Der Schriftsteller Matthias Politycki ließ sich einen Tag lang zum Teil eines Kunst-Projekts machen - mit einem Selbsterfahrungstrip auf einem Sofa.

Es ist soweit, Josef Trattner fährt vor, mich abzuholen, auf dem Autodach ein rosa Schaumstoffsofa, das er auf diese Weise von Wien nach Hamburg transportiert hat. Heute will er damit "die Stadt möblieren", wie er sich ausdrückt, ausgerechnet ich soll ihn dabei als eine Art literarischer Kronzeuge begleiten. Dabei möchte ich jetzt nur eines: auf der Stelle in den Boden versinken.

Was Sofakunst im öffentlichen Raum für mich an potentiellen Verlegenheiten in petto führt, habe ich mir als geübter Fremdschämer weidlich ausgemalt. Dabei ist der Künstler, der sich mir vor Wochen augenzwinkernd als Michelangelo Trattner vorstellte und im Verlauf eines fidelen Abends in seinem Atelier zunehmend als Schaumstoff-Josef entpuppte, dabei ist der Künstler ein durch und durch sympathischer, freundlicher, obendrein witziger Mensch, der jeden Zwischenfall gewiß ganz ohne rote Ohren meistern wird; eigentlich könnte ich ganz entspannt sein.

Denn er hat sie ja bereits gemeistert: All das, was bei Sofa-Installationen in österreichischer Berg- und europäischer Stadtlandschaft überhaupt an Reaktionen erfolgen kann, es ist bereits erfolgt, wie Trattner bereitwillig erzählt: von wütenden Protesten bis zur mutwilligen Zerstörung, vom sukzessiven Zerrupfen durch Tiere bis zum schlagartigen Platzverweis durch die Obrigkeit, von hartnäckiger Inbesitznahme durch Penner bis zum Versuch einiger Punks, das Sofa abzufackeln. Als Künstler, der im öffentlichen Raum agiert, muß man wohl starke Nerven haben, stärkere als ein Schriftsteller, der dort allenfalls inkognito Notizen macht und sich ansonsten möglichst unauffällig in Beobachtung übt.

Übrigens sei's ihm vollkommen egal, erklärte mir Trattner schon in seinem Wiener Atelier, ob seine Aktionen als Kunst wahrgenommen würden oder nicht, Hauptsache, wir beide hätten einen schönen Tag miteinander. Nein ohne Schriftsteller geht es nicht, die literarische Begleitung seiner Sofafahrten, wie er sie nennt, ist notwendiger Bestandteil des Ganzen: Schließlich sollen darüber nicht nur Photos und Videos, sondern eben auch Texte entstehen. Auf diese Weise hat er bereits Autoren in Zagreb, Triest, Bern, München usw. besucht, ist ein ganzes Buch entstanden: "Sofa" ...

Der Künstler strebt den Moment an, wenn Objekt und Stadt nahtlos passen

Aha, noch einer, der mit seiner roten Couch die Welt bereist und Konzeptphotographie betreibt wie weiland Horst Wackerbarth. Wo dieser jedoch Menschen aller Gesellschaftsschichten auf seiner Couch Platz nehmen ließ, um auf diese Weise das Porträt eines ganzen Landes zu erstellen, will Trattner mit seinem rosa Sofa nur beiläufig mit Menschen zu tun haben; er strebt den verschwiegenen Moment an, wenn sein Objekt und die Stadt tatsächlich nahtlos zueinanderpassen.

Die Wochen bis zum anberaumten Hamburger Sofatag verbringe ich damit, die Zusage zu bereuen. Und die Frage zu bebrüten, was einen Künstler eigentlich dazu treibt, sich seriell im öffentlichen Raum zu blamieren. Denn daß es darauf hinausläuft, bin ich mir sicher; oder ist Trattner ein Schelm, der mit uns spielt, ein Wegelagerer, der Publikumsreaktionen und "Interaktionen" erzwingt - will er mit seinem Sofa irritieren? Ein Sofa gehört nun mal ins Wohnzimmer und nirgendwohin sonst, eigentlich. Aber ist, andrerseits, nicht längst alles möglich, vorausgesetzt man deklariert es als Kunst? Genau das tut Trattner freilich nicht, er siedelt sich ausdrücklich jenseits des etablierten Kunstbetriebs an; und mit ihm sein Sofa. Das allerfriedlichste Möbel im alleröffentlichsten Raum? Es wirke durch schiere Anwesenheit provokant und lade das Umfeld ästhetisch auf, so oder ähnlich hat er es mir erklärt, dennoch sei es nicht die Sache selbst.

