Sofia Coppola gewinnt mit ihrem rührenden Film “Somewhere“ den Goldenen Löwen: Eine Geschichte, die ihre eigene Familie wiederspiegelt.

Die Szene geht einem auch Wochen später nicht aus dem Kopf: Da steht die elfjährige Tochter morgens in der klinisch sauberen Küche der Hotelsuite und bereitet mit schlafwandlerischer Sicherheit Eggs Benedict zu - jene mondäne, typische amerikanische Proteinmahlzeit aus pochierten Eiern, Sauce Hollandaise und geröstetem Brot. Nichts stimmt an diesem Frühstück: die beiden hastig essenden Männer mit dem Bieratem vom Vorabend ebenso wenig wie das blonde Mädchen ihnen gegenüber, deren Altersgenossinnen sich zur selben Zeit wahrscheinlich mit einer von Mama zubereiteten Schale Cornflakes wieder ins Bett kuscheln.

Welche Wahrhaftigkeit Regisseurin Sofia Coppola diesem Familienfrühstück unter umgekehrten Vorzeichen abgewinnt, welche Momente der Zärtlichkeit auch , gehört zu den großen Rätseln und Kunststücken dieses Kinoherbstes. Diese Art der Zuschauerverzauberung lobte auch Jury-Präsident Quentin Tarantino, der der 39-Jährigen - seiner Ex-Freundin - für ihr Drama "Somewhere" beim Filmfestival Venedig den Goldenen Löwen verlieh.

"Wenn wir über einen anderen Film gesprochen haben, sind wir immer auf diesen Film zurückgekommen", so Tarantino. Mehr Lob geht eigentlich nicht. Mehr Ehrlichkeit auch nicht, macht dieser Satz doch deutlich, dass "Somewhere" mehr über unsere Zeit verrät, als uns vielleicht lieb sein kann; dass der Film Bilder von verblüffender Genauigkeit findet für das Gefühl globalisierter Einsamkeit. Sicher, wir reden hier von Los Angeles, von einem Hollywoodstar und dem Leben zwischen Luxussuiten im hippen Chateau Marmont, Jetlag und Millionengagen. Und doch ist Coppolas neues Werk, das am 11. November in den deutschen Kinos startet, vor allem eine Studie über innere Leere. Eine Momentaufnahme des tranceartigen Schwebezustands zwischen Hoffen und Resignation, der die meisten Menschen ereilt. Und so irrt auch Johnny Marco, gespielt von Stephen Dorff, in seinem Leben umher, als wüsste er selbst am allerwenigsten, in was er hier gerade hineingeraten ist.

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Wie schon "Bal - Honig", der auf der diesjährigen Berlinale den Hauptpreis gewann, und wie der Cannes-Sieger "Uncle Boonmee" hat sich mit "Somewhere" auch beim dritten bedeutenden europäischen Filmfestival dieses Jahres ein stiller Film durchgesetzt. Coppola erzählt ohne jede Hybris; die Bilder sind eher hingetupft; der Blick ist beobachtend - wenngleich sie auch Szenen von entlarvender Komik auf die Leinwand bringt. Die Tochter von Francis Ford Coppola ist sich in ihrer Karriere bislang treu geblieben: Schon ihr erstes Drehbuch ließ sie im Hotel spielen; mit "Lost in Translation" gelang ihr 2003 ein Meisterwerk über zwei verlorene, nachtwandelnde Seelen (Bill Murray und Scarlett Johansson) in einem Tokioter Hotel.

Von der "Welt" angesprochen auf den eigenen prominenten Vater und biografische Bezüge in "Somewhere", sagte Coppola: "Auch wenn ich ihn nie mit Stripperinnen im Zimmer gesehen habe, um das gleich klarzustellen, ist schon etwas dran, dass ich hier von mir und meiner Familie erzähle. Zumindest ein bisschen."

Sogleich sieht man sie wieder vor sich, die Szene, in der Johnny Marco auf seinem Kingsize-Hotelbett liegt, während zwei Stripperinnen aberwitzige Verrenkungen an einer Eisenstange veranstalten. Die ganze Abgeschmacktheit dieses Auftritts und der traurige Zustand, der ihm innewohnt, erkennt der Schauspieler wenig später beim Eiskunstlauftraining seiner Tochter. Nicht viel anderes sind ihre Bewegungen als die der Tänzerinnen - und ähnlich stumpf ist auch Marcos Blick. Das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein - hat ein Film je großartigere Bilder dafür gefunden?