Musik-Produzent Levin ist personifizierte Hamburger Pop-Geschichte außerhalb des Rampenlichts. Er nahm u.a. Platten mit Kante und Tocotronic auf.

Hamburg. Wer eine CD kauft, von Tocotronic, Kante oder Jens Friebe etwa, mit Punk, Indie-Rock oder Neuer Musik, hört Tobias Levin . Doch sein Name ist nicht in großen Lettern auf dem Cover zu lesen, sondern im Kleingedruckten der Platte. Oder in Interviews, in denen Bands oft überschwänglich für seine Dienste danken. Levin arbeitet im Hintergrund . Er ist Produzent, nimmt Musik auf und bearbeitet die Songs, sodass sie auf iPod, Plattenspieler oder Stereoanlage ertönen können.

"Ein Studio ist ein Ort mit Mikrofonen, aber keine verdammte Trickkiste", sagt Levin im Café Erste Liebe, Treffpunkt vieler Fleetinsel-Künstler und -Galeristen direkt um die Ecke von seiner Wirkungsstätte. Betont bedächtig erzählt der 44-Jährige von seinem Beruf. Denn er ist sich der Mythen bewusst, die die Entstehung von Pop- und Rock-Alben umwehen. Der Mythos des einflussreichen George Martin zum Beispiel, der als "fünfter Beatle" bei den Fab Four "ganz explizit die Arrangements geschrieben" hat. Und der konträre Mythos Steve Albinis, der sich - etwa bei Aufnahmen mit Nirvana - gar nicht als Produzent verstand, also als einer, der Einfluss nimmt, sondern als Recording Engineer, der den Sound einer Band schlichtweg gut abzubilden versucht. Levin hat beides erlebt. Dem Weißen Album von Tocotronic aus dem Jahr 2002 widmete er sich anderthalb Jahre, quasi als "viertes Bandmitglied". Andere Formationen, wie aktuell die Brassband Tätärä, hat er eher im Albini-Stil aufgenommen.

Wenn Levin sich als Produzent einlässt auf ein Projekt, ist sein wichtigstes Prinzip die "Tradition des Kollektivaufnehmens". Zwar weiß er, welche Knöpfe er drehen muss, um akustische Wow-Effekte herzustellen. Doch er möchte kein Frontalproduzent sein, der egomanisch im Regieraum hinter Glasscheibe und Mischpult hockt und Geschmackspolizei spielt. An erster Stelle steht die Kommunikation aller. "Sich ein Studio vorzustellen als reine Projektion von einem einzigen kreativen Kopf, ist eine richtige Falle. Eine Sackgasse", erläutert der Musikarbeiter. "Platten entstehen so nicht. Der Punkt ist, in einer bestimmten Zeit die Musik mit anderen zu betrachten."

Levin hat einige solch kluger Leitlinien parat. Eine weitere ist: "Jede Idee ist dafür da, dass sie auf den Tisch kommt." Eine Philosophie des Musikers Kristof Schreuf, mit dem er viel zusammen gearbeitet hat. "Ich verteidige, etwas auszuprobieren. Dabei bin ich nicht selbstlos. Ich bin taktisch", sagt er und grinst wie zur Betonung diabolisch.

Das kann er mindestens so gut wie freundlich gucken. Levin, ein Mann mit scharfen Gesichtszügen, spricht schnell. Konzentriert. Kein Dampfplauderer, aber einer, der mit Druck redet. Eine gewisse Notwendigkeit ist spürbar, wenn er seine Ansichten formuliert. Etwa: "Das Studio ist ein Ort der Möglichkeiten, wie ein experimentelles Theater, wo sich Dinge ausformulieren lassen, die weder im Proberaum noch auf der Bühne möglich sind."

Das klingt in der Theorie schön hippiesk. Aber wenn sie dann doch einmal dazwischenfunken, die Egos, Unstimmigkeiten und Übermüdungen, kann sein wichtigstes Werkzeug, die Intuition, durchaus auch verloren gehen. Für solche Fälle hat Levin zum Glück ein Gegenmittel parat. Pausen. "Die meisten Konflikte entstehen durch Überforderung aus zu harten Arbeitszeiten." Über Jahre habe er lernen müssen, seine Energie besser zu verwalten.

