Noch ist sie nicht hier. Aber falls Karin Beier 2013 Intendantin des Schauspielhauses wird, gewinnt Hamburg eine Kämpferin in Sachen Kultur.

Hamburg. Theaterleute sind abergläubisch. Schon deshalb ist es nicht ratsam, über ihre Projekte zu sprechen, solange sie nicht unterschrieben sind. Aber freuen wir uns trotzdem mal ein wenig im Voraus: darauf, dass Karin Beier im Sommer 2013 Schauspielhaus-Intendantin werden könnte.

Könnte. Denn: Das ist noch lange hin. Und es ist auch noch lange nicht sicher. Denn schließlich haben wir an diesem Wochenende in Hamburg Wahl und wissen noch nicht einmal, wer unser nächster Kultursenator werden könnte (höchstens, dass es wahrscheinlich eine Senatorin werden wird). Die nämlich wird mit Karin Beier verhandeln müssen. Über Etathöhe, Spielorte, darüber, wo in Zukunft das Junge Schauspielhaus residieren wird, oder auch über so etwas Dröges wie über die Frage, ob Tariferhöhungen künftig zu Teilen aus dem Etat bezahlt werden müssen, was das Geld, das für die Kunst zur Verfügung steht, beinahe Jahr für Jahr schrumpfen lässt.

Immerhin hat die Kulturbehörde, nachdem sie dem Schauspielhaus im Sommer noch 1,5 Millionen Euro an Zuwendungen streichen wollte, inzwischen eingesehen, dass man als Kulturstadt nicht bestehen, geschweige denn überleben kann, wenn man alles kurz und klein haut. Dass es am Schauspielhaus seit Jahren so mittelmäßig zugeht, dass dort nichts künstlerisch Bedeutendes oder Richtungsweisendes mehr stattfindet, ist nicht nur dem letzten unsicher und zögerlich agierenden Intendanten Friedrich Schirmer anzulasten. Es ist auch das Ergebnis einer starrsinnigen Kulturpolitik.

Übergangsweise leitet nun der langjährige kaufmännische Direktor des Theaters, Jack Kurfess, das Schauspielhaus, sein Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. In der darauf folgenden Saison, also 2012/13, würde das Schauspielhaus auch einen Teil der dringend notwendigen Renovierungsarbeiten bekommen und nur noch rudimentär zu bespielen sein. Kurfess, so ist zu hören, wird wohl diese extrem schwierige Spielzeit weiter zur Verfügung stehen, sodass Karin Beier, deren Vertrag als Intendantin in Köln 2014 endet, bereits 2013 ein saniertes, dann auch finanziell wieder gut aufgestelltes Schauspielhaus übernehmen könnte.

Auch hier bleibt der Konjunktiv. Denn die Zusagen, die man ihr bisher nur mündlich machen konnte, müssen von der nächsten Hamburger Regierung auch eingehalten werden. Inzwischen will man für Karin Beier den Schauspielhaus-Etat um rund drei Millionen Euro erhöhen, damit sie aufregendes, anspruchsvolles, großartiges Theater dort machen kann, damit sie mit Berlin, München oder Stuttgart in einer Liga spielen kann. Und das kann sie. Sie hat es oft genug bewiesen.

Olaf Scholz hat Karin Beier bereits getroffen, und beide haben sich gut verstanden. Und so wird wohl auch der künftige Kultursenator gut daran tun, seinem Amtsleiter, Hans-Heinrich Bethge, zu folgen, der bisher mit Beier sondiert und verhandelt hat. So wie es seine Aufgabe ist. Denn entschieden wird politisch: Der Aufsichtsrat des Schauspielhauses erteilt zwar einen Auftrag zu verhandeln, doch später müssen die Senatskommission für öffentliche Unternehmen, Senat und Bürgerschaft das meiste absegnen, was mit dem Schauspielhaus zu tun hat. Sie alle werden sich sicher für Karin Beier einsetzen; an ihren Fähigkeiten kommt niemand so einfach vorbei.

