Friede, Freude, Kaltgetränke: Mit der feierlichen Vertragsunterzeichnung im Gängeviertel kann dessen Sanierung endlich beginnen.

Hamburg. Keine Gegenstimme in der gestrigen Sitzung der Senatskommission, drei Enthaltungen bei der Gängeviertler-Vollversammlung am Abend zuvor: Das historische Gängeviertel hat gut zwei Jahre nach Beginn der friedlichen "Besetzung" durch Künstler und Kreative eine vertraglich gesicherte Zukunft. Gestern Nachmittag wurde der Kooperationsvertrag vor Ort feierlich unterzeichnet.

Auf einer kleinen Bühne in der "Fabrik" des Viertels, umgeben von euphorisch jubelnden Freunden und Unterstützern , setzten Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD), die gestern zudem ihren Geburtstag feiernde Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos), Bezirksamt-Mitte-Chef Markus Schreiber (SPD) sowie vier Gängeviertel-Vertreter ihre Unterschriften unter den Kooperationsvertrag, der in vierfacher Ausfertigung in schnöden Behördenmappen bereitlag. Es gab Erinnerungsfotos, Schulterklopfen, strahlende Augen, Kaltgetränke und zahllose Umarmungen über alle Verhandlungslager-Grenzen hinweg.

Mit diesem feierlichen Akt im typischem Gängeviertel-Ambiente endet ein wichtiges Kapitel der jüngeren Hamburger Stadtentwicklungspolitik, das mit dem Rückkauf des Areals durch die Stadt im Dezember 2009 begonnen hatte und dessen Auswirkungen seitdem auf andere Proteste ausstrahlte.

Blankau sagte zu ihrer Verhandlungsposition: "Die Stadt ist über ihren eigenen Schatten gesprungen." Kisseler meinte, diese Vertragsvereinbarung sei der Beweis dafür, dass Stadtentwicklung und Kultur in Hamburg kein unvereinbarer Gegensatz seien, sondern wunderbar zusammenpassen. "Hamburg hat Platz für viele seltene Vögel", fügte sie hinzu, und ebenso einen kleinen Seitenhieb auf Berlin, wo man bei derartigen Bemühungen vor allem Stillstand oder Rückschläge produziere: "Dass uns das in Hamburg gelungen ist, das gönne ich den Berlinern jetzt richtig." Hamburg könne "in Gänze" auf die nun getroffene Vereinbarung stolz sein.

Die Gängeviertel-Gemeinde freute sich über die "offensichtlich vorhandene Einsicht der städtischen Verantwortlichen, dass für eine lebendige Stadtentwicklung ,von unten' andere Ansätze nötig sind als die altbekannte, vielfach gescheiterte Vermarktung städtischen Raums unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten".

Grundlage für die Sanierung des historischen Areals, für die die Stadt Hamburg 20 Millionen Euro investieren wird, ist das gemeinsam erarbeitete "Integrierte Entwicklungskonzept", ein Mix aus preiswerten künstlerischen Nutzungen, preiswertem Wohnraum und günstigen Gewerberäumen. Drei Viertel dieser Summe sollen aus Städtebauförderungsmitteln kommen.

Nach monatelangen, teilweise mit harten Bandagen geführten Verhandlungen ist nun auch klar, dass der als Michel-Restaurator bekannte Architekt Joachim Reinig - erklärter Wunschkandidat der Gängeviertler - bei der auf acht Jahre angelegten Zukunftssicherung des Gebäudebestands mitwirkt. Nicht nur als erfahrener Planer, sondern auch als Mittler zwischen Behörden- und Künstlerdenken dürfte er von immensem Einfluss sein.

Zu tun gibt es genug, denn die ersten Anzeichen des Herbstes erinnern daran, dass der Winter den ohnehin bedenklichen Zustand vieler Häuser nicht verbessern wird.

Hamburg bleibt während der Sanierung der Gebäude deren Eigentümer, die Eigentumsrechte werden treuhänderisch auf die Steg als Sanierungsträger übertragen. Für die vor Abschluss des Sanierungsverfahrens fertiggestellten Wohnobjekte soll nun ein Verfahren zur Übernahme in die genossenschaftliche Selbstverwaltung entwickelt werden - das war einer der Hauptknackpunkte bei den Diskussionsrunden zwischen Vertretern der Stadt und den Gängeviertlern.

Für die Vergabe der Wohnungen wird eine paritätische Belegungskommission gebildet. Der Genossenschaft wird das Recht eingeräumt, nach Abschluss der Sanierung über Ankauf beziehungsweise Erwerb des Erbbaurechts zu verhandeln.

Auch Markus Schreiber, Chef des Bezirksamts Mitte, stimmte demonstrativ in den Chor der Euphoriker mit ein: "Wenigstens das hier muss man erhalten, das war schon immer meine Meinung", erklärte er, an frühere Investor-Visionen von Bürotürmen erinnernd, die über das Luftschloss-Stadium nie hinauskamen.

Klar wurde mit diesem protokollarischen Akt, dass das Umdenken im Senat fundamental war. Mit einer Einigung an dieser Stelle soll auch der Druck aus anderen Protest-Adressen genommen werden. Dass es davon noch einige auf dem Stadtplan gibt, daran wurden die Teilnehmer des Vertragszeremoniells nicht zuletzt auch durch die Wand hinter ihrem Rücken erinnert. Direkt in ihrem Nacken saßen ihnen Logos von Initiativen wie "Recht auf Stadt" oder "No BNQ", die daran erinnerten, dass hier ein immens wichtiger weiterer Schritt gemacht wurde. Über die Entfernung zur Ziellinie und deren Aussehen wird aber garantiert weiter gestritten werden. Nicht ohne Grund war auf einem T-Shirt in der Gängeviertler-Menge ein ironisch doppeldeutiges Wort zu lesen: "Etappensieg".