“Clockwork Orange“ im Altonaer Theater überzeugt mit einer strikt künstlichen Form

Hamburg. Es passiert regelmäßig. An Haltestellen, auf Schulhöfen, in der S-Bahn. Jugendliche Schläger treten im Rausch oder aus "Übermut" auf Wehrlose ein, "Kinder der Finsternis" nannte sie der "Spiegel" in einer Titelgeschichte. Nun erobern sie in Gestalt von Alex und seinen "Droogs" (Freunde) das Altonaer Theater - in einer klaren, formbewussten Inszenierung von "Clockwork Orange". Und lassen das Publikum gleichermaßen fasziniert wie fassungslos zurück.

Regisseur Harald Weiler und sein großartiges Ensemble versuchen nämlich erst gar nicht, Partei zwischen Gut und Böse zu ergreifen oder Antworten auf das nur gesellschaftlich zu bewältigende Problem zu geben. Sie bieten mit Harald Müllers Fassung des Romans von Anthony Burgess kein warnendes Lehrstück. Vielmehr zeigen sie Brutalität als nüchternen Kunstakt, ohne sie zu beschönigen. Und verzichten auch bei den Prügeleien und der klinischen Zwangstherapie zur Umerziehung von Alex auf Blut und Erbrochenes.

In spürbarer Aggressivität lassen sie die stilisiert kalten Bilder und ihre Figuren sprechen. Ob in den Sprüchen von den "Droogs" oder Häftlingen, ob im gleichgültigen Gerede von Bewährungshelfern, Eltern, Medizinern, Priestern und Politikern. Sie alle stehen für ein System der Inhumanität und Unterdrückung, gegen das die Jugendlichen auf der Suche nach sich und Freiheit in einer aussichtlosen Situation ("Kein Job, keine Knete") rebellieren.

An den Eisernen Vorhang gelehnt, lümmeln Alex (Sven Fricke) und seine Kumpel und nuckeln Kuhsaft: Milchbubis in schwarzen Uniformjacken und hautengen Hosen (Ausstattung: Lars Peter). Unter weißblonden Wuschelperücken linsen sie provozierend ins Publikum und legen dann los. Erst erledigen sie einen Penner, dann das Schriftstellerpaar und die Luxuslady, die mit Jeff Koons' vergoldetem Beethoven-Kopf im Liebesrausch zu den Klängen der "Neunten" über den Bühnenboden rollt.

Alex' Lieblingsmusik peitscht die Szenen vorwärts, die das homogene Ensemble in tänzerischer Leichtigkeit auf die Bühne legt (Choreografie: Angela Guerreiro). Dabei tauchen sie aus einer Art weißem Tunnel auf und ab. Sven Fricke verkörpert Alex durch intensives Körperspiel glaubhaft als Täter und als Opfer, wobei er - wie seine Mitspieler in verschiedenen Rollen - Distanz zur Figur hält. Weiler erzählt eine ironisch schwarz-weiß gezeichnete Passion von Jugendlichen auf ihrem Kreuzweg zum Erwachsenwerden.

"Clockwork Orange" 28.-30.9., 5.- 7.10. sowie Vorstellungen bis 5.11., Beginn 19 bzw. 20 Uhr, Altonaer Theater, Karten unter T. 39 90 58 70; www.altonaer-theater.de