Der kluge Kopf dahinter: In loser Folge stellen wir Künstler und Kulturarbeiter außerhalb des Rampenlichts vor. Heute: Lektorin Ingrid Grimm.

Hamburg. Ob Bella Block ihre Fälle so schnodderig elegant lösen würde, wenn nicht Ingrid Grimm von Anfang an ein aufmerksames Auge auf sie geworfen hätte, ist fraglich. Auch Ulrich Wickerts Untersuchungsrichter Jacques Ricou würde sich wohl mal verzetteln, wenn Grimm nicht zuweilen die Fäden wieder entwirren würde.

Doris Gercke, Ulrich Wickert, Amelie Fried, Sten Nadolny oder Jürgen Leinemann heißen einige der Autoren, deren Werke Ingrid Grimm lektoriert. Vor Jahren hat sie sich selbstständig gemacht. "Ich habe immer beides lektoriert, Literatur und Unterhaltung. Ich glaube, es ist wichtig, dass jedes Buch in seinem Genre gut ist", sagt die kleine, drahtige Frau, die seit Jahrzehnten im Geschäft und wahnsinnig gut im Literaturbetrieb vernetzt ist. Autoren, die von so einer Lektorin betreut werden, haben deutlich bessere Startchancen. Nicht unerheblich in einem Geschäft, in dem jährlich bis zu 15 000 belletristische Titel erscheinen und in dem die Verlagslektoren unter immer größerem Zeitdruck arbeiten.

Wahrscheinlich findet jeder Autor sein Buch gut. Eine Lektorin sorgt dafür, dass es besser wird. Jeder Autor erwartet von seiner Lektorin oder seinem Lektor "eine übermenschliche Sachlichkeit zu seinen Gunsten", hat Martin Walser kürzlich gesagt und kommt damit der Wahrheit sehr nahe. Vor allem erwarten Autoren von ihren Lektoren Glaubhaftigkeit. Eine Lektorin, das ist nicht nur so etwas wie eine Beichtmutter für Schriftsteller. Sie muss, als jeweils erste Leserin eines Textes, auch für Logik, Dramaturgie, Sinn und Zusammenhang des Buches sorgen, das da entstehen soll. Sie muss den Autor und die Autorin in deren Gedankengängen begleiten, muss sie an Unsinn hindern, von Überflüssigem befreien, ihnen den Weg weisen, stundenlang über das Innenleben ihrer fiktiven Figuren sprechen, Mut machen, möglichst diskret und sanft kritisieren, zum Weiterschreiben animieren oder einfach nur zuhören.

Für Ingrid Grimm eigentlich alles kein Problem. Sie lacht viel und ist der Typ schlagfertige Berlinerin, die sich in alle möglichen Gehirnwindungen hineindenken kann.

Eigentlich wollte Ingrid Grimm zum Theater. Dann bekam sie während ihres Studiums ein Praktikum bei einem großen Frankfurter Verlag, bei dem sie drei Monate lang "ganz viel machen" durfte. "Learning by doing" heißt das neudeutsch. "Ich war begeistert. Als ich zurück zum Studium nach Berlin ging, war ich entschlossen, bei einem Verlag anzufangen", sagt Ingrid Grimm. Schon zwei Monate später kam ein Jobangebot für die Stelle einer Lektorin beim S. Fischer Verlag. "Ich hab dann gegen den Willen meines Vaters das Studium abgebrochen", erzählt Ingrid Grimm. "Das war ein Affentheater."

30 Jahre war Ingrid Grimm als Lektorin fest angestellt bei Verlagen, zuerst beim S. Fischer Verlag und dann lange Zeit bei Bertelsmann. Seitdem arbeitet sie frei. Viele Autoren wollten bei ihr bleiben. Die Festanstellung bedeutete, umzuziehen. Grimm hat in Berlin, Frankfurt, Gütersloh, Hamburg, München gelebt und ist seit einigen Jahren nun wