Kaum jemand kam den internationalen Stars - wie zum Beispiel Louis Armstrong - der Jazz-Szene so nahe wie die Fotografin Susanne Schapowalow.

Hamburg. Natürlich war sie auch in New York, die deutsche Fotografin mit dem russischen Namen, der so klingt wie ein geheimes sowjetisches Raumfahrtprogramm oder das Nachfolgemodell der Kalaschnikow. Ein paar Mal sogar reiste sie über den Atlantik, damals, als das Reisen noch ein Abenteuer war, glamourös und ungewöhnlich. Mit der Kamera im Gepäck besuchte sie in New York ihre Freunde - Duke Ellington, Quincy Jones, Oscar Pettiford und wie sie alle hießen. Doch die wenigsten Jazz-Fotografien der Susanne Schapowalow stammen aus der Stadt, in der viele der Abgebildeten ihr kärgliches Zuhause hatten. Die Größten des Jazz fotografierte sie vor einem halben Menschenleben meist in Deutschland, in Frankfurt, Berlin, Baden-Baden - und am häufigsten in Hamburg.

Heute, mehr als 50 Jahre später, lehnen etliche Kartons mit Fotografien in Wechselrahmen an einer Wand im Treppenhaus der Villa in Malente, deren Erdgeschoss die alte Dame bewohnt. Die Bilder, die ihr besonders lieb sind, hat sie an den Wänden des Flurs aufgehängt: Louis Armstrong, Quincy Jones oder Eartha Kitt, auch Igor Strawinsky mit seiner dicken schwarzen Brille, den sie 1956 in seinem kreativ unaufgeräumten Hotelzimmer in Venedig ablichten durfte. "Ich hatte Glück, dass da gerade eine Gondel über den Kanal fuhr. Und sehen Sie, wie schön die Fenster sind!" Bei anderen Bildern versagt die Erinnerung an den Moment der Aufnahme, von Strawinsky aber weiß sie alles noch genau. Und von Duke Ellington. "Wir wussten, was wir aneinander hatten", sagt die Fotografin über ihr Verhältnis zum vielleicht größten Komponisten des Jazz.

Das mit dem Verhältnis darf man bitte nicht falsch verstehen. Wenn man es doch tut und sie fragt, ob sie mit dem einen oder anderen Musiker vielleicht mehr verband als nur die Beziehung zwischen Fotografin und Modell, dann wird die Luft in der gut geheizten Villa mit dem traumhaft schönen Blick auf den Kellersee plötzlich dünn und kalt. Fragen, die sie als indiskret empfindet, kann Frau Schapowalow mit einer unsichtbaren Kalaschnikow so vaporisieren, dass sie noch nicht einmal sagen muss, dass sie solche Fragen nicht zu beantworten gedenkt.

Erst vor drei Jahren wurde Susanne Schapowalow, die fast sieben Jahrzehnte ihres Lebens in Hamburg wohnte, als Jazzfotografin wiederentdeckt - in Berlin. Das vornehme Ellington-Hotel in der Nürnberger Straße hat Entree, Bar und Rezeption mit ihren Arbeiten dekoriert, die renommierte Galerie Camera WorX richtete eine eigene Ausstellung aus. Nun endlich hat die fein resolute alte Dame eine Werkschau zwischen zwei Buchdeckeln bekommen ("sophotocated lady"), die bei aller Opulenz doch nur einen kleinen Teil ihres Schaffens umfasst.

Wer den Jazz liebt, insbesondere den der 40er- bis 60er-Jahre, diese wohl erotischste, aufregendste, komplizierteste und oft melancholischste Musik des 20. Jahrhunderts, der wird in den Bildband mit Susanne Schapowalows Schwarz-Weiß-Fotos eintauchen wie in ein Solo des Trompeters Miles Davis. Diese Bilder sind nicht nur ein Trip in die Vergangenheit des Jazz. Sie sind auch ein Stück unverhofft zugänglich gewordener und glanzvoll aufbereiteter Hamburger Nachkriegsgeschichte.

