Die Anschläge vom 11. September 2001 fanden Nachhall in Literatur, Film und Musik. Wie sich das Unfassbare in unsere Gesellschaft einbrannte.

Wie schreibt sich das Unfassbare in unser kollektives Gedächtnis ein? Welchen Nachhall findet der Terror in der großen Reflektionsmaschine unserer Gesellschaft , in der Kunst, der Kultur?

Vier Verkehrsflugzeuge wurden am 11. September 2001 entführt. Zwei Maschinen lenkten die Täter in die Türme des World Trade Centers in New York, die dritte ins Pentagon bei Washington, die vierte wurde zum Absturz gebracht. Die Fernsehbilder, sie brannten sich mit Wucht ins Gedächtnis ein. Rund um den Erdball. Und dazu das globale Kürzel für den Tag und die Tat: "9/11".

Der mittlerweile verstorbene Komponist Karlheinz Stockhausen sorgte für kontroverse Reaktionen. Denn er wertete das Geschehene als "das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos". Jedoch erläuterte er weiter: "Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das Konzert gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen."

Auch der bildende Künstler Damien Hirst wertete die Kraft der Anschlagsbilder als "eine Art Kunstwerk", als "optisch beeindruckend." So zynisch dieses Urteil vor allem im Hinblick auf die Hinterbliebenen erscheinen mag, mit einem hat Hirst recht: "Unsere visuelle Sprache wurde durch die Ereignisse des 11. September verändert."

Zahlreiche Künstler haben sich der Herausforderung gestellt, dass Unbegreifliche zu thematisieren. Denn auf diese Wunde, dieses Loch, diese Leere nicht zu reagieren war für viele Kulturschaffende unmöglich. Die USA hatten sich vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten zur "Wüste des Realen" gewandelt, wie der Philosoph Slavoj Zizek anmerkte. Ein Schock, der kommentiert, der be- und verarbeitet werden wollte. Einige Werke dieser Autoren, Regisseure, Komponisten, Fotografen, Zeichner und Musiker haben wir auf dieser Seite versammelt. Es sind Beispiele dafür, wie tief 9/11 hineinwirkt ins kreative Schaffen, ins Denken, Fühlen und Handeln der Menschen.

Film: "Flug 93"

Vier Flugzeuge wurden am 11. September entführt und zu Instrumenten des Terrors, doch nur drei erreichten ihr Ziel: Der United-Airlines-Flug 93 stürzte in ein Feld nahe der Stadt Shanksville in Pennsylvania, statt im vermutlich als Anschlagsziel ausgewählten Capitol zu explodieren. Grund war der heroische Widerstand der Passagiere, denen Regisseur Paul Greengrass mit seinem dokumentarisch anmutenden Drama "Flug 93" (Universal) ein Denkmal setzte. Gezeigt werden die unter anderem durch aufgezeichnete Handytelefonate rekonstruierten Ereignisse im Flugzeug und die Reaktionen im Tower. Ein aufwühlendes Meisterwerk, vornehmlich mit Laiendarstellern besetzt, ohne falsches Pathos - und deshalb einer der besten Filme zum Thema.

Film: "Die Liebe in mir"

Wie tief das Loch ist, dass der 11. September 2001 in die Stadt New York und in die Seelen vieler einzelner Menschen gerissen hat, zeigt der Film "Die Liebe in mir" eindrücklich. Zahnarzt Charlie (Adam Sandler) hat bei den Terroranschlägen Frau und Kinder verloren. Stark traumatisiert klammert er die Erinnerung an seine Familie aus und lebt abgeschottet in der Vergangenheit - in der Zeit vor 2001. Der Soundtrack zu dieser Flucht in das Vergessen bildet alte (und somit unbelastete) Musik von The Who und Springsteen. Zufällig begegnet er seinem Studienfreund Alan (Don Cheadle) und dessen Frau Janeane (Jada Pinkett Smith, Foto), die Charlie langsam ins Leben zurückholen.

Mike Binder zeigt mit seinem Drama, dass sich die tiefen Wunden, die das Unvorstellbare verursacht hat, nur sehr langsam und behutsam schließen lassen. Der Heilungsprozess dauert an - und wird vermutlich nie ganz beendet werden können.

