Das Schaffen von Max Liebermann zeigt die Hamburger Kunsthalle in einer opulenten Retrospektive.

Hamburg. Liebermann in Hamburg ist ein Heimspiel. Zu keiner anderen auswärtigen Stadt hatte der Berliner Maler ein so intensives und andauerndes Verhältnis. Es gründete sich vor allem auf die Freundschaft mit Alfred Lichtwark, dem ersten Direktor der Kunsthalle. 1994, 1997 und zuletzt im Jahr 2004 hat dieses Museum Liebermann größere Ausstellungen gewidmet, die sich mit seinem Verhältnis zu Hamburg, seinem Realismus und dem Garten der Malervilla am Berliner Wannsee beschäftigten. Heute öffnet nun eine Schau, die den Anspruch erhebt, das Gesamtwerk als große Retrospektive zu präsentieren, die aber schon im Titel mit einer These aufwartet: "Max Liebermann. Wegbereiter der Moderne" heißt die Ausstellung, die in veränderter Form in den letzten Monaten mehr als 200 000 Besucher in die Bonner Bundeskunsthalle lockte.

Am Titel hatte es bei der Eröffnung der Bonner Ausstellung Kritik gegeben, einerseits, weil man dieses plakative Etikett schon allzu vielen Künstlern umgehängt hat, und andererseits Liebermanns Verhältnis zur klassischen Moderne, namentlich zum Expressionismus, ja keineswegs unproblematisch gewesen ist. Doch Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner verteidigt seine These, indem er auf die erstaunliche Modernität vor allem des Frühwerks hinweist und nicht zuletzt auch darauf, welche zentrale Rolle Max Liebermann für Alfred Lichtwarks Bemühen spielte, der Moderne in Hamburg buchstäblich den Weg zu bereiten.

1889 hatte der Kunsthallen-Direktor Liebermanns "Netzflickerinnen" gekauft, doch wie verstörend modern dieses Bild dem konservativen Hamburger Museumspublikum damals erschienen sein muss, macht erst der Umstand deutlich, dass nur elf Jahre zuvor Hans Makarts kapitaler Historienschinken "Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen" ins Haus gekommen war. Und mit einem Porträt, das Lichtwark zwei Jahre später bei dem Berliner Maler in Auftrag gegeben hatte, löste er auch noch einen veritablen Kunstskandal aus: Ausgerechnet Hamburgs damals schon hoch betagter Bürgermeister Carl Friedrich Petersen fühlte sich auf dem durchaus gemäßigt impressionistischen Porträt allzu realistisch und daher alles andere als vorteilhaft dargestellt - weshalb die Kunsthalle das Werk 14 Jahre lang nicht zeigen durfte. Bis zur Jahrhundertwende war gar nicht vorstellbar, dass Liebermann später einer der gefragtesten Porträtmaler seiner Zeit werden würde.

Doch die Hamburger Ausstellung, die im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenart angenehm luftig präsentiert wird, ist weitgehend chronologisch aufgebaut, sodass sich im Einzelnen recht gut nachvollziehen lässt, wann Liebermann modern war und wo dies seine Grenzen fand. Modern war seine frühe Auseinandersetzung mit der in den 1870er-Jahren noch dominierenden Historienmalerei, die ihm harsche Kritik eintrug. Sein Bild "Der zwölfjährige Jesus im Tempel", das 1879 in München einen Kunstskandal mit deutlich antisemitischen Untertönen auslöste, ist ebenfalls zu sehen, wie die damals ungewohnt wirklichkeitsnahen Szenen aus der Arbeitswelt. Dazu zählen "Die Korbflechter" (1872) oder auch "Die Kartoffelsammlerin" (1874).

Da der junge Maler mit der akademischen Kunstausübung in Deutschland nichts anfangen konnte, holte er sich seine Anregungen im Ausland, ging nach Frankreich, wo er die Freilichtmalerei der Schule von Barbizon und den frühen Impressionismus kennenlernte, und traf in Holland auf die Protagonisten der Haager Landschaftsschule. Das eröffnete ihm neue Themen und zugleich eine Darstellung, die frei war von historischen, mythologischen oder literarischen Bezügen. Bei seinen Streifzügen durch Amsterdam entdeckte er 1876 das Bürgerwaisenhaus und begann, die Waisenmädchen im Hof oder im Arbeitssaal zu malen. Daraus entstand über mehrere Jahre eine eigene Werkgruppe, die in der Ausstellung zusammenhängend gezeigt wird. So lässt sich anhand eines Motivs Liebermanns stilistischer Wandel ablesen. In den 1870er-Jahren malte er die Mädchen in ihren schwarz-weiß-roten Trachten im architektonischen Zusammenhang des Waisenhauses, während er sie 1892 in eine imaginäre Parklandschaft versetzte, in der auch die für Liebermann typischen Lichtreflexe auftauchen.

Ein wahrer Augenschmaus sind die ab 1890 entstandenen Freizeitmotive, deren Farbskala deutlich aufgehellt ist. Hierzu gehören berühmte Motive wie "Der Papageienmann", aber auch Hamburger Ansichten wie die "Terrasse im Restaurant Jacob" oder der "Abend am Uhlenhorster Fährhaus". Recht gedrängt gegenüber der sonst lockeren Hängung wirkt der Raum mit den Bildnissen, in dem auch der seit vielen Jahren erstmals wieder gezeigte "Hamburger Professorenkonvent" von 1905 und das eingangs erwähnte Petersen-Porträt zu sehen sind. Ein eigener Raum ist auch den zahlreichen Ansichten vorbehalten, in denen Liebermann Motive aus seinem 1909 am Wannsee erworbenen Garten gemalt hat. Das gestalterische Konzept dieses Reformgartens stammt in weiten Teilen von Alfred Lichtwark. Für sein Spätwerk spielt dieses Motiv eine wichtige Rolle. In diesen, mit expressivem Pinselstrich gemalten und dennoch impressionistischen Bildern schwelgt Liebermann in Farben. Modern war das nicht mehr, aber ausgesprochen schön anzusehen.

Max Liebermann. Wegbereiter der Moderne: Hamburger Kunsthalle, bis 19.2.2012, Di-So 11.00-18.00, Do bis 21.00