Sie hat alles, was sich die Frau von Welt wünscht: Erfolg, ein Häuschen, zwei Männer. Nun feiert die große Autorin ihren 70. Geburtstag.

Hamburg. Manchmal sucht die Schriftstellerin Brigitte Kronauer in ihren Alltagsbeschreibungen nach dem Lied, das in allen Dingen schläft, nach dem sagenhaften Innenleben der Gegenstände. Sie sucht nach der poetischen Patina, die das Profane überzieht; im Schneetreiben des weißen Dezembers sieht ihr kleines, rotes Klinkerhäuschen in Nienstedten verwunschen und märchenhaft aus. Als sie uns öffnet, denken wir aber nur kurz an eine Fee, dann hat sie uns schon hineingebeten. Glatte, blonde Haare umrahmen das Gesicht der zierlichen Frau, sie führt uns in ihr Wohnzimmer. Dann macht sie Tee, wir betrachten ihre Bibliothek: Peter Handke, Adalbert Stifter, Joseph Conrad, die Großen der Literaturgeschichte. Brigitte Kronauer, Büchner-Preisträgerin, ist selbst beinah ein Klassiker. Am Mittwoch wird sie 70.

Aber wie jung sie aussieht, wie 50, höchstens 55. Sie trägt einen grünen Blazer mit Karos, steckt sich eine Marlboro light an und sagt: "Ich rauche nur in Gesellschaft." Zum Beispiel, wenn Journalisten da sind. Was ziemlich oft der Fall ist, denn Kronauer ist zum einen eine bestrickende Gesprächspartnerin, zum anderen ein Liebling der Literaturkritiker.

Die lieben ihren anspruchsvollen Stil; er ist oft musikalisch und malerisch genannt worden und fordert Konzentration. Kronauer ist eine Sprachartistin, die mit ihren genauen Beobachtungen großzügig Seiten füllt, ohne je redundant zu sein. Dabei sind ihre Betrachtungen und Charaktere immer leicht angeschrägt, so realistisch ihre Prosa am Ende auch ist.

Den Hamburgern hat sie "Teufelsbrück" geschenkt, einen Hamburg-Roman, wie es nur wenige gibt; "ich fand viele Gründe, hierhin zu ziehen", sagt die Kronauer. Auf Hamburg kommen wir später zurück, jetzt geht es erst einmal um ihre Karriere, die erst relativ spät in Gang kam. Brigitte Kronauer musste reifen, das ist oft so bei Schriftstellern, aber besser passt eigentlich: Ihr Publikum musste reifen. Denn toll geschrieben hat sie von Anfang an. Eines ihrer Bücher heißt "Die Tricks der Diva". So sieht sie vielleicht aus, wenn sie an ihrer Zigarette zieht; dabei ist sie keine Primadonna, kein bisschen.

Sie sieht fast schon zu sanft darüber hinweg, als man sich im Titel einer ihrer neun Romane irrt: Natürlich heißt er "Verlangen nach Musik und Gebirge", nicht "Sehnsucht nach Musik und Gebirge". Sie mag ästhetisch hochfliegende Prosa schreiben, deren Reiz sich oft erst auf den zweiten Blick entfaltet. Verrätseln will sie ihre Sätze aber nicht, "sie sind gar nicht so anspielungsreich, wie manche Kritiker vermuten".

Während ihr Mann, der Galerist und Kunstkritiker Armin Schreiber, den Tee bringt (ein Ritual, wenn Journalistenbesuch da ist), fällt der Blick auf den schneeverwehten Garten, in dem die Apfelbäume ihr Winterkleid tragen, sie tun es tapfer. Wir beschließen, die Aufnahmen sofort zu machen. Sie lässt sich gerne fotografieren, während ihre Katze, durchs Wohnzimmer streift: An Posen und Motiven mangelt es nicht, die Dame des Hauses hat keine Berührungsängste.

