Auf ihrem neuen Album “Bring mich nach Hause“ klingt die Band Wir sind Helden und allen voran Sängerin Judith Holofernes verletzlicher denn je

Hamburg. Stärke zeigt sich oft erst durch Schwäche. Im Fall von Wir sind Helden nicht durch schwache Songs. Das wäre zu kurz gedacht. Vielmehr durch eine lyrische Verwundbarkeit, die neu ist für die Band, vor allem für Frontfrau Judith Holofernes.

"Ich brauche tiefste schwarze Nacht/hinter meinen Lidern/Ein Gift gegen den Schmerz/in meinen Gliedern", heißt es im Titelstück zur neuen Platte "Bring mich nach Hause", die am 27. August erscheint und die Wir sind Helden am 13. August auf dem Hamburger Dockville-Festival präsentiert. Mit ungewohnt sanfter Stimme singt Holofernes da zum Piano. Von Erschöpfung. Von dem Bedürfnis nach einem Freund. Nach jemandem, der sie trägt. Ein schöner Song von fast schon morbider Eindringlichkeit.

Etwas hat sich verändert in den drei Jahren, seit die Band ihre dritte Platte "Soundso" veröffentlicht hat. Sie habe es genossen, erzählt Holofernes, "einfach mal die Ruhe zu haben, auf dem Sofa zu sitzen und eine Platte von vorne bis hinten durchzuhören". Eine Entschleunigung nach dem Erfolg. Den Hype wie einen Kater ausschlafen. "Wir wurden ja teilweise sehr viel mehr als Phänomen wahrgenommen und auf uns selber zurückgespiegelt denn als Band, die Musik macht, die man mag oder nicht", erklärt die 33-Jährige.

Projektionsfläche zu sein, das weiß sie, gehört zum Pop. Seit das Quartett mit seinem ersten Album "Die Reklamation" im Jahr 2003 debütierte, galt Holofernes als Deutschlands freundliche Vorzeigerevoluzzerin. Und auch beim Interview im Bahrenfelder Hotel Gastwerk, im Ambiente mit lässig urbanem Schick, sieht die Musikerin immer noch so apfelkuchenfroh aus, als sei sie einer Berliner Büllerbü-Dependance entstiegen: Karierte Bluse, roter Rock und gelbe Stiefel, das Haar zersauselt hochgesteckt, das tiefe Lachen ansteckend. Aber die Augen, die können sehr nachdenklich gucken.

Als "persönlich" und "ungeschützt" bezeichnet Holofernes das vierte Helden-Album. "Wo war ich noch nicht?", sei ihre zentrale Frage beim Schreiben gewesen. Denn sich selbst zu wiederholen, nach dem Motto "Och, die olle Holofernes schon wieder", habe sie schnell gelangweilt. "Wo man immer etwas Neues findet, ist innen. Und je tiefer man geht, umso unberechenbarer und spannender und größer werden die Themen." Das Ergebnis: "Weniger Haha und dafür ein wenig mehr Hmmm." Ein lyrisches Ich, das nicht mehr so viel trägt, appelliert und findet, sondern sich vielmehr stützt, sucht und fragt.

Auch auf dem offiziellen Bandfoto zu "Bring mich nach Hause" herrscht der ernste, wenn auch nicht ironiefreie Blick vor. Die Helden inszenieren sich im Stile eines klassischen Familienportraits irgendwo zwischen Bohème und den ersten Siedlern in der Prärie. "Ich habe ein größeres Bedürfnis, dieses Album visuell zu transportieren", sagt Holofernes. Und zwar "ganz ehrlich" deshalb, weil sie es zunehmend schwierig findet, über ihre Musik zu reden. Ganz zu Anfang, ja, da habe sich das Ego noch gepinselt gefühlt, dass alle so genau wissen wollen, wie sie was gemeint hat. "Aber nach der ersten Begeisterung fällt irgendwann 'nem Blinden mit 'nem Krückstock auf, dass man die Sachen eh nicht besser sagen kann als in den Liedern, dass man sie nur tollpatschiger umkreisen kann, eindimensionaler, weniger wahr." Ein legitimer Ansatz. Zumal "Bring mich nach Hause" reichlich Interpretationsstoff liefert.