Wer sehen möchte, wie Levin im Hintergrund arbeitet, muss in den Untergrund. Historisch betrachtet. Und auch ganz konkret. Durch schmale Gänge und Treppen hinab. In Kellergewölbe aus dem 18. Jahrhundert. Zwischen Steinbalken und unter Holzstreben stehen Instrumente, die Zeitzeugen deutscher Musikgeschichte sind. Ja, so hoch darf man die Electric Avenue Studios mit ihren niedrigen Decken ruhig hängen. Unter dem Konzertsaal Westwerk in der Admiralitätsstraße hat er zahlreiche große Hamburger Platten von Rocko Schamoni bis Gisbert zu Knyphausen zur Vollendung gebracht. Auf einem wuchtigen analogen Mischpult.

Von den "zehntausend Zuständen", die sich im Computer abspeichern lassen, hält er nichts. In dem Punkt ist er konservativ. In seinem Studio gehe es darum, Entscheidungen zu fällen. Levin bezeichnet sich selbst als technikfaul. "Es gibt keine Vergangenheit als Löter."

Das Geld für das erste Equipment hat er sich unter anderem drei Jahre lang als Live-Gitarrist bei Blumfeld erspielt. Levin kennt sie also, die andere Seite, die des Musikers. Und wer in den 90ern Songs mit kritischen, linksorientierten Texten machte wie Slime, Die Sterne oder eben Blumfeld, der ließ seine Platten von Chris von Rautenkranz produzieren. "Ich bin ihm in ewiger Dankbarkeit freundschaftlich verbunden", sagt Levin. "Zum einen, weil er mich damals im Studio als Musiker ertragen hat mit meiner Band Cpt. Kirk &. bei der Platte ,Reformhölle'. Zum anderen, weil er mir geholfen hat, meinen Weg zum Aufnehmen zu finden."

Besagtes Album aus dem Jahr 1992 beschreibt nicht nur eine ästhetische und inhaltliche, sondern auch eine private Reformhölle. Fünf Jahre dauerte es, das Werk zu veröffentlichen. Längst zählen die nervösen Songs zum Standard des Diskursrocks. Levins Anstrengung bestand damals darin, "eine Musik neu zu erfinden". Da eine Nervenstörung Muskeln seiner linken Hand schwinden ließ, konnte der Gitarrist bestimmte Akkorde nicht mehr greifen. "Die Leichtigkeit, mit der ich früher gespielt habe, ist verloren gegangen. Und ich habe dann gewechselt. Die Kreativität floss in eine andere Richtung."

Und diese neue Kreativität, die sich im Studio entfaltet, sie hat für Levin viel mit Schwingungen zu tun. "Ein konzertanter Raum hat eine besonders ausgewogene Akustik. Man wirft einen Klang hinein und der wird von den Wänden zurückgeworfen. Das Gleiche machen Menschen auch. Du spielst mir etwas vor, und ich werde über meine Gesten etwas zurückwerfen." Manchmal zeigt die Reaktion, es fehlt noch ein Klang. "Einer sagt etwa: Ich höre da eine Trompete, wir müssen diesen mexikanischen Trompeter ranholen. Okay." Und Levin ist darauf spezialisiert, das Besondere, das Musik zum Funkeln bringt, aufzuspüren. Ein Prozess, der bis zur Nerd-Grenze geht. Und darüber hinaus. "Leute wie ich müssen es mögen, sich drei Stunden lang ein Bass Drum Highhat-Pattern anzuhören und zu überlegen, wie sich der Klang so verändern lässt, dass er andere Nachrichten aussendet."

Sein Beruf ist Zuhören, Reflektieren und Suchen. Suchen auch danach, wie die Musik wirken könnte. Therapeutisch. Euphorisierend. Traurig oder glücklich machend. Tanzbar. "Die Musik, die nicht alle im Raum begeistert, ist das Salz in der Suppe nicht wert", beschreibt Levin das Produzieren in und mit der Gruppe. Ohne den Vorgang zu idealisieren. Denn: "Keinen Menschen, der später die Platte hört, interessiert es, wie lange es gedauert hat, sie aufzunehmen."