Was aber dann? Und wo ist der Haken? Ist alles womöglich nur eine besonders raffinierte Form, Städteurlaube als Arbeitsprojekte zu tarnen? Ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom als künstlerische Betätigung auszuleben? Sich einen Tag lang mit der Zudringlichkeit, wie sie sonst nur Straßenmusikanten zukommt, auf Kosten anderer wichtig zu machen? Um dafür am Ende auch noch für seine rosarote Schule des Sehens, für Entschleunigung auf dem Gehsteig, für was immer geliebt zu werden? Oder macht sich Trattner über uns alle lustig, die wir ein dermaßen auratisches Verhältnis zu Kunstwerken haben, daß wir sie nur gerahmt als solche erkennen, egal, was innerhalb des Rahmens ist und in welcher Qualität? Ach, es wird höchste Zeit, daß wir die Sache hinter uns bringen. Und daß ich dabei stets gebührend Abstand halte, auf daß mich ja keiner mit dem Künstler verwechsle.

Auf dem Platz kommt dann alles ganz anders als erwartet - nicht nur das Wetter, auch das Sofa spielt an diesem Sonnabend grandios mit, macht sich ausnehmend gut in der Hamburger Kulisse. Mitunter regelrecht spektakulär, besonders dort, wo es auf ebenbürtig hart inszenierte Ecken und Kanten trifft: etwa in der Speicherstadt oder in Dan Grahams merkwürdig selbstreferentiellem Glaskiosk "Double Triangular Pavilion for Hamburg" an der Außenalster - durch das Sofa, so will's scheinen, wird dieser Faradaysche Kunstkäfig begehbar, ja bewohnbar gemacht, die Gedenkschatulle wirkt erst mit einem Gedenksofa komplett.

Unterwanderung des Erstnutzungskonzepts scheint auch andernorts keinen geringen Anteil am Erfolg der Sofa-Plazierung zu haben: Die frisch planierte Fläche zwischen frisch hochgezogenen Hochhausfronten in der HafenCity, bislang eine bloße Leerstelle im Bauareal, wird durch das Sofa zum idealen Unter-, die Fassade zum idealen Hintergrund, der das Altrosa des Schaumstoffs in der Farbe seiner Ziegel aufgreift. Doch auch in weniger streng vorgegebene Versuchsanordnungen setzt das Sofa sogleich seinen Akzent, etwa an der Elbe, wo es sich als archaisch anmutende Skulptur gegen die ansteigende Flut behaupten muß. Und weil jetzt auch die Sonne zwischen den Wolken durchkommt und ein träge dahingleitender Containerriese das Ganze trefflich konterkariert, sieht das Arrangement nicht nur "irgendwie interessant" aus, sondern mindestens apart; wie beim kleinen Brillanten im Ohrläppchen einer schönen Frau, sein Funkeln setzt sie noch schöner in Szene.

Alle spielen sie auf ihre Weise mit, die Hamburger Bürger

Entsprechend enthusiasmiert filmt Trattner mit; sucht der Photograph die ideale Perspektive; zunehmend begeistert photographiere ich meinerseits und lasse mich photographieren; nicht selten greift das Virus auf Passanten über. Ja, alle spielen sie auf ihre Weise mit, die Hamburger Bürger, zurückhaltend, dezent humorvoll, wie man es ja eigentlich hätte erwarten können; vorbeiflanierende Mädchen verfallen in den Catwalk, nur weil ein paar Objektive in der Nähe sind; kaum einer geht ohne Kommentar oder wenigstens Blickkontakt vorüber. An der Binnenalster, wo man dichtgedrängt einem Wettkampf der Ruderbundesliga folgt, prostet man uns pulkweise zu, als wir mit unserem Sofa auftauchen - "Habt ihr davon nicht auch 'ne längere Version?"; an der Strandperle, wo sich sogleich flanierende Pärchen des Zweisitzers bemächtigen, es scheint wie für sie geschaffen, ruft man uns am Ende nach: "Das Sofa könnt ihr aber dalassen!"