Zwar sind da auch immer noch aufmüpfige Helden-Songs zu hören, die Mut machende Single "Alles" etwa, das leicht dadaeske "Dramatiker", die arg auf der Kippe zum Silbermond-Schlager stehende Hippie-Ballade von "Wolfgang und Brigitte" oder die poppige Schlaflied-Adaption "Die Träume anderer Leute". Mit gewohnt glänzender Sprachkreativität wie "Du schlafwandelst, du bravwandelst, du herdentierst". Aber es gibt eben auch Lieder wie "Flucht in Ketten", in dem Rahula, zu Deutsch "Fessel", der Name für den Sohn Buddhas, eine zentrale Rolle spielt. Und bei diesen neuen zarten Schätzen redet Holofernes dann doch über ihre Texte: "Was ursprünglich als Geschichte über die Fesseln der Liebe in ihrer erbarmungslosesten Form, in der Liebe zu Kindern, gedacht war, hat sich relativ schnell verselbstständigt hin zum Absurden, Traumhaften."

Auch den wohl verstörendsten Titel des Albums kommentiert sie: "Meine Freundin liegt im Koma und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T-Shirt." Popkennern kommt "Girlfriend In A Coma" von The Smiths in den Sinn. Ein bewusstes Zitat. Aber für Holofernes auch die Möglichkeit, einen höchst realen Schockmoment mit Hilfe "dieser seltsamen, schroffen Lyrik" zu erzählen. "Beim Schreiben hatte ich das Gefühl, das ist zu krass. Doch die Freundin, um die es geht, fand das Lied ganz toll." Das gab den Ausschlag, das Stück aufs Album zu nehmen.

Aufgenommen wurde die Platte letztlich mit dem britischen Produzenten Ian Davenport in Berlin, wo Holofernes mit Ehemann und Drummer Pola Roy sowie ihren beiden Kindern lebt. Keyboarder und Gitarrist Jean-Michel Tourette, mittlerweile ebenfalls Vater, stieß aus Hannover hinzu. Bassist und Gitarrist Mark Tavassol reiste aus Hamburg an. Viele Musiker würden diese Zerstreutheit als Standortnachteil werten. Doch die Helden beziehen auch aus dieser - vermeintlichen - Schwäche ihre Stärke. In Form von neuer Sensibilität. "Nach so einer Pause stoßen wir fast schon schüchtern aufeinander", erklärt Tavassol. "Ein bisschen so, als sei man auf einer Weltreise gewesen", findet Holofernes. Bevor die, wie Tavassol es nennt, "leidenschaftliche Meinungsbildung" begann, stand in der ersten Woche daher "Beschnuppern, Freude, Erzählen" auf dem Programm. Und neue Musik hören, etwa von den Fleet Foxes.

"Auf Tour werden wir dann wieder das vierköpfige Ehepaar", witzelt Tavassol. Obwohl das nicht ganz stimmt. Denn auch wenn die Band wie ein enger Familienverbund wirkt, ist sie doch offen. Zum einen auf sozialer Ebene: Für die Aufnahmen hat sie Jörg Holdinghausen von der befreundeten Band Tele eingeladen, live kommt noch ein sechster Mitspieler hinzu. Zum anderen hat Wir sind Helden auch musikalisch über den Tellerrand geschaut. Auf "Bring mich nach Hause" versammeln sich Instrumente jenseits des klassischen Band-Settings, etwa eine arabische Laute. Gut zu hören ist das in dem Song "Was uns beiden gehört" mit seinem Gypsy-Appeal. "Der Wunsch war, den Klang mit einem echten Instrument zu erzeugen, ehe man zum Synthie greift", sagt Holfernes. Das klingt angenehm unsauber.

Und vielleicht sind die neuen starken schwachen Helden mit dieser Platte ja auch einfach eher das, was ohnehin sympathischer ist: Anti-Helden.

Wir sind Helden Das Album "Bring mich nach Hause" erscheint am 27.8. bei Columbia; live Fr 13.8., 22.20 Uhr, Dockville-Festival, www.dockville.de