Zum 75. Geburtstag des legendären Comic-Verlags DC erscheint ein Mega-Band im XXL-Format, der den alten und neuen Helden huldigt.

Hamburg. Klassische Comic-Superhelden waren stets Ausdruck des Zeitgeists und viel mehr als ein günstiger Weg, um im Alltag einer eigenartig verkleideten Erlöser-Variante zu begegnen, ohne dafür eine Kirche aufsuchen zu müssen. Sie waren Pop, bevor dieser Begriff entstand. Sie zitierten andere kulturelle Phänomene, was das Zeug hielt. Die Superhelden alter Schule waren Massen-Ikonen, bevor das Fernsehen diese in seinen Bann zog, und profitierten später davon - und sei es mit so liebevoll albernem Klamauk wie dem TV-Batman der Sixties.

Moralwächter warnten in aller Regel vergeblich vor der jugendverderbenden Macht der vermummten Idole, aber wie bei jeder guten Droge machte ihr Verbot die Zielgruppe nur noch neugieriger und abhängiger. In Krisen- und Kriegszeiten waren diese Wunderwesen Verfechter des Wahren, Guten, Gerechten. Handelsübliche Kriminelle genügten ihnen nicht mehr als Beuteschema. Sie verdroschen stattdessen Nazis, zogen in den Vietnam-Krieg, Terrorangriffe raubten ihnen stellvertretend für uns alle den Boden unter den Füßen.

Neben der Internet-Philosophie ist die theoretisierende Beschäftigung mit Comic-Helden eine riesige Spielwiese für weltfremde Labertaschen, die aus jedem Bildrand-Detail mindestens eine neue Weltformel herausgeheimnissen könnten. Aber auch Geistesgrößen wie Umberto Eco werden beim Anblick von Spruchblasen schwach. Eco ist Semiotiker, Zeichendeuter also, und hat mit dem Essay "Der Mythos von Superman" eine faszinierende Verbindung zu antiken Sagenhelden dechiffriert.

Mit einem "Action Comic"-Heft, in dem der bebrillte und mit einem großen "S" gekennzeichnete Herkules aus dem All seinen ersten Auftritt hatte, fing 1938 alles an, nur ein Jahr später kam die menschgewordene Fledermaus aus Gotham dazu. Und wie bei der Frage "Rolling Stone oder Beatles?" musste man sich früh entscheiden, wem man verfallen wollte: Superman oder Batman? Dem strahlenden Helden mit dem biederen Doppelleben als Zeitungsreporter oder dem finsteren Rächer?

Die Comics, die ab 1935 im DC-Verlag erschienen, waren epochal wichtig für das Genre. In ihnen wurden Helden-Universen entworfen, mit heroischen Gestalten, die Jahrzehnte damit verbrachten, nicht erkennbar zu altern und immer wieder aufs Neue die Welt von finsteren Schurken zu befreien oder sie gleich ganz zu retten. Dass viele ihrer geistigen Väter aus jüdischen Emigranten-Familien stammten, macht diese Geschichte noch faszinierender. Sie schufen Helden, die so sein sollten, wie sie es sich wünschten. Patriotische Außenseiter, die durch ihre guten Taten allgemeine Akzeptanz erfuhren.

In den frühen 1960ern wurde es eng im Superhelden-Olymp, denn neben DC drängte auch die Konkurrenz Marvel mit einer Heroen-Armada auf den Comic-Markt. Mit zunehmender Reife bekamen viele dieser Superhelden eine erstaunliche Tiefenschärfe, aus Figuren wurden Charaktere, die meisten gebrochen. Aus kurzatmigen comic strips wurden epische graphic novels .

Paul Levitz' XXL-Schwarte, die DC zum 75. Geburtstag gratuliert, ist mit 7,5 Kilo und etwa 1,20 Meter Gesamtbreite kein normales Buch mehr, sondern eher ein DIN-A2-Museum zum Umblättern. Fans können schwelgen und aus dem Prallvollen der über 2000 Abbildungen schöpfen. Neulinge sollten sich dieses Erweckungserlebnis gut einteilen, um sich nicht im Panorama zu verlieren.

Das Prinzip "Larger than life", hier wird's bibliophiles Ereignis. Der Autor, der sich schon mit 17 Jahren in die DC-Autorenarmee einreihte und später bis in die Chefetage aufstieg, hat unzählige Fakten und Anekdoten aus der Verlagsgeschichte zusammengetragen, dem englischsprachigen Comic-Evangeliar liegt eine handliche Übersetzung der Levitz-Texte bei.

Die DC-Heftchen von damals sind längst Sammlerstücke, die liebevoll konserviert den Mythos bewahren und musealisieren. Hollywood hat in den vergangenen Jahren entdeckt, dass spektakuläre Comic-Verfilmungen und -Adaptionen so lukrativ sind wie kaum ein anderes Genre. Die Fans von heute können sich ihre Helden-Dosis mittlerweile aufs Smartphone oder das iPad laden, ohne wie früher das Taschengeld über einen riesigen Ladentresen reichen zu müssen. Doch auch beim virtuellen Schmökern der nachgewachsenen Generationen bleiben zwei antike Superhelden-Regeln unangetastet: Das Böse ist immer und überall. Und: Kawumm bleibt Kawumm.

Paul Levitz "75 Years of DC Comics: The Art of Modern Mythmaking". Taschen Verlag, 720 Seiten, 150 Euro. Sekundärlektüre: Sascha Mamczak/Wolfgang Jeschke "Das Science-Fiction-Jahr 2009. Schwerpunkt: Quo vadis, Superhelden?" Heyne Verlag, 1590 Seiten, 29,95 Euro