Sie habe sich mit Mitte 30 älter gefühlt als jetzt, sagt Kronauer, "und heute fühle ich mich auch gesünder". Ihr Gesicht, porzellanfarben und sanft, verzichtet nicht auf ausdrucksstarke Formen. Und doch ist ihr Mienenspiel nichts als freundlich, selbst wenn sie darüber spricht, warum sie zwar eine anerkannte, aber im Hinblick aufs große Publikum nicht wirklich erfolgreiche Schriftstellerin geworden ist. Sie wollte, sagt Kronauer, nie erfolgreich sein. Sondern kompromisslos. Natürlich weiß sie, wie man Spannung aufbaut, sie kenne die Tricks, sagt sie. Aber sie schildert lieber, wie jemand seine Aufmerksamkeitsporen gegenüber der Welt öffnet und diese in sich hineinsaugt, obwohl sie paradoxerweise doch äußerlich bleiben: als Gegenstand der Be- und Verwunderung. "Mir ist die Zeit zu knapp, um einen reinen Unterhaltungsroman zu schreiben." Und trotzdem freut sie sich, wenn nach einer Lesung ein ungeübter Leser auf sie zukommt: Wer könnte das nicht verstehen?

Geboren wurde Brigitte Kronauer am 29. Dezember 1940 in Essen. Der Vater war Prokurist. Im Krieg wurde die Familie nach Österreich geschickt, dort erlebte die kleine Brigitte die Ankunft der Amerikaner. Sie stand allein auf einer Straße, als plötzlich der Boden bebte. Panzer fuhren ein, schwarze Männer, nie gesehen, blickten von seltsamen, schweren Ungetümen. Aber zum Thema ihres Lebens wollte sie ihre Generationenzugehörigkeit nicht machen, "'Kriegskind', das klingt so opfergeplagt", sagt Kronauer.

Sie schreibt ohnehin nicht über sich, oder zumindest nur annäherungsweise. Dabei wäre eine der Wirklichkeit abgeschaute Geschichte, die von drei jungen Leuten handelt, die in einen konservativen Stadtteil ziehen und zumindest von manchen für Terroristen gehalten werden, doch ein vorzügliches Sujet! Kronauer kam Anfang der Siebzigerjahre nach Hamburg, zusammen mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Freund Dieter Asmus zog die studierte Lehrerin nach Nienstedten. Vorher hatte sie in der Studentenstadt Göttingen gelebt, jetzt wurde unter großen finanziellen Anstrengungen ein kleines Häuschen im bürgerlichen Idyll gekauft: Der Elbvorort mit seiner Nähe zu Fluss und Natur war schon sehr verlockend, wo doch anderes gegen einen Umzug in die Spießerkolonie sprach.

Zum Beispiel das Misstrauen der Nachbarn, die das Dreierbündnis mit Argwohn beobachteten. "Wir wollten eine neue Lebensform erproben, wir wollten die Freiheit leben, die durch '1968' plötzlich möglich war", erzählt Kronauer; sie ist inzwischen diejenige, die am längsten in der Nachbarschaft wohnt. "Plötzlich stand die Polizei vor der Tür, jemand aus der Straße hatte uns des Terrorismus verdächtigt", erinnert sie sich, ihre Augen blitzen.

Es waren andere Zeiten damals, als die RAF ihren Krieg gegen den Staat kämpfte und die Frage, ob man einen Terroristen verstecken sollte oder nicht, eine ganz realistische Frage. "Ich glaube, ich hätte jeden hereingelassen; ob das auf die anderen beiden, die in unserem Haus wohnen, zutrifft, weiß ich nicht." Viel Blödsinn sei in den roten Siebzigern veranstaltet worden, hat der ehemalige Studentenführer Daniel Cohn-Bendit mal gesagt, "das kann man wohl so stehen lassen".

Man kann sich gar nicht vorstellen, dass die Frau, die so freundlich von den Menschen redet (von Kollegen zum Beispiel, obwohl sie sich vom Literaturbetrieb eher fernhält), auch boshaft sein kann. Von "funkelnder Menschenfeindlichkeit" spricht sie in einem ihrer Romane, und: "Man möchte die Leute in einen Sack tun und dann wieder hervorholen und mit einem Ruck vor sich hin auf den Tisch setzen." Wer ihr Werk liest, würde trotzdem nicht in Abrede stellen, dass hinter dem gemeinen immer der liebevolle Blick kommt, und der fällt nicht nur auf die Natur, die in ihren Büchern eine große Rolle spielt.

Literatur ist eine Gegenmaßnahme zur Realität, sagt Brigitte Kronauer. Wo die Realität chaotisch ist, ordnet die Literatur, sie macht die Abgenutztheit der Realität rückgängig. Ein schöneres Wort für Gegenmaßnahme ist Poesie.