Bisher unveröffentlichte Songs der britischen Soul-Diva Amy Winehouse sind jetzt postum auf den Album “Lioness: Hidden Treasures“ erschienen.

Stimmt schon irgendwie, wenn Salaam Remi sagt, das Zeug müsse nicht verstauben. Amy Winehouse , die unter tragischen Umständen im Juli gestorbene Soulsängerin aus London, arbeitete in den letzten Monaten ihres Lebens mehr oder minder erfolgreich an einem neuen Album. Zwei Songs waren fertig. Was sollte mit denen jetzt geschehen? Und was mit dem Material, das in Roh- und fertigen Versionen sonst noch so herumlag? Salaam Remi war (neben Mark Ronson) der Produzent von Amy Winehouse. Und er hat in der Zeit nach ihrem Tod das gemacht, was der Musikmarkt verlangt, was aber auch die Fans verlangen: Er hat die Reste zusammengefegt für ein postumes Album.

"Lioness: Hidden Treasures" gehört in die Logik der Verwertungszusammenhänge der Plattenindustrie. Der Nachfolger des eminent erfolgreichen Winehouse-Albums "Back To Black" erscheint pünktlich zum Weihnachtsgeschäft. Auf ihm finden sich zwölf Songs, unter ihnen sechs Coverversionen. Eine davon ist das bereits als Single veröffentlichte Duett "Body And Soul", bei dem Winehouse mit Tony Bennett zusammenarbeitete.

Auch "The Girl From Ipanema", die traditionelle Weise aus Brasilien, ist auf dem Album vertreten und erscheint nun im ultraschicken Winehouse-Sounddesign. Auch die anderen Titel klingen, selbstverständlich, ganz schwer wie die zeitgenössische Version von Pop, Jazz und Soul - eben wie der Entwurf der althergebrachten Spielarten populärer Musik, den Winehouse so maßgeblich beeinflusst hat.

Ohne Winehouse würde es das Phänomen Adele nicht geben. Die Dame stammt auch aus England und hat in diesem Jahr satte elf Millionen Einheiten ihres Albums "21" verkauft. Damit hat sie die Winehouse mal locker überrundet, dabei gebührt der doch das Lob für die Pioniertat. Amy Winehouse machte die Sechziger wieder en vogue in den Charts . Dank ihrer Stimme funktionieren auch die Songs auf der neuen Platte größtenteils (auch der mit dem Rapper Nas). Manchen Songs merkt man die Skizzenhaftigkeit an, aber das ist nicht der Haupteinwand gegen dieses natürlich unfertige Album: Es wirkt wie eine Zusammenstellung von B-Seiten. Ein Album ist dann ein Album, wenn es in sich schlüssig ist und den Hörer in eine bestimmte Stimmung versetzt - oder zumindest keine disparaten Gestimmtheiten evoziert.

Die zwölf Songs befinden sich nicht im Fluss, sondern strömen irgendwie ineinander. Manche wie "Best Friends, Right?" (einer der zwei Songs, die Winehouse selbst schrieb) skippt man einfach weiter, weil sie einfach zu schwach sind. Mit dem überragenden "Back To Black" hatte Amy Winehouse die Messlatte sehr, sehr hoch gehängt. Auch an dem Druck, einen ähnlich guten Nachfolger für dieses formidable Zweitwerk nach dem Debüt "Frank" zu finden, soll Winehouse ja gescheitert sein.

Fünf Jahre nach "Back To Black" waren aber trotzdem ein paar versteckte Schätze zu finden: Neben dem Bennett-Duett sind da das swingende "Our Day Will Come" und das fröhliche "Between The Cheats" (mit Backgroundchor) zu nennen. Dass Winehouse eine große Künstlerin war, erschließt sich dem Hörer bei allen Mängeln des postmortalen Patchworks im Übrigen letztlich doch aus jeder einzelnen der 45 Minuten: Ihrer Stimmgewalt kann nichts und niemand etwas anhaben.

Amy Winehouse: Lioness: Hidden Treasures (Universal)