Der berühmteste Aufzug Hamburgs fährt die Gäste des Klubs Uebel & Gefährlich in den vierten Stock des Bunkers - inklusive Liftboy.

Hamburg. Ich trete ein. Zwei Stahltüren fallen zu. Und schwere Lamellen gleiten herab. "Tschsch" klingt es, wenn der eiserne Vorhang fällt. Zumindest aus dem Mund von David. Seine Hand zieht er theatralisch von oben nach unten, als beschwöre er allein mit der Kraft seines Geistes, dass sich der Raum schließt. Dabei dreht seine Rechte unauffällig einen Schlüssel in der Wand. David ist Liftboy. Eine fast vergessene Institution, mit der das Uebel & Gefährlich dem Zeitgeist einen anachronistischen Widerhaken eintreibt. Häufig stand ich bereits auf dem Riffelblechboden des Fahrstuhls, der im Bunker an der Feldstraße in den Klub im vierten Stock führt. In verschiedenen Aufzügen. Mal in Abendgarderobe auf dem Weg zur Swing-Party. Mal in Jeans und Shirt zum Tocotronic-Konzert.

Heute feiert der Klub seinen dritten Geburtstag. Laut Plakat. Eigentlich existiert er seit 2006. Szenehumor. Die Leute mögen das. Der Laden füllt sich gut. Doch ich gehe nicht vor die Bühne, auf der Bands ihren Indiepop spielen. Ich gehe nicht auf die Party. Ich fahre Fahrstuhl. Ich bleibe im Dazwischen.

"Haast Du einään Frööiind?", fragt eine kleine Frau. Ihr Mantel leuchtet rot. Und sie hat vorgeglüht. "Ja", sagt ein hagerer Typ in Trainingsjacke und stellt sich neben mich. So schnell geht das zwischen Himmel und Erde mit der Liebe. Schön. Ich sitze auf einem Barhocker mit löchrigem lila Plüschüberzug. David steht neben mir an der Schalttafel. "Tschsch", Hand, Vorhang. Der Liftboy versteht sich als Kunstfigur. Zu besonderen Anlässen verkleidet er sich. Etwa als sprechende Vagina. Das Kostüm stammte aus der Jelinek-Inszenierung am Thalia. An diesem Abend hat er eine Fantasieuniform angezogen, die mit dem Niedergang aktueller Diktatoren spielt. Aus David wird Gadavid. Eine Sonnenbrille verbirgt seine Augen. Seine Locken stecken unter einer Generalsmütze, die eine Rasierklinge ziert, das Emblem des Klubs. An die Schultern der Jacke hat er Reste von Turnschuhen und Aluschnipseln geheftet. "Meine ,Schuhlterklappen'", sagt David. Mit extra lang gezogenem "uh". Zwei Mädchen kichern. Er hat einen Humor, der Monty Python zur Ehre gereicht. Unaufgefordert fragt er in die Runde: "Kennt jemand den zweiten Vornamen des Marianengrabens?" Ratter, ratter, ratter. Der Fahrstuhl fährt. Eine hochgeschossene Frau lutscht auf einem der Kirschlollis, die am Eingang für jeden Gast in Schnaps eingelegt warten. Sie überlegt. Und antwortet dann: "Erika".

Es sind diese skurrilen Momente, die die Figur des Liftboys zum idealen Steigbügelhalter machen für all die Partyritter. Sie galoppieren in die Nacht.

Die Jurastudentin mit dem alkoholisierten Schlafzimmerblick und ihr Begleiter, ein Kerl mit Glatze und Designerbrille, haben an diesem Abend zehn Euro Eintritt gezahlt. "Boar geil, Gaddafi" ruft sie, als sie in den Aufzug stöckelt. Der Glatzkopf hält sich an seiner Bierknolle fest und murmelt: "Revolution". Der Liftboy steigt lakonisch mit ein: "Das ist der Kampf der Systeme. Durst gegen Vernunft. Da will ich mich auf keine Seite schlagen." Blondie ist jetzt richtig in Fahrt. "Ist das dein Freund?", fragt sie. "Nein", antworte ich, "ich bin die Praktikantin." Sie zieht eine Schnute, als hätte sie sich während der 42 Sekunden, die der Transit ins Nachtleben dauert, mehr Brisanz erhofft. Mit leichtem Federn hält der Lift. Die Bässe der Band dringen aus dem Klub bis in das Stahlkorsett vor. Es erbebt. Als alle ausgestiegen sind, sagt David: "Oft wollen die Leute nur die Stille überbrücken."