In Köln hat sie das Theater aus 20 Jahren Tiefschlaf befreit, es ist die Stadt, in der sie aufwuchs und mit 20 Jahren anfing, Regie zu führen. Hier hat sie eine freie Gruppe gegründet und ein Dutzend Stücke von Shakespeare inszeniert. "Shakespeare ist der Mann meines Lebens", hat sie einmal in jungen Jahren gesagt. Theater hat sie von der Pike auf gelernt, besorgte Scheinwerfer und klebte auch mal Programmhefte, ihre erste Regieassistenz machte sie am Schauspiel Düsseldorf. Sie hat im Ausland und an allen großen deutschsprachigen Theatern inszeniert, ob in München, Zürich, am Wiener Burgtheater, in Bochum, Hannover oder Bonn.

Überall hat sich die 45-Jährige mit ihren Ideen durchgesetzt. "Sie ernährt sich durch Kraftvergeudung", sagt Elmar Goerden, ihr langjähriger Weggefährte, der in Bochum ein nicht ganz so erfolgreicher Intendant war. "Sie ist extrem unneurotisch und pragmatisch, diszipliniert und erwachsen", antwortet Maria Schrader, die zu Beiers Kölner Ensemble gehört - fragt man sie nach den Qualitäten ihrer Chefin. "Sie hat so viel auf dem Zettel, dass sie ihre Zeit nicht verschwenden möchte."

Und das merkt man. Gerade einmal 23 war Karin Beier, als eine ihrer Arbeiten zum ersten Mal beim Berliner Theatertreffen eingeladen war. In diesem Jahr ist sie dort gleich zweimal vertreten. Sie hat alle großen Theaterpreise erhalten, den Faust und den Nestroy, sie war Nachwuchsregisseurin des Jahres, sie hat "Die Nibelungen" bei den Wormser Festspielen inszeniert - und Opern.

Gern hat sie vielsprachige, kleine Theaterwunder inszeniert, die babylonisch, mutig, mitreißend waren. In ihrem "Sommernachtstraum" oder ihrem "Sturm" sprachen die Schauspieler, die aus mehr als zehn Nationen kamen, in ihrer Muttersprache. Ein herrliches Nebeneinander, bei dem man trotzdem alles verstanden hat. 1995/96 erhielt sie den Förderpreis des Vereins der Freunde des Deutschen Schauspielhauses. In den folgenden zwei Jahren war sie hier Hausregisseurin.

Beier ist vielseitig, sie hat keine ausgeprägte Handschrift. Man könnte auch sagen: Sie ist für alles offen. Sie arbeitet mit Stars und mit Schauspielern, die manchmal nicht mal Deutsch können. Sie arbeitet viel und intensiv, macht eigentlich psychologisches Theater. Sie habe "so eine grundsätzliche Hyperenergie", hat sie mal gesagt. Ach ja, 2007, kurz bevor sie die Intendanz in Köln übernahm, hat sie auch noch eine Tochter bekommen, Momina - genannt Momo. Gerade dies sei ein Grund für sie gewesen, sesshaft zu werden, nicht mehr als Regisseurin von Bühne zu Bühne zu tingeln. "Man will auch mal zu Hause sein", sagt sie.

Als Intendantin hat sie das Schauspiel in Köln gerade zur wichtigsten deutschen Bühne gemacht. Und doch hat man ihr dort das Geld gekürzt - in Köln geht man offenbar mit Künstlern nicht viel besser um als in Hamburg. Monatelang musste sie dafür streiten, das Kölner Theater zu sanieren, statt es abzureißen. Für ihre vielfach ausgezeichnete Theaterarbeit gab es von der Stadt niemals auch nur einen Glückwunsch. Und die Bürger? Lieben sie. Einen eigenen Wagen bekommt sie in diesem Jahr zum Karneval. Auf dem ist sie als meterhohe Jeanne d'Arc zu sehen, "Mut zur Kultur" steht auf ihrer Fahne.

Alles sieht so aus, als wenn die kämpferische Karin Beier ab 2013 in Hamburg in den Kampf gegen die Mittelmäßigkeit zieht. Als erste Frau an der Spitze des Schauspielhauses. Und eine furchtlose. Auf die Frage, was sie tun würde, wenn sie morgen ihren Job als Intendantin verlöre, antwortete sie einmal: "Dann bekäme ich keine Angst. Dann würde ich mir entweder als Regisseurin an den großen Häusern eine goldene Nase verdienen oder in der freien Szene für wenig Geld Theater machen. Und mich darüber identifizieren."