Niemand hat die Absicht, ihn als Stasi-IM zu bezeichnen. Denn das wäre viel zu teuer. Eine Doku über Gregor Gysi ist dennoch äußerst entlarvend.

Hamburg. Als der Politiker am 23. August 1990 ans Rednerpult der Volkskammer trat, war er den Tränen nahe. "Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober 1990 beschlossen", sagte Gregor Gysi, der damals Vorsitzender der zur PDS mutierten SED war.

Die Trauer über den untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat währte bei Gysi nicht lange, denn im wiedervereinigten Deutschland lief der frühere DDR-Anwalt zu Hochform auf, entwickelte sich zum charismatischen Politiker und begann seine Karriere als Dauergast in Fernseh-Talkshows. Doch das strahlende Bild des geistvollen, witzigen und schlagfertigen Oppositionspolitikers bekam schon bald heftige Kratzer, als seine vielfältigen Verbindungen zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR bekannt wurden.

Hier setzt die Fernsehdokumentation "Die Akte Gysi" von Hans-Jürgen Börner und Silke König ein, die die ARD heute zu später Stunde ausstrahlt. Mit einer Fülle von dokumentarischem Material und den Aussagen von Zeitzeugen, Wissenschaftlern und früheren Mandanten zeichnet der Film den Werdegang eines Mannes nach, der in der DDR zwar nicht im Licht der Öffentlichkeit stand, dem SED-System aber so loyal gedient hat, wie es dem typischen Verhaltensmuster eines stalinistischen Funktionärs entsprach. Und dazu gehörte selbstverständlich auch die Kooperation mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem "Schild und Schwert der Partei".

Bis heute geht Gysi juristisch gegen jeden vor, der ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi bezeichnet. Der Film vermeidet aus gutem Grund derartig klare Aussagen, reiht jedoch Indiz an Indiz, stellt entlarvende Dokumente vor und lässt prominente Mandanten aus der oppositionellen Szene zu Wort kommen, die sich von ihrem einstigen Anwalt verraten fühlen.

"Als SED-Mitglied war er vor allen Dingen in der Funktion als Rechtsanwalt verpflichtet, mit allen staatlichen Organen zusammenzuarbeiten. Und dazu zählte nun mal auch das Ministerium für Staatssicherheit", sagt der DDR-Forscher Manfred Wilke, der damit klarmacht, was Gysi heute nicht mehr wahrhaben will: Nach seinem damaligen Selbstverständnis konnte der SED-Anwalt nur zur Partei und eben nicht zu seinen Mandanten loyal sein.

Als Jürgen Börner während der Recherchen im Büro Gysi anfragte, ob er zu einem Interview bereit sei, fiel die Antwort denkbar knapp aus: "Gregor Gysi wird es weder zeitlich noch inhaltlich schaffen, für das Interview zur Verfügung zu stehen."

Die Akte Gysi, heute 23.30 Uhr, ARD