Mehr als 35 Jahre schlummerten die Kunstwerke in einer südfranzösischen Garage - der Sensationsfund wirft so einige Fragen auf

Paris. Pierre Le Guennec, ein 71 Jahre alter Elektriker aus Mouans-Sartoux bei Grasse, würde gern 271 Picasso-Werke verkaufen, von deren Existenz bislang kein Mensch etwas wusste. Eine Sensation, die Kunstszene ist aufgeschreckt, denn auch wenn man vom französischen Kunstmarkt Kuriosa gewohnt ist, ist doch die Geschichte, welche die Zeitung "Libération" am Montag enthüllte, auch für französische Verhältnisse überraschend.

Schätzungen zufolge liegt der Gesamtwert der Bilder irgendwo zwischen 60 und 80 Millionen Euro. Le Guennec behauptet, der "Maître" selbst und dessen Frau Jacqueline hätten ihm die Werke Stück für Stück geschenkt, nachdem er Anfang der 70er-Jahre in den Residenzen des Malers in Südfrankreich "Alarmanlagen" geführt habe. Angeblich war das Jahrhundertgenie von den Installationsfertigkeiten seines Elektrikers so angetan, dass er ihm gleich eine ganze Kiste seiner Werke vermachte - Picassos Erben jedoch halten das für höchst unwahrscheinlich und haben gegen den Elektriker Anzeige wegen "Hehlerei" erstattet.

Im Januar hatte Le Guennec Claude Picasso, Sohn und Nachlassverwalter des Künstlers, angeschrieben und um Echtheitszertifikate für 26 Werke gebeten. Amateurhafte Fotos der Werke lagen dem Schreiben bei. Claude Picasso staunte. Umso mehr, als ihm Le Guennec im März 39 neue Fotos weiterer Werke zusandte und dann noch einmal 30 im April. Insgesamt 271 bisher unbekannt Aquarelle, Zeichnungen und Skizzen wurden am Ende zur Begutachtung vorgelegt. Claude Picasso antwortete auf die Schreiben, dass er die Echtheit der Werke nicht auf der Grundlage von Fotos attestieren könne.

Nachdem Claude Picasso mit drei Mitarbeitern die Werke gesichtet hatte, entschied sich der Vorsitzende der Erbengemeinschaft, Anzeige zu erstatten. Am 5. Oktober beschlagnahmte daraufhin der Staatsanwalt von Grasse die Sammlung von Le Guennec. Der Elektriker kam kurzzeitig in Untersuchungshaft. Er beteuert seine Unschuld. Der "Meister" selbst habe ihm die Bilder geschenkt. Nach dessen Tod 1973 habe er weiter für Jacqueline gearbeitet, seine Ehefrau sei gar mit ihr befreundet gewesen. Bestätigen kann Jacqueline Roque diese Aussage nicht mehr, sie starb 1986.

Ist vorstellbar, dass jemand 271 Picasso-Werke 40 Jahre in der Garage verwahrt und dann auf die Idee kommt, sie auf den Markt zu bringen? Picasso sei großzügig gewesen, sagen die Erben, er habe gelegentlich einzelne Werke verschenkt, aber nie solche Mengen. Jedes einzelne verschenkte Werk habe er datiert und signiert, in vollem Bewusstsein um Marktwert und kunsthistorischen Rang. Und auch Jacqueline habe bestenfalls gelegentlich "eine Postkarte verschickt oder ein kleines Buch verschenkt". Dass sie aber ein derart großen Teil des Werks an einen Handwerker verschenkt habe, stehe "außer Frage", glaubt der Enkel Olivier Picasso.

Um Fälschungen scheint es sich indes nicht zu handeln, die Experten der Picasso-Administration, welche die Sammlung des Elektrikers gemeinsam mit Claude Picasso begutachteten, sind sich ziemlich sicher. Mehrere der Werke auf Papier tragen fortlaufende Nummern, die ihre Echtheit nahelegen. Zudem sei die technische Qualität der sehr unterschiedlichen Werke eben ziemlich picassoartig. Der Fall wird nun vor Gericht gehen. Da ein Diebstahl-Delikt schwer nachweisbar und bereits verjährt wäre, verklagen die Erben Le Guennec wegen "Hehlerei". Der Elektriker wundert sich derweil in seinem kleinen Häuschen in Mouans-Sartoux über die Aufregung, die der Fall auslöst. Vor der Tür lauern Reporter, seine Anwältin hat ihm geraten zu schweigen. Schließlich sagt er doch ein paar dünne Worte. Warum er die millionenschwere Kunstwerke fast 40 Jahre ins einer Garage aufbewahrt habe? "Ich hatte zwei schwere Operationen und spürte, dass es nicht mehr gut geht", sagt der 71-Jährige. Deshalb habe er "ein Wort" an die Picasso-Administration gesandt, um mitzuteilen, dass er ein paar "Dinge loswerden" wolle.

Ob er keine Ahnung gehabt habe, was er da für Schätze in der Garage hortete? Darauf sagt der Handwerker, dessen Schwester in Cannes eine Galerie führen soll: "Ich habe 40 Jahre damit geschlafen. Glauben Sie, wenn ich gewusst hätte, was das für einen Wert hat, hätte ich noch Beton an den Händen? Dann würde ich schon längst nicht mehr in diesem Viertel wohnen."

Doch dass Picasso seinem Elektriker eine derart bedeutende Zahl seiner Werke geschenkt hat, glaubt auch der Picasso-Biograf Pierre Daix nicht: "Das ist ganz und gar unmöglich", sagt der 88 Jahre alte Daix, der Picasso 1945 kennenlernte, als er Chefredakteur der Zeitschrift "Lettres Françaises" war. "Picasso hat absolut alles aufbewahrt. Er hat allenfalls in zwei, drei Fällen bedeutendere Geschenke an Frauen gemacht, die er liebte." Dass Picassos Frau Jacqueline ohne dessen Einverständnis Werke verschenkt haben könnte, schließt Daix auch aus: "Jacqueline war ihm völlig hörig. Die hätte keinen Finger gerührt, ohne dass Picasso es ihr befohlen hätte."