Beim Kulturforum auf Kampnagel formierte sich der gemeinsame Widerstand gegen die Kürzungspläne des Hamburger Senats.

Hamburg. Olaf Scholz hat es einfach nicht über die Lippen gebracht. "Mit uns nicht", hätte der wahrscheinlich nächste Bürgermeister-Kandidat der SPD sagen können. Ein Satz nur, und es hätte viel Applaus gegeben und irgendwann womöglich Wählerstimmen. Es wäre ein Heimspiel gewesen und ein Durchmarsch im rappelvollen Kampnagel-Foyer, in die das SPD-nahe Kulturforum zu einem weiteren Kulturkrisengipfel geladen hatte. Der Titel war halb Erinnerung an Karin von Welck, die "einst geschätzte Kultursenatorin" (Moderator Ulrich Greiner), halb ein Kommentar zu deren Nachfolger Reinhard Stuth : "Alles wunderbar. Notstand Kultur."

Doch trotz volkstribunig inszeniertem Auftritt vor Kameras, Blöcken und Mikrofonen wollte oder konnte Scholz nicht sagen: Mit uns würde es die Kürzungen im Hamburger Kulturetat nicht geben. Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt. Doch Scholz lief vorbei und trat ins Leere. Er blieb lieber bei einer vagen Aussage: Man wolle sich an das Versprechen halten, dass für die Elbphilharmonie nicht an anderen Stellen der hiesigen Kulturlandschaft Flutschäden verursacht werden. "Diese Sparpolitik ist nicht berechtigt und nicht gut für die kulturelle Entwicklung dieser Stadt." Mehr gab's nicht von ihm.

Auf Scholz' argumentativen Brückenschlag von Prestigeprojekt-Investitionen zu Kulturetat-Kürzungen reagierte der frühere GAL-Stadtentwicklungssenator Willfried Maier gereizt, das sei "populistischer Unsinn". Doch auch Abgesandte der derzeitigen Regierung verstolperten ihre Chancen zur Wiedergutmachung von Angerichtetem: Antje Möller, stellvertretende GAL-Fraktionsvorsitzende, beschrieb die Ursache für das - so eine Äußerung aus dem Publikum - "elende und feige Schweigen" der mitregierenden Grünen zu den drohenden Kürzungen im Kulturetat folgendermaßen: "Wir sind nicht in der Lage, die Schwächen einzelner Senatsmitglieder wieder auszubügeln." Maier sekundierte ihr, er sei seit zweieinhalb Jahren auf dem Altenteil, fuhr aber fort: "Ich finde, man könnte sich als Partei etwas deutlicher äußern. Man ist stark in die Senatsdisziplin eingebunden."

Der mit dem Ausbügeln auf Senatsebene gemeinte CDU-Kultursenator Stuth war jedoch nur als Stimme aus dem Off vorhanden: Er hatte abgesagt, um stattdessen zeitgleich in einer Radiosendung des NDR Fragen zu beantworten.

Klar wurde an diesem Abend, der wie eine Vollversammlung der Hamburger Kultur-Chefetagen wirkte: Der Druck im Kessel steigt. Die Solidarität wächst. Für zuverlässiges spontanes Echauffieren sorgte vor allem Jürgen Flimm , Ex-Thalia-Intendant und Kenner der Szene. Ihm platzte nicht erst bei Möllers Vorschlag, man benötige einen "moderierten Prozess", der Kragen.

Flimm appellierte nicht nur an die kulturaffinen Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt: "Ich sage euch, das Moralische müsst ihr bald mal ablegen. Das nützt nichts. Wir können uns jetzt nicht damit aufhalten, dass wir Stuth blöd finden, damit kommen wir nicht weiter. Wir müssen eine Strategie entwickeln", forderte der in vielen Chefsesseln Gereifte, "wir wissen doch, wo der Gegner steht oder schläft."

Auch die Regierungsparteien bekamen bei Flimm ihr Fett weg: "Ihr müsst den Beschluss revidieren, sonst hängt euch das bis ans Lebensende an den Hacken, dass ihr das Schauspielhaus kaputtgemacht habt." Und in Richtung der vielen Freundeskreise und Fördervereine Hamburger Kulturinstitutionen, die sich bislang noch weitgehend im Hintergrund hielten, meinte Flimm: "Dass diese Leute sich nicht längst zusammengesetzt haben, verstehe ich überhaupt nicht. Die Bürger müssen sich jetzt wehren, da muss unhanseatisch Rabatz gemacht werden. Ihr müsst euch artikulieren und sagen: Ahlhaus, so nicht!"

In eine ähnliche Kerbe schlug auch Torkild Hinrichsen, Direktor des Altonaer Museums, der zu dessen drohendem Exitus meinte: "Das wäre eine Hamburg-Werbung negativster Art, das wird kein Marketing jemals wieder auffangen können."

Die Entscheidung, dem Schauspielhaus 1,22 Millionen Euro zu streichen, kommentierte Maier, er hätte diesen Spardruck niemals nur einer einzelnen Institution zugemutet, "sondern gesagt, da tragen alle dran". Zur offenen Frage nach einem Schirmer-Nachfolger warnte der begnadete Branchen-Strippenzieher Flimm alle, die darauf ein Auge werfen: Wer diesen Kahlschlag in Kauf nimmt, der würde mit ihm des Lebens nicht mehr froh werden.

Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard prangerte an, "dass ohne jede Kommunikation und mit großer Inkompetenz Geld weggenommen wird." Schauspielhaus-Geschäftsführer Jack Kurfess, wie Deuflhard aus Schwaben und damit natursparsam veranlagt, regte sich ähnlich deutlich über Politiker auf, die ihm seinen Job erklären wollten. Zum Spar-Verdikt, durch das das größte deutsche Sprechtheater die Hälfte seines künstlerischen Etats verlieren soll, sagte er: "Die 1,22 Millionen Euro werden wir nicht bringen."

Ebenfalls wütend meldete sich Bücherhallen-Chefin Hella Schwemer-Martienßen zu Wort: "Ich habe inzwischen sechs Regierungen mitgemacht - keine hat uns unangetastet gelassen." Jetzt prophezeite sie, in klarem Widerspruch zur beschwichtigenden Senatsansage, es würden nirgendwo Schließungen fällig: "Fünf bis sechs Standorte, auch große, gehen kaputt." Es wird kein goldener Oktober für die Kulturbehörde. Sie sollte sich eher auf einen heißen Herbst einstellen.