn Monroe verkörpert. Wieder erntet sie begeistertes Lob für ihre Darstellung. Der renommierte Kritiker Roger Ebert bringt es auf den Punkt: "Sie bringt so viele Marilyns zum Leben, öffentliche und private, wirkliche und fiktionale. Wir wissen nichts über Monroe, aber so wie Williams sie spielt, muss sie gewesen sein."

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