Die Lebensgefühl-Chronistin Christiane Rösinger, die bei den Lassie Singers spielte und jetzt bei Britta, veröffentlicht ihre erste Soloplatte.

Berlin. In einer besseren Welt, da würden die Menschen hierzulande selbstverständlicher mit der heimischen Popkultur umgehen. Da würden die Formatradios und Fernsehsender nicht nur nach dem nächsten (jungen weiblichen) Optik-Happen schielen, der sich vor eine (ansonsten männliche) Band schnallen lässt. Da würde der Mehrheit bei der Frage nach einer coolen deutschen Pop-Frau jenseits der 40 nicht nur Nina Hagen einfallen. In dieser anderen Welt, da wäre Christiane Rösinger eine Ikone.

Ja, so eine Vokabel darf getrost verwendet werden im Zusammenhang mit der Musikerin, Journalistin, Schriftstellerin, Label-Betreiberin, einstigen Barfrau und Türsteherin, die am nächsten Dreikönigstag ihren 50. Geburtstag feiert. "Bei Christiane Rösinger sind die Worte zu Hause", sagte Hamburgs Subkultur-Dandy Rocko Schamoni über ihr 2008 erschienenes Buch "Das schöne Leben", in dem Rösinger kongenial ihren Sprung von der Schwarzwald-Jugend in die Westberliner Ausgehkultur verdichtet. Doch dieses Lob, es gilt mindestens gleichwertig für ihr Songschreiber-Schaffen. Mit ihren Bands, den Lassie Singers in den 90ern und Britta in den Nuller-Jahren, vermochte sie den Zeitgeist stets unverkopfter, aber nicht weniger klug einzufangen als ihre Schlaumeier-Kollegen Blumfeld und Die Sterne. "Ist das noch Boheme oder schon Unterschicht?", hinterfragte sie etwa 2006 in dem Lied "Wer wird Millionär" die künstlerische Existenz.

Auch auf ihrem Solodebüt, das am 22. Oktober erscheint, wartet la Rösinger darauf, dass sich "das symbolische Kapital in echtes verwandelt". Eigentlich, und das indiziert bereits der Albumtitel "Songs Of L. And Hate", drehen sich ihre Singer-Songwriter-Nummern aber um die Liebe, genauer gesagt um deren Abwesenheit. Und um die Frage, ob das Konzept der Zweisamkeit nicht viel zu stark idealisiert wird.

"Glücklicherweise kam ein großer Kummer in mein Leben", erzählt Rösinger lachend über ihre Inspiration. Und da ist sie wieder, diese markante nölige Stimme, in der Ironie und Phlegma, aber auch Fürsorge stets mitzuschwingen scheinen. Das Label Staatsakt hat zum Gespräch ins Café Kücük Kanarya im Berliner Familienstadtteil Prenzlauer Berg geladen. Rösinger sitzt in einem der abgewetzten Sessel, raucht und redet. Darüber, dass sie ein ganzes Album machen wollte "über so 'ne gescheiterte Liebessache. Aber auch so'n bisschen über Melancholie, Verzweiflung, Depression." Diese "traurige verjammerte Platte", sie ist aber keineswegs pausenlos unfroh, sondern sie birgt auch hintergründigen Humor und, ja, Hoffnung.

"Ich habe immer gedacht, die Zeiten, in denen ich alleine bin, sind traurig. Das stimmt aber gar nicht. Ich war dann immer glücklicher, habe mehr Sachen gemacht, Projekte, Bands, die Bar. Aber es gab immer so'n gesellschaftliches Bild, das gesagt hat: Du musst jetzt eigentlich unglücklich sein", erzählt Christiane Rösinger.

Das Thema Liebe, es geht ihr nach. Schon zu Lassie-Singers-Zeiten kommentierte sie fröhlich-sarkastisch das Modell der monogamen Zweierbeziehung mit Songs wie "Die Pärchenlüge" und "Liebe wird oft überbewertet". Dieser flotte Slogan ist auch Arbeitstitel ihres zweiten Buchs, an dem sie derzeit schreibt. "Diese ganze Pärchenideologie, die uns durch Filme, Literatur und Lifestyle-Berichterstattung eingeimpft wird, will ich in einer Art Persiflage-Ratgeber ad absurdum führen." Ihre Recherchen reichen dabei von Platon bis zur Familienforschung des 18. Jahrhunderts. "Wenn Frauen nicht so viel über die Liebe grübeln würden, hätten wir alle promoviert und wären auf den Mount Everest gestiegen."

Doch die Künstlerin seziert auch die Popgeschichte. Der Titel ihrer Platte ist eine Reminiszenz an "Songs Of Love And Hate", das dritte Studioalbum von Leonard Cohen aus dem Jahr 1971. Berückend hat sie zudem das 1967 von Nico eingesungene "These Days" ins Deutsche übersetzt. Und die Coveroptik ist eine sehr konkrete Anspielung auf Bob Dylans Artwork zu "Bringin' It All Back Home". Rösinger und der Musiker Andreas Spechtl, mit dem sie "Songs Of L. And Hate" aufgenommen und arrangiert hat, sitzen da auf einem Sofa drapiert. Eine Connection aus Berlin.

Überhaupt: die Hauptstadt. Auch so eine Hassliebe. Rösinger hat ihre Wahlheimat schon mehrfach besungen, aber auch die "Schatzstadt Hamburg". Die Kreuzbergerin ist eine Art Tresen- und Lebensgefühl-Chronistin. Ohne den aufgeblasenen Gestus der Popliteratur. Mit "Berlin" widmet sie der Metropole nun ein keckes Piano-Chanson, in dem es unterem anderem heißt: "Wenn die Parkausflügler dann die Schwäne füttern/und die Allerblödsten es gleich weiter twittern,/wenn wir zum Vorglühn durch die Spätis zieh'n,/ja, dann sind wir alle in Berlin."

Auch wenn Rösinger in ihren Lyrics unserer hochtourigen Gesellschaft gerne mal Phlegma und Desillusion entgegensetzt, so brennt sie doch für ihre Kunst. Aufregen - redend und rauchend - kann sie sich zum Beispiel darüber, wie "Musik ihren Wert verliert", dass Festivals dem "Eventgeheische" verfallen und wie "Frauen in der Popmusik marginalisiert werden". Nach wie vor. Es werde nach dem kurzen Riot-Girl-Hoch in den 90ern eher noch schlimmer mit der weiblichen Abstinenz an den Instrumenten, meint Rösinger.

Frauen im Musikzirkus "müssen oft einem gewissen Bild von Weiblichkeit entsprechen. Ein bisschen süß, lange Haare. Sehr formatiert halt. Das sind ganz enge Bilder. Die verletzliche Kindfrau etwa. So etwas funktioniert. Oder die Sexschiene." Jungs hingegen loteten in ihren Bands viel stärker alle Facetten vom Nerd mit Riesenbrille über den Nachdenklichen bis zum rockenden Beau aus. "Ich frage mich, warum gibt es nicht Frauen, die sich einfach auf die Bühne stellen und ihre Sicht der Dinge durch Musik darlegen." Pessimistisch ist Rösinger schon, aber in den Streik geht sie deshalb nicht. Zum Glück.

Christiane Rösinger: Songs Of L. And Hate (Staatsakt, VÖ: 22.10.10); live: 24.2.2011 Zentrale