Literaturhaus-Chef Rainer Moritz hat “Die schönsten Buchhandlungen Europas“ in einem Bildband porträtiert, darunter auch Felix Jud in Hamburg.

Hamburg. Für Goethe waren es die "großen Krambuden der Literatur", während sein Kollege Jurek Becker eher übellaunig notierte, dass er beim Betreten einer Buchhandlung stets das Gefühl habe, "von Überflüssigem umzingelt" zu sein. Es gibt nicht wenige Autoren, die Buchhandlungen mit dem einzigen Ziel aufsuchen, zu überprüfen, wie viele der eigenen Titel dort präsentiert werden. Nein, Buchhandlungen sind nicht für Schriftsteller da, sondern für deren Leser, für jene also, die dort nicht Konkurrenz wittern, sondern gar nicht genug davon bekommen können.

Eine gute Buchhandlung muss berechenbar sein, man muss also einen bestimmten Titel zügig finden, aber außerdem auf angenehme Weise auch unberechenbar. Sie muss uns auf Abwege führen, auf dass uns Entdeckungen gelingen, wir mit ungeahnten Themen, nie gehörten Autoren Bekanntschaft machen. Eine gute Buchhandlung muss nicht nur zweckmäßig, sie muss auch schön sein. Was das alles bedeuten kann, hat Rainer Moritz, der Chef des Hamburger Literaturhauses, in vielen Städten erkundet und - gemeinsam mit vorzüglichen Fotografien von Reto Guntli - in dem Text-Bildband "Die schönsten Buchhandlungen Europas" zusammengestellt. Moritz hat berühmte Institutionen besucht und deren Geschichte und Atmosphäre beschrieben, die Librairie Auguste Blaizot im vornehmen achten Pariser Arrondissement zum Beispiel oder die unglaublich prachtvolle Livraria Lello in Porto. Und auch die Hamburger Buchhandlung

Felix Jud, die 1923 gegründet wurde und seit 1956 in der ebenso vornehmen wie schönen Mellin-Passage residiert. Für literaturinteressierte Hamburg-Besucher gehört der stilvolle Laden mit dem erlesenen literarischen Angebot, der außerdem über eine Abteilung Kunsthandel verfügt, längst zu den Sehenswürdigkeiten der Hansestadt.

Doch viele seiner Favoriten stehen nicht in Reiseführern und befinden sich auch nicht in Kulturmetropolen, sondern zum Beispiel auch in Kleinstädten wie etwa in Stade. "Zwei hohe, fast bis auf den Gehsteig reichende Schaufenster, zwei Wandkästen, zwei Postkartenstände - keine spektakuläre Ansicht und doch eine, die auf Anhieb deutlich macht, dass in diesem Haus keine Beliebigkeit herrscht und ein Geschäftssinn regiert, der um seine Wurzeln weiß", schreibt Moritz über die 1840 gegründete Buchhandlung Friedrich Schaumburg, in der das historische Ambiente aufs Beste mit kenntnisreichem buchhändlerischen Service harmoniert.

Schön können für Moritz sogar Buchhandlungen sein, die Ketten angehören, wie zum Beispiel das Thalia-Buchhaus Campe in Nürnberg. "Klares Licht durchflutet die Filiale, und selbst an einem eher ruhigen Werktag ist offensichtlich, dass die Campe-Kunden dieses weitläufige Areal und seine kleinteilige Struktur annehmen. Allenthalben machen es sich Leserinnen und Leser bequem, stöbern ohne Hektik in Neuerscheinungen, als säßen sie auf ihrem häuslichen Sofa", schwärmt Moritz, der einräumt, dass seine Auswahl natürlich subjektiv ist. Um den gemeinsamen Nenner seiner 20 anregenden Buchhandlungs-Porträts deutlich zu machen, zitiert Moritz schließlich die Mailänder Verlegerin Inge Feltrinelli, die als das entscheidende Kriterium genannt habe, dass Buchhandlungen "den Kunden verführen" wollen. Wer wollte sich dem entziehen?

Rainer Moritz/Reto Guntli Die schönsten Buchhandlungen Europas. Gerstenberg. 200 Seiten, 39,95 Euro