Am Anfang der Nacht sind die Fahrten hinab oft leer. Mit Blick auf die grauen Innenwände bleiben einige Augenblicke, um den Gedanken nachzuhängen. Erinnerungen steigen auf an Fahrten mit berühmten Liften. Das Empire State Building in New York hinauf. Unter Tage im Deutschen Bergbaumuseum Bochum. Der moderne Mensch, er breitet sich vertikal aus. Er strebt in die Höhe und in die Tiefe. Er forscht im Weltall und im Unterbewusstsein.

Über die Psyche lernen lässt sich auch im Aufzug einiges. Jedes Mal, wenn mit dem nächsten Halt ebenerdig neue Nachtschwärmer von der Kasse hereinströmen. Bieratem, Parfümwolken, so viel Mensch. Hinterköpfe, Haare, Mäntelärmel. Die Lampen unter der Decke färben ihre Gesichter blau und rot. Und der Liftboy wird zur Projektionsfläche für mancherlei Sehnsucht. "Ah, Johnny Depp", ruft eine. "Du bist doch Orlando Bloom", säuselt eine andere. Eine Frau zieht sich noch schnell die Lippen nach. Ein Mann gibt seinem Kumpel handfeste Tipps: "Da musst du zugreifen, da ist das Alter egal." Ein Paar flüstert auf Französisch. Eine Brünette liefert in hoch geregeltem Englisch eine akustische One-Woman-Show. "Ich muss pieschern, pieschern, pieschern", verkündet ein Mädchen und hüpft umher. David hat schon Passagiere kotzen und sich prügeln sehen. Die Welt, sie liegt in diesem Miniatur-Wunderland wie unter einem Brennglas.

"Gleich kommen die Wände näher", sagt eine Frau mit roten Locken. "Im Fahrstuhl immer nach unten gucken", rät ihr Freund. Dieser klaustrophobische Käfig ist das Gegenteil von Freiheit. 27 Personen maximal. Oder 3000 Kilogramm. Zur Entspannung hat David Fahrstuhlmusik zusammengestellt. Sein MP3-Player hängt in einem Jutebeutel an einem Kleiderbügel. Aus den kleinen Boxen hinter dem Stoff singen Louis Armstrong und Ella Fitzgerald. Doch das hilft nicht immer.

Später in der Nacht, als die Ersten schon wieder den Heimweg antreten, mit Feierschweiß auf der Stirn und Müdigkeit in den Augen, lehnt eine schmale Frau mit Pilzkopffrisur konzentriert an der Wand. "Platzangst", sagt ihre Freundin. David versucht es mit Witz: "Hier ist noch niemand geplatzt." So eine Fahrt, sie kann lang sein.

Tour für Tour verwischt das Empfinden für Minuten und Stunden. Mit der Monotonie kommt einem dieser alberne, aber in der Situation sehr wahre Hit der Venga-Boys in den Sinn. "Up And Down". Auf und ab. "Up And Down". Immer wieder. Der Musiker Jens Friebe, der bereits mehrfach im Uebel & Gefährlich aufgetreten ist, hat den Song gecovert - und aus "Up And Down" "Abändern" gemacht. Mit diesem Soundtrack im inneren Ohr wird das Fahrstuhlfahren schnell zum Sinnbild für unser Leben. Kaum angekommen, steht der nächste Aufbruch bevor. Der beruhigende Moment, am Ziel zu sein, ist nur von kurzer Dauer.

David kennt sie alle, die Fahrstuhlgags und -zitate. Einem älteren Besucher gibt er abwärts Hildegard Knef mit auf die Reise: "Von nun an geht's bergab." Auf die Hybris, die Selbstüberhebung, folgt, so will es die Theorie der Tragödie, der Fall, das Schafott. Ganz so tief sinken die Feierwütigen im Fahrstuhl zwar nicht. Aber kurze Dramen lassen sich immer wieder beobachten. Lebensfetzen. "Ich hasse dich", liest eine Frau die SMS ihres Ex vor.

Wut und Freude liegen in der Enge dicht beieinander. Der Lift mit seiner immer derselben Route führt uns vor Augen, wie wir uns einschränken in unserer täglichen Routine. Im Auf und Ab. Wann schießen wir mal übers Ziel hinaus? Wann verlassen wir die Muster, die uns wie automatisch lenken?

Für diese Nacht jedenfalls habe ich genug vom "Up And Down". Ich will lieber abändern. Ich steige aus und denke quer. Der Boden will sich immer noch heben und senken. Fahrstuhlseekrank laufe ich über das Heiligengeistfeld. Auf einer Linie mit dem Horizont. Dahinter geht's bekanntlich weiter.