Thomas Gottschalk moderiert sein letztes “Wetten, dass ..?“. Mit dem Moderator verabschiedet sich ein Stück großer Fernsehtradition.

Hamburg. Heute Abend wird es noch ein wenig kälter in Deutschland. Das letzte große Lagerfeuer, um das sich seit mehr als drei Jahrzehnten die ganze Familie versammelt hat, erlischt: "Wetten, dass..?" ist heute Abend vorbei - egal, ob die Sendung fortgesetzt wird und wer sie nach dem Abschied von Thomas Gottschalk moderieren wird. Denn mit ihm geht nicht nur der letzte "Showmaster" von der Bühne, sondern auch die letzte große Familienshow am Sonnabend ist dann Geschichte. Und damit ein Stück alte Bundesrepublik.

Jeder, wirklich jeder ist mit dem Fernsehabend am Wochenende aufgewachsen. Der einzige Unterschied zwischen Oma, Opa, ihren Kindern und Enkeln ist, dass die Älteren sich natürlich an mehr Shows erinnern können. An den "Goldenen Schuss" zum Beispiel mit dem furiosen "Mr. Wunnebar" Lou van Burg (und später mit Vico Torriani), an "Einer wird gewinnen" mit Hans-Joachim Kulenkampff, an "Auf Los geht's los" mit Joachim Fuchsberger. Und natürlich an den unvergessenen Rudi Carrell mit "Am laufenden Band" und an "Verstehen Sie Spaß?" mit Kurt und Paola Felix (und vielen, die darauf folgten). Die Jüngeren mögen viele dieser Sendungen nicht mehr kennen - aber eine, die gehört auch zu ihrer eigenen Kindheit: "Wetten, dass ..?" eben.

Die Show am Sonnabend: Das war für Generationen ein Ritual nach Badeschaum und Abendbrot, vor dem Sonntag und vor der Arbeit oder der Schule am Montag - wo dann über das geredet wurde, was man gesehen hatte. Und alle hatten es gesehen. Es gab ja auch nur drei Programme. Aber nicht nur das hat die Shows so erfolgreich gemacht. Sondern vor allem, dass sie dafür gemacht wurden, alle zu erreichen.

Die großen Stars waren da, viele von weit her angereist: Mario Adorf, Michael Jackson, Muhammad Ali. Theo Lingen, Take That, Tina Turner. Peter Alexander, Pierre Littbarski, Paris Hilton. Und sie trafen auf ganz normale Leute - die eigentlichen Stars. Die konnten sich ganz viele Gegenstände merken, die auf einem Laufband an ihnen vorbeizogen. Oder sie konnten anhand der Rillen auf Langspielplatten erkennen, welche Lieder drauf waren. Sie waren schnell im Kopf und gut auf den Beinen, sie trauten sich was, sie gewannen und verloren. Und vor allem: Sie waren im Fernsehen. "Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind alle Kandidaten", sang Hape Kerkeling in den 80ern. Und genau das war das Gefühl damals: Die dort in der Flimmerkiste, das könnten auch wir sein, die davor sitzen. Es ging noch nicht um eine Million Mark für Einzelkämpfer, es ging um Fernsehen mit allen für alle.

Um dieses "wir", darum ging es in der Show am Sonnabend. Immer. Wir schauen heute Abend Fernsehen. Gemeinsam. Und nicht nur mit allen in der Familie, in Deutschland, sondern auch mit Menschen in ganz Europa - oder zumindest in den Nachbarländern. Zu einer Show am Sonnabend gehört die Eurovisions-Hymne zu Beginn einfach dazu. Und natürlich die Begrüßung der Zuschauer "in der Schweiz und in Österreich" (und früher: "der DDR"). In "Einer wird gewinnen" war der europäische Gedanke nicht nur Programm (Kandidaten aus ganz Europa traten gegeneinander an), sondern sogar namengebend. Die Abkürzung "EWG" stand auch für "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft", den Vorgänger der EU. Länderübergreifende Spiel- und Quizshows haben mehr für Europa getan als viele gut gemeinte politische Aktionen.

Die Show am Sonnabend hieß: pure Harmonie. Was auch bedeutete, dass es in ihr natürlich nichts geben durfte, das Oma erschrecken oder den Enkel langweilen würde. Eigentlich durfte nichts passieren, das zu sehr aufregte. Wenn doch mal was geschah, dann war die Aufregung deshalb doppelt groß. Als herauskam, dass ein Kandidat bei "Wetten, dass ..?" Buntstifte gar nicht am Geschmack erkennen konnte, vielmehr Redakteur des Satiremagazins "Titanic" war, schrieb das Fernsehgeschichte. Dass Umweltschützer von Robin Wood die Bühne stürmten und Frank Elstner sie gewähren ließ ("Aus meiner Sendung wird niemand hinausgeworfen"), war das Gesprächsthema der Woche. Und als Karlheinz Böhm wettete, "dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark gibt, um Hunger leidenden Menschen zu helfen", kamen Millionen Mark zusammen.

In ihren besten Momenten ist die Show am Sonnabend nicht nur harmlos - das muss sie sein, und auch die kessen Sprüche von Thomas Gottschalk tun niemandem weh -, sondern weckt Emotionen, die alle Generationen ansprechen. Man biete ein paar gute Gefühle plus ein wenig Spannung, garniert mit beliebter Musik: Das Erfolgsrezept der großen Sonnabend-Show gleicht dem eines Hollywood-Blockbusters.