Film: "September"

Es gibt Ereignisse, die zerteilen das Leben in davor und danach. Was der 11. September 2001 für Menschen bedeutete, die an dem Tag nicht in New York waren, sondern mitten in ihrem deutschen Alltag steckten, davon erzählt Max Färberböcks Episodenfilm "September". Ob ein erfolgreicher Broker, ein muslimischer Pizzabäcker und seine hochschwangere deutsche Freundin (Nina Proll) oder der Starjournalist (Moritz Rinke) und sein Ressortleiter - in all diese Beziehungen wirken die Bilder der zusammenkrachenden Türme und die sich daran anschließenden Theorien, Verdächtigungen, Drohungen. "September" nimmt dabei unterschiedliche Blickwinkel ein. Und einige dieser Perspektiven reichen erstaunlich weit über den Tag hinaus.

Theater: "Falling Man"

Was die äußere Zerstörung der Twin Towers bei Überlebenden an inneren Verletzungen hinterlässt, schildert Don DeLillo in seinem Roman "Falling Man". Die Regisseurin Sandra Strunz zeigt in ihrer Bühnenbearbeitung, wie der Jurist Keith den Schock zu überwinden versucht. Sie schickt ihn durch "Gedächtnisluken" über Leitern hinab in einen Kellerraum des Vergessens und rollt das Ringen um seine Identität entlang des an Episoden und Figuren reduzierten Romantextes auf. Die beklemmende, von Sebastian Rudolph eindringlich gespielte Suche nach einer neuen Identität und Möglichkeit weiterzuleben wurde bei den Lessingtagen 2011 uraufgeführt und steht weiterhin im Spielplan des Thalia in der Gaußstraße (noch keine Termine).

Rock: "The Rising"

"Bruce, wir brauchen dich jetzt!" Wenige Tage nach den Anschlägen war es ein Fan, der Bruce Springsteen auf der Straße ansprach. Und der "Boss" reagierte mit "The Rising" (Columbia/Sony). Es ist ein Trost spendendes Album, dessen Songs vielfach von Telefonaten mit Angehörigen der Opfer inspiriert sind. Neben dem Titelstück ragt vor allem das bereits vor dem 11. September geschriebene "My City Of Ruins" empor, das nun eine ganz neue Dimension bekam und mit seinem gospelartigen Chorus, dem beschwörerischen "Come on, rise up!", aktive Trauerarbeit leistete. Zum künstlerischen kam der enorme

Musik: Steve Reichs "WTC 9/11"

Steve Reichs Werk "WTC 9/11" sollte pünktlich zum 10. Jahrestag bei Nonesuch Records erscheinen. Weil Betroffene das Covermotiv (siehe Abb.) anstößig fanden, wird das Album mit neuer Optik erst Ende September veröffentlicht. Reich, eine der Galionsfiguren der Minimal Music, führt hier ein Streichquartett mit O-Tönen von Zeugen der Anschläge zusammen. Das musikalische Material gewann er unmittelbar aus der Sprachmelodie und dem Rhythmus der Worte. Die Streicher übersetzen Notenwerte und Tonhöhen des Gesprochenen simultan in Instrumentalklang. Das Übereinander von Musik und Sprache geht extrem unter die Haut. Manche Zitate klingen wie unter mühsam unterdrückten Tränen gesprochen, entsprechend wird auch die Musik zum Lamento. Das Kronos Quartet spielt diese tiefe, kompositorisch genau ausgemessene Trauermusik gewohnt souverän. Nicht nur konzeptionell ist sie Reichs Auschwitz-Reflexion "Different Trains" viel näher als dem Präzisionsgeklöppel, das man sonst von ihm kennt.

Buch: Kate Brooks

Kate Brooks ist Fotoreporterin. In ihrem Bildband "Im Licht der Dunkelheit - ein fotografisches Tagebuch seit 9/11" (Benteli) beschreibt sie im Ton der Kriegsberichterstatterin Aktionen der US-Armee im Kampf gegen die Taliban in Pakistan und Afghanistan und anderen arabischen Ländern. Nah an den Nomaden, den Flüchtlingen, nah aber auch an den US-Soldaten, drückte sie immer wieder kaltblütig auf den Auslöser. Brooks, die als 23-Jährige mit ihrer Kamera in den Krieg zog, zeigt Leid, Zerstörung, Schönheit und Normalität auf Fotografien, die man nicht mehr vergisst.

