In nur einer Spielzeit am Schauspielhaus, profilierte sich Markus John als Danton und ist nun in drei weiteren großen Klassiker-Rollen zu sehen.

Hamburg. Wie Markus John in der Vormittagsonne unterm Baum vor der Karoecke sitzt und Zeitung liest, entspricht er nicht dem gängigen Bild, das die Medien über erfolgreiche Schauspieler vermitteln. Halblange dunkle Haare hängen dem Kraftkerl strähnig ins Gesicht. Sein Markenzeichen. Lässig die Kleidung. Auf Äußerlichkeiten legt der leidenschaftlich engagierte Theaterkünstler und Vater dreier Töchter offensichtlich wenig Wert. Seit 2005 lebt er mit seiner Frau, der Kollegin Ute Hannig, und Familie auf St. Pauli. Nach zwölf Jahren im Kölner Ensemble kam er in der vergangenen Spielzeit fest ans Schauspielhaus . John übernahm die Titelrolle in "Dantons Tod" und hat heute als Achill in Roger Vontobels "Penthesilea" Premiere.

Klassifizierungen sind dem Schauspieler suspekt. Über die Bemerkung, er verkörpere ein Rollenfach, das man früher den schweren Helden nannte, kann er nur nachsichtig lachen. "Schauen Sie doch genau hin", mahnt Markus John ganz ruhig in wohlklingendem Bariton. "Dass ich drei Klassiker spiele, ist doch ganz zufällig. Außerdem sind die ganz unterschiedlich." Für einen Griechenhelden sei er zu alt und fett, findet der 1962 in Duisburg geborene Ruhrpottler. "Und für den König Lear bin ich eigentlich zu jung." Dazu kommt noch Goethes "Götz von Berlichingen".

Viel Lärm um weniger im Schauspielhaus

John lässt Rollenklischees nicht gelten. Von vielen Beispielen nur zwei: Der Weber Zettel im Berliner "Sommernachtstraum" und sein deprimierter, zerrissener Danton in Dusan David Parizeks zum Kammerspiel kondensierten Büchner-Drama am Schauspielhaus. "In der Arbeitsthese waren wir uns einig: Das ist kein Stück über die Französische Revolution, sondern über die Verzweiflung eines jungen Revolutionärs in Deutschland, der Georg Büchner heißt." Trotz der französischen Namen im Text werde Danton immer Georg, nie Georges genannt. "Ein dicker Hinweis vom Autor. Ich arbeite gern werktreu, am Stück und aus dem Stück heraus. Bitte genau lesen." John meint mit Werktreue nicht Kleben am Wort, vielmehr ein unvoreingenommenes Herangehen und Entdecken des Textes. "Arturo Toscanini hat einmal gesagt: Tradition ist Schlamperei."

Komikerchargen nutzen die Szene von Zettels Erwachen in der Shakespeare-Komödie meist für eine witzige Nummer. John zeigte sie in Goschs Inszenierung am Deutschen Theater existenziell: Ein nacktes, von einer Horde Sexmaniacs missbrauchtes Opfer, allein im Wald. "Er wird verwandelt, da nimmt der Puck doch keine Rücksicht auf Kleider. Umso größer sind Zettels Erschrecken und die Scham über die Entblößung, wenn er aufwacht. Die Szene habe ich schon oberflächlicher gesehen." Und vor allem im Kostüm. "Nacktheit ist für mich kein Problem, wenn sie plausibel und eine Notwendigkeit ist wie beim Zettel."

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Was geschieht eigentlich im Stück und mit der Figur? Das ist für Markus John die Leitfrage beim Herantasten an Rollen. "Bei Jürgen Gosch habe ich gelernt, mich als Schauspieler darauf zu verlassen, was mir in der Szene und mit den Kollegen geschieht." Der im letzten Jahr verstorbene Regisseur hasste in der Probenarbeit die Festlegung. "Er vertrat das Prinzip des Findens und Verwerfens und des aus dem Moment Spielens. Das zählte für ihn, nicht die Aufführung, weil nicht mehr ausprobiert wurde." Und das Risiko? "Wenn man sich darauf einlässt, wirkt es befreiend und öffnend."

John hat nicht immer so unkonventionell gearbeitet, war aber als Künstler stets ein Suchender. Er stand mit 21 Jahren zum ersten Mal auf der Bühne, spielte in Köln, München, Berlin. Überregionale Aufmerksamkeit brachten ihm die Alvis-Hermanis-Abende "Die Geheimnisse der Kabbala" und "Kölner Affäre" sowie Karin Beiers Inszenierungen "Der Gott des Gemetzels" und "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" - eingeladen zum diesjährigen Theatertreffen und in "Theater heute" als beste Inszenierung des Jahres gewählt. Aber der Brutalo und Proll Norbert ist nur eine Facette im weit gespannten Spektrum des Charakterschauspielers.

Er lebt nicht so sehr für die Bühne, sondern widmet sich dem Leben. Darum fließen Reflexionen gesellschaftlicher Entwicklungen in seine Figuren erkennbar und (oft auch erschreckend) realitätsnah ein. "Ich versuche aber nicht bewusst etwas von meinen Lebenssituationen auf die Bühne zu bringen", betont John. "Berufs- und Familiensphäre sind getrennte Welten: Wenn ich überlege, was ich den Kindern abends koche, ist das etwas anderes, als wenn ich mich frage, worum es im Lear geht." Die äußeren Lebensabläufe haben sich für den Vater von drei Töchtern im Alter von zwei, sechs und zehn Jahren verändert. "Ich bin sicherlich verantwortungsbewusster geworden, denke anders über den Tod nach und das spiegelt sich vermutlich auch in der Arbeit wider."

Als Danton stand er mit Ute Hannig als seiner Frau Julie auf der Bühne. "Natürlich können wir das Theater nicht aus unserem Leben raushalten. Jeden Tag sind Termine abzustimmen. Auch wenn wir nicht zusammen spielen, reden wir über die Dinge, die uns betreffen oder bewegen. Aber, Gott sei Dank, haben wir uns beide ein natürliches Verhältnis zu unserem Beruf erhalten, sodass er uns im Privatleben nicht allzu viel kaputt macht."

Der Großstadtmensch Markus John fühlt sich jetzt in Hamburg richtig wohl. Auch wegen des Hafens. "Wasser macht viel mit einer Stadt und viel Wasser macht noch mehr mit einer Stadt." Alles, was es gesellschaftlich gibt, sei hier repräsentiert - "anders als in München oder Köln. Großstadt in Deutschland", sagt Markus John, "fängt bei Hamburg erst an."

Penthesilea Premiere Do 9.9., 20.00, Schauspielhaus, Karten T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de