"Wetten, dass ..?" hat alle seine Vorgänger überlebt. Auch weil es die Macher der Show verstanden haben, immer wieder neue Moderatoren zu finden, die das Konzept weitertrugen und der Zeit anpassten. "Einer wird gewinnen" ging noch mit Hans-Joachim Kulenkampff zugrunde, "Auf Los geht's los" und "Am laufenden Band" waren ohne Joachim Fuchsberger beziehungsweise Rudi Carrell undenkbar. Obwohl das Konzept der Shows einfach war, hing ihr Erfolg an den Moderatoren.

Vielleicht ist das Erfolgserlebnis von "Wetten, dass ..?" gerade, dass die Sendung immer wieder Krisen zu durchstehen hatte und dass deshalb immer weiter an ihr herumgeschraubt werden musste. Bereits als ihr Erfinder Frank Elstner 1981 mit ihr startete ("die folgenden Sendungen verschieben sich"), waren die Kritiken verheerend. Zu kompliziert, zu lang, zu viel Gequatsche, zu wenig Wetten. Auch Thomas Gottschalk wurde erst einmal in Grund und Boden geschrieben, als er "Wetten, dass ..?" übernahm. Und Wolfgang Lippert ist sogar ganz an der Show gescheitert, und nach einem Jahr RTL kam Gottschalk gerne zurück.

Thomas Gottschalk ist das personifizierte "Wetten, dass ..?": Er ist bereits 61 Jahre alt, wirkt aber auf viele, als hätte er sich seit seiner Zeit mit "Telespiele" und "Na sowas!" kaum verändert. Wie "Wetten, dass ..?" schon immer so gewesen zu sein scheint. Was nicht stimmt - aber es stimmt ja auch für Gottschalk nicht. Früher war die Sendung noch nicht mit Werbung vollgestopft bis in den letzten Winkel, und früher war Gottschalk wirklich noch jung und unverschämt. Heute rollt am Ende ein Auto auf die Bühne, und Status Quo spielen "You're In The Army Now".

Gottschalk hatte aus der Sendung ein persönliches Spielzeug gemacht, sich dazu gekleidet wie ein jemand, dem alles egal ist - und er wirkte oft, als sei ihm auch inzwischen alles egal: die Gäste, die Wetten, die Sendung. Alles - bis auf die Beine irgendeines weiblichen Stars neben ihm auf dem Sofa. Dass ihm rechtzeitig Michelle Hunziker zur Seite gestellt wurde - ein weiblicher Star mit einem charmanten Hang zur Selbstironie (ein Signal auch an die jüngeren Zuschauer, bei "Wetten, dass ..?" weiterhin willkommen zu sein) -, hat nicht nur ihn, sondern auch die Sendung gerettet.

Dass Thomas Gottschalk nun nicht mehr weitermachen will, ist traurig - ob der schreckliche Unfall vor genau zwölf Monaten der wahre Auslöser für diese Entscheidung war, sei dahingestellt. Ja, es ist traurig. Und dennoch gleichen die schrillen Reaktionen auf das schleichende Ende seiner Amtszeit als Showmaster ein wenig dem Ende langer, eingeschlafener Beziehungen, bei denen der Verlassene erst nach ihrem Ende merkt, welches Goldstück er gerade verloren hat. Wem gilt die überbordende Trauer? Dem Moderator? Oder der Sendung selbst, dem lieb gewonnenen Ritual, nach irgendetwas, das doch bitte, bitte bleiben möge?

"In den 60er-, 70er- bis in die 80er-Jahre erlebten die großen Sonnabend-Abendshows ihre Blütezeit und waren regelrechte Straßenfeger. Heute gilt das Format als überholt", steht unter dem Stichwort "Samstagabendshow" bei Wikipedia. Vielleicht hat das Lexikon recht, wie so oft. Vielleicht ist das Konzept in die Jahre gekommen. So wie das Konzept "Großfamilie" oder das Europa von "Einer wird gewinnen".

Vielleicht ist es konsequent, dass eine zersplitterte Gesellschaft ein Fernsehen bekommt, das sie nach Zielgruppen unterteilt und so noch weiter fragmentiert: Für die Oma gibt es den "Musikantenstadl", Jüngere schauen "Supertalent". Und beide können die Sendungen der anderen keine zehn Minuten ertragen. Es gibt kein "Gleich ist wieder was für mich dabei" wie bei "Wetten, dass ..?". Wenn Jopi Heesters gesungen hat, kommt wieder eine verrückte Wette, und Wettpate (was für ein todgeweihtes Wort!) ist Justin Bieber. "Als letzte große Samstagabendshow gilt derzeit nur noch 'Wetten, dass ..?.'", endet heute noch der Eintrag bei Wikipedia. Stimmt. Außer, das ZDF lässt sich doch noch einmal etwas einfallen, um sein Zugpferd zu retten. Hoffnungsvoll stimmen die vergangenen Monate nicht. Dabei ist eines klar: Die Welt hat sich geändert, aber die Sehnsucht nach der Wärme eines gemeinsamen Lagerfeuers ist bei vielen noch da. Sie wartet nur darauf, neu entfacht zu werden. Wie und von wem auch immer.