Der Künstler ist in seinem Element, erklärt seine Installationen mit Charme und reichlich Wiener Schmäh den unmittelbar "Betroffenen", erweist sich als begnadeter Sofaflüsterer. Sogar die Autonomen von der Roten Flora, die sich gerade eben erst aus ihren Schlafsäcken auf den Treppenstufen herausgepult haben, tolerieren ihn. So schafft er seinem Sofa ideale Rahmenbedingungen; wenn hier denn doch und wider Trattners wiederholter Bekundung Kunst entstehen sollte, so bereits und nicht zum geringsten Teil die des sozialen Miteinanders: Vom vorsichtigen Abtasten bis zum gemeinsamen Lachen entwickelt es sich im Verlauf des Tages in immer neuen Konstellationen.

Fremdschämen? Sollen sich in Zukunft andere, der einzige Moment, da ich damit hätte beginnen können, verstreicht ungenutzt in der Övelgönne, Hausnr. 50, wo Peter Rühmkorf bis zu seinem Tod lebte: Der Ort darf auf "meiner" Tour natürlich nicht fehlen. Kaum haben wir unser Sofa in Stellung gebracht, ruft auch schon einer der Nachbarn: "Ach, Sie sind doch der mit dem Kreuzfahrtbuch, oder?", und in diesem Moment wäre zumindest Selbstschämen angesagt gewesen. Aber dazu habe ich gar keine Zeit; muß vielmehr zur Kenntnis nehmen, daß es mitnichten der Künstler ist, der den ehemaligen Rühmkorf-Nachbarn nun das Projekt erklärt, sondern kein anderer als ich selber, als wäre's mein eigenes.

Sehr zu meiner Verwunderung hat sich eine Art Mitspieltrieb in mir Bahn gebrochen, mit Lust trage ich das Sofa zu seinen Einsatzorten, bestehe sogar darauf, es da und dort hochkant aufzustellen, einfach um sehen, wie es sich in die Stadtlandschaft einfügt: an insgesamt 17 Stationen, zum Abschluß sogar bei meinem Stammtürken in der Schanze, im "Pamukkale", wo man uns sofort Tische und Bänke wegschiebt, um den Platz vor dem Tresen für das Sofa freizuräumen. Mehmet, der Besitzer, den man telephonisch davon informiert, kommt vorbei, um sich mit uns zusammen photographieren zu lassen.

In Zukunft will ich es mit der bildenden Kunst immer so entspannt halten

Um auf unsere Erlebnisse anzustoßen, schafften wir das Teil schließlich ins Eimsbüttler "Meisenfrei"; als wir am Ende wieder abzogen - Trattner zielt auf die Kunst des Augenblicks, die das Schöne schafft, um es gleich wieder im Nichts aufzulösen -, rief uns einer der Gäste gutgelaunt nach: "Geht's jetzt zur nächsten Kneipe?"- "Nein", ließen wir wissen, "wir holen jetzt das blaue."

Auch am Morgen danach mußte ich mir eingestehen, daß ich einen ganzen wunderbaren Tag lang meisenfrei gehabt hatte und daß ich es in Zukunft mit der bildenden Kunst immer so entspannt halten wollte. Es blieb mir gar nichts anderes übrig als Abbitte zu leisten bei einem Menschen, der einiges an Beschimpfungen, Verwarnungsgeldern, Verweigerungshaltung riskiert, der es immer wieder auch mit Leuten wie mir versucht, die ihn und sein Tun von vornherein als lächerlich oder zumindest zweifelhaft abtun und dann am liebsten nur stumm schmollend dabeistehen wollen. Josef Trattner, Sozialarbeiter mit Verhaltensunauffälligen, vielleicht ist genau das ja das Geheimprojekt seiner Sofafahrten? Mögen andre darüber grübeln

Der Schriftsteller Matthias Politycki , Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und München. Nach seinem viel beachteten "Weiberroman" (1997) schrieb er unter anderem den großen Kuba-Roman "Herr der Hörner", das Kreuzfahrt-Logbuch "In 180 Tagen um die Welt" sowie zuletzt die "Jenseitsnovelle". Voraussichtlich im Frühjahr erscheint bei Hoffmann und Campe "London für Helden", derzeit arbeitet Politycki an seinem nächsten Roman: "Samarkand Samarkand". Politycki schreibt in alter Rechtschreibung.