Buch: Thomas Lehr

Thomas Lehrs meisterlich komponierter, rhapsodischer Roman "September. Fata Morgana" beleuchtet die große Erzählung "9/11" von zwei Seiten aus: der westlichen Welt und der orientalischen. Sabrina, die Tochter eines in Amerika lebenden Deutschen, stirbt am 11. September 2001 im World Trade Center. Die junge Irakerin Muna kommt 2004 in Bagdad bei einem Bombenattentat ums Leben. Was ist Schuld? Kann man sie aufwiegen mit der Schuld der anderen? Wie hängt alles mit allem zusammen? Gibt es eine Moral? Und wird sich die Welt je im Gleichgewicht befinden?

Fotografie: Thomas Hoepker

Wie kann es sein, dass Menschen anscheinend unbeschwert beieinander sitzen, während sich in Sichtweite eine der größten Katastrophen überhaupt ereignet? Seit 1976 lebt der deutsche Fotograf Thomas Hoepker in New York. Am 11. September 2001 wird er per Telefon in seiner Stadtwohnung auf der Upper East Side über den Anschlag informiert. Er nimmt die Kamera, setzt sich ins Auto und überquert auf der Queensboro-Bridge den East River, um zu fotografieren. "Aus den Augenwinkeln sah ich ein paar junge Leute am Wasser sitzen. Ich hielt an, stieg aus und drückte dreimal auf den Auslöser, ohne eigentlich zu wissen, was ich da fotografierte", sagt Hoepker, der erst drei Jahre später die Bedeutung dieses Motivs begriff.

Sind die Menschen am Fluss wirklich unbeschwert oder scheint es nur so? Das Bild führt die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen beklemmend vor Augen. "Es scheint ein Nirgendwo zwischen den Realitäten wiederzugeben", sagte Hoepker, dem damit eine der eindrucksvollsten Fotografien des 11. September gelungen ist.

Literatur: Jonathan Safran Foer

In Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" ist es ein Stückchen Gebäck, dass eine Lawine aus Erinnerungen und Emotionen freisetzt. Jonathan Safran Foers Roman "Extrem laut und unglaublich nah" (KiWi), der vier Jahre nach dem Terrorakt erschien, verwendet ein noch plakativeres Symbol: einen Schlüssel, als Türöffner zu einer neuen Welt und zu alten Erinnerungen. Der kleine Oskar Schell, eine skurrile Mischung aus Wunderkind und Klugscheißer, dessen Vater bei den Anschlägen auf die Twin Towers ums Leben kam, findet diesen Schlüssel und macht sich auf die Suche nach dessen Geheimnissen.

Wie bei jeder guten Reise zu sich selbst ist nicht das Ziel, sondern der Weg dorthin die Essenz des Seins. Foers Held kommt auf weiten Strecken dieser Suche zu altklug und frühreif daher, es gibt Passagen, die überzuckert sind und kitschig. Doch der Mut, sich dem heiklen Thema literarisch zu nähern, ist bewundernswert und bleibt im Gedächtnis. Ebenso wie eine der vielen Ideen Oskars - dass Menschen Vogelfutter-Hemden tragen sollten, um sie beim freien Fall zu beschützen. Das Ende des Buchs: ein Daumenkino, bei dem ein Mann nach oben fliegt.

Comic: Art Spiegelman

Den Auftrag zu "Im Schatten keiner Türme" (Atrium Verlag) bekam Art Spiegelman von "Zeit"-Chefredakteur Michael Naumann. Spiegelman hat eine enge Beziehung zu den Terroranschlägen auf das World Trade Center, denn die Schule seiner Tochter befand sich direkt neben dem zuerst eingestürzten Turm. Für ihn begann eine verzweifelte Suche nach ihr. Er thematisiert in der Graphic Novel auch die Suche nach dem richtigen Ansatz und schreibt: "Ich hänge über meinem Zeichentisch in meinem Studio in Lower Manhattan und drücke die Daumen ... es ist schwer, einen Stift so zu halten ... aber ich käme mir wie ein Trottel vor, wenn ein neues Desaster über uns hereinbricht, während ich noch am alten herumdoktere ..." Spiegelman benötigte bis zu sechs Wochen pro Seite, weswegen der Comic erst 2002 und 2003 in der "Zeit" erscheinen konnte. Der Amerikaner hat nicht zum ersten Mal nach einer Tragödie zum Zeichenstift gegriffen: Als seine Mutter in den Freitod ging, versuchte er das mit der Geschichte "Gefangener auf dem Höllenplaneten" zu verarbeiten. Und als erster Comic-Autor erhielt er den Pulitzerpreis für "Maus - Die Geschichte eines Überlebenden" über die Erlebnisse seiner Eltern während der Schoah.