Fans kennen und lieben die stimmungsvollen Jazz-Fotos des Berliner Emigranten Francis (Frank) Wolff, der 1939 in New York das Label Blue Note mitbegründete und durch seinen besonderen Kamera-Blick auf die Musiker die Ästhetik der Plattenhüllen und damit auch die Wahrnehmung von Jazz überhaupt prägte. Das Lebensgefühl Jazz fingen damals auch Fotografen wie William Claxton oder in Deutschland der Münchner Sepp Werkmeister ein. Junge, gut angezogene und in ihrer Heimat wegen ihrer Hautfarbe schlecht behandelte Männer rauchten, was das Zeug hielt. Im Schummerlicht von Nachtklubs oder in der sachlichen Beleuchtung eines Studios glänzten Klappen, Ventile und Züge ihrer Saxofone, Trompeten oder Posaunen, mischte sich das Schwarz-Weiß der Klaviertasten mit den hellen, steif gebügelten Hemden über den tadellos sitzenden dunklen Hosen der Instrumentalisten. Aus den Schalltrichtern schien eine Musik zu strömen, so luftig und verschnörkelt wie der Tabakqualm, der von den glühenden Zigaretten aufstieg, ein träger, giftig-schöner Tanz. Unübersehbar lieben die Männer auf diesen Fotos, was sie tun. Traumverloren, oft mit geschlossenen Augen spielen sie ihr Saxofon, sie flirten mit ihren Tönen oder lauschen in ihre Instrumente hinein.

Dass damals auch eine weiße Frau aus Hamburg, behängt mit einer doppeläugigen Rolleiflex, Stativen und zwei 500-Watt-Lampen, Zugang zu dieser Männerdomäne überwiegend schwarzer Amerikaner hatte, und dass sie ihnen so nahe kommen durfte wie kaum jemand sonst: Das war der Jazzgeschichtsschreibung bislang allenfalls eine Fußnote wert.

Weil die stets adrett gekleidete Frau mit den großen Augen das Talent besaß, sich beim Fotografieren nahezu unsichtbar zu machen, durfte sie ihre Bilder auf und hinter der Bühne aufnehmen, in der Garderobe und bei den Proben. Die damals gängige Praxis beim NDR, Jazzmusiker gleich für mehrere Tage einzuladen, sie probieren und einander kennenlernen zu lassen, kam Schapowalows Arbeit entgegen. Aus der Zuschauerperspektive fotografierte sie nur in Ausnahmefällen. So konnte sie den Lesern der Zeitungen und Zeitschriften, für die sie als freie Fotografin arbeitete, die Binnenperspektive des Jazz zeigen. Ihre Bilder erzählen von der großen Freiheit der Improvisation, von der Freude, von Albereien, vom Warten, von der Müdigkeit, von der Disziplin und Konzentration beim Musikmachen. Und auch von der Genugtuung schwarzer Künstler, dass man sie hier in Europa nicht nur tolerierte, sondern vielfach verehrte. So drückte Schapowalow mit wachem Blick für die politische Brisanz des Augenblicks im Februar 1953 in einem Hamburger Hotel genau in dem Moment auf den Auslöser, als ein weißer Kellner der großen schwarzen Lady des Jazzgesangs, Ella Fitzgerald, fast demütig ein Glas Weißwein servierte.

Susanne Schapowalow, 1922 in Berlin geboren und als Tochter eines Kaufmanns und einer fotobegeisterten Mutter in behüteten, kunstsinnigen Verhältnissen im Stadtteil Friedenau aufgewachsen, kam mit 14 Jahren nach Hamburg. Man wohnte in Blankenese, nach der mittleren Reife lernte Susi Wietz, wie sie damals noch hieß, bei der Hamburger Porträtfotografin Olga Linckelmann am Jungfernstieg ihr Handwerk. Den Mann, dem sie ihren klangvollen Nachnamen verdankt, lernte sie noch vor dem Krieg auf einer Seereise in der Adria kennen. Boris Schapowalow war ein russischer Ikonenmaler, den die Nazis 1941 in ein KZ nach Thüringen deportierten. Mithilfe eines einflussreichen Nachbarn habe sie ihn 1944 herausgeholt, erzählt Schapowalow. Im Jahr des Kriegsendes folgte die Heirat - und die Scheidung. 1946 kam Tochter Natascha zur Welt. Auf einem Foto ist sie 1958 als Beifahrerin des Bassisten Oscar Pettiford zu sehen, im Autoscooter auf dem Hamburger Dom.

Der Zufall hatte Susanne Schapowalow in den späten 40er-Jahren mit dem Hamburger Unternehmersohn Olaf Hudtwalcker zusammengebracht, der schon vor dem Krieg dem Berliner Hot Club de Jazz angehört hatte. Er nahm die junge Fotografin mit zu Konzerten. "Zum Teil hat die Musik mich sehr bewegt", erinnert sich Schapowalow, die fortan fast 20 Jahre lang kontinuierlich Jazzmusiker und auch Komponisten der Neuen Musik fotografierte, bis sie irgendwann Ende der 60er-Jahre die Kamera aus der Hand legte, von einem Tag auf den anderen. "Es war einfach vorbei." Das muss als Begründung genügen. 1980 wechselte sie die Seiten und baute eine erfolgreiche Fotoagentur in Blankenese auf. 2003 verkaufte sie die "Bildagentur Susanne Schapowalow" an einige ihrer Mitarbeiter. Vorausschauend hatte sie die Rechte am eigenen Werk aus dem Kapital der Bilder herausgelöst. Seit 2008 geht ihr nun an zwei Tagen in der Woche eine Assistentin zur Hand, den Nachlass zu ordnen: "Seit Gisela Steuber im Haus ist, herrscht hier Ordnung."

"Ich habe ungeheures Glück gehabt", sagt Susanne Schapowalow. Der Satz meint beides: dass sie ihre Arbeit immer nach ihren Vorstellungen machen konnte. Und dass das Wort Glück als Bilanzwort auch für ihr langes Leben stimmt. "Ich habe mich bemüht, die Musiker bei ihrer Arbeit nicht zu stören. Aber ich habe doch bekommen, was ich wollte." Wenn man sie so am kleinen Tisch vor den Panoramafenstern hoch über dem See sitzen sieht, gebeugt, aber höchst zufrieden über die Aufmerksamkeit, die ihr Werk jetzt wieder erfährt, dann verströmt sie ein für ihr Alter seltenes Behagen. "Ich kann's mir nicht besser vorstellen, als ich's habe", sagt sie. Auch in diesem Jahr stieg sie, sooft es ging, die "14 Stufen und eine Strecke Gras bis zum eigenen Bootssteg" hinab, um im See zu schwimmen.

Eines ihrer ersten und berühmtesten Fotos mit Trompete ist kein Hamburger Jazzbild im strengen Sinn, und doch atmet es vielleicht mehr als alle anderen zugleich die Luft Hamburgs und die des Jazz. Es entstand 1949 in den Trümmern des Heiligengeistfelds. Da steht, lässig die Linke in der Hosentasche, auf dem Mauerabsatz einer Ruine der 26-jährige Fred Bunge, der bald in der Band von Kurt Edelhagen anheuern wird. Mit der rechten Hand hält er das Instrument an die Lippen, dem Himmel, der Zukunft entgegen. Zu seinen Füßen zwei Jungs, die aufschauen zu dem jungen Mann mit den weiten Hosen, der da so cool in den Wind bläst. Sie sitzen auf einem Karren. "Der war da einfach", versichert die Fotografin. "Das hätte ich nie gemacht, den da extra hinzuschieben. Meine Bilder sind nicht gestellt." Dass ihre Aufnahmen meist perfekt komponiert sind, wischt sie beiseite. Nichts sei arrangiert oder Absicht, erst hinterher habe sie manchmal gesehen, was ihr da geglückt war. Aber wie zur Warnung sagt sie noch: "Gute Aufnahmen macht man nicht so nebenbei."

Susanne Schapowalow: "sophotocated lady". Jazzprezzo Verlag, 198 Seiten, 55 Euro