Am Anfang der Geschichte steht ein Mord. Ferdinand von Schirach hat sein Krimidebüt veröffentlicht - sprachlich brilliant durchleuchtet.

Es mag dieser elegante, immer ein wenig unterkühlt wirkende Stil sein, der so fasziniert, auch deshalb, weil er ungemein detailverliebt ist. Jeder Tritt in das Gesicht eines bereits erschossenen Mannes ist in seinen unmittelbaren Folgen beschrieben, das Gewicht jedes bei der späteren Obduktion des Opfers entnommenen Organs grammgenau notiert. Was Ferdinand von Schirach bereits in seinen Bestsellerbänden "Schuld" und "Verbrechen" auszeichnete, ist auch in seinem Romandebüt "Der Fall Collini" literarisches Kalkül: die punktgenaue Stilistik.

Ein äußerst brutaler Mord an einem alten Mann steht am Anfang der Geschichte. Der Täter heißt Fabrizio Collini, 34 Jahre lang hat er brav als Werkzeugmacher bei Mercedes gebuckelt, jetzt ist er ein Mörder. Der Tatort ist ein Berliner Luxushotel, das Motiv für den Mord liegt völlig im Dunkeln. Collini lässt sich widerstandslos festnehmen und schweigt fortan.

Caspar Leinen ist ein junger Anwalt, Staatsexamen und eine Weltreise liegen hinter ihm, seit sechs Wochen betreibt er eine kleine Kanzlei in einem ärmlichen Hinterhof am Kurfürstendamm. Über den Notdienst der Strafverteidiger erhält er die Mordsache Collini zugesprochen, es wird Leinens erster Strafprozess. Er hat keine Chance.

So jedenfalls skizziert von Schirach, selbst Strafverteidiger in Berlin, die Ausgangssituation. Ein Kampf gegen Windmühlenflügel, geführt von einem ehrgeizigen Anwalt, der hämisch auf die Kollegen in den großen Wirtschaftskanzleien blickt: "Die jungen Leute dort sahen aus wie Bankiers, sie hatten erstklassige Examina, kauften Autos, die sie sich nicht leisten konnten, und wer am Ende der Woche den Mandanten die meisten Stunden in Rechnung stellte, war der Sieger." Leinen, beseelt von einem turmhohen Glauben an die gerechte Sache, will das alles nicht. Die Robe anziehen, seinen Mandanten verteidigen, das allein will er.

Schnell ist der Tote identifiziert. Hans Meyer ist Eigentümer einer großen Maschinenfabrik, Träger des Bundesverdienstkreuzes, ein Mann mit Macht und Einfluss. Als Nebenkläger der Familie bringt von Schirach Richard Mattinger ins Spiel, einst Darling der Medien und Altstar der Anwaltsszene, noch nie verlor er einen Mordprozess, wie Leinen ist auch er erfüllt vom Glauben an den Rechtsstaat.

Es ist ein klassisches Kriminalroman-Setting, das von Schirach aufruft, wenngleich er keinen klassischen Kriminalroman geschrieben hat: Auf der Folie der Ermittlungen erwächst eine Art strafprozessliches Duell der Anwälte, anfangs mit ungleichen Waffen, inszeniert auch mit den die Spannung steigernden Kunstgriffen des Genres.

Ein winziges Detail auf einem Tatortfoto führt Leinen schließlich, nach monatelangen ergebnislosen Recherchen von Polizei und Staatsanwaltschaft, auf eine vage Spur, die sich in der Außenstelle des Bundesarchivs konkretisiert: In der fiktionalen NS-Vergangenheit des Ermordeten mögen auch Partikel der Familiengeschichte Ferdinand von Schirachs - er ist ein Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach - reflektiert sein.

Sprachlich brillant durchleuchtet von Schirach in der Schilderung seiner streitbaren Charaktere und in den Dialogen vor dem Moabiter Strafgericht gleichsam das Rechtssystem - eine Welt der Winkelzüge, die dominiert wird von zwei Fragen: Ist die Suche nach Wahrheit, und mag diese auch im Dunkel der Geschichte ruhen, vereinbar mit dem, was schließlich als Recht gesprochen wird? Ist Wahrheitsfindung ein Kriterium bei der Gesetzgebung?

Doch Träume, Visionen sind nicht die Sache des Ferdinand von Schirach. Eine Sentenz von Ernest Hemingway hat er seinem Roman vorangestellt: "Wir sind wohl alle für das geschaffen, was wir tun." Und am Ende lässt er seinen Anwalt Leinen zu einer alten Freundin und Enkelin des Ermordeten sagen: "Du bist, wer du bist." Es ist diese nahezu ernüchternde Spielart eines klarsichtigen Pragmatismus, die den Roman durchzieht und in von Schirachs Stil ihre adäquate Gestalt findet: Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Geerdet durch und durch. Ein schlüssig erzählter Roman um Schuld und Rache.

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini. Piper-Verlag, 207 Seiten, 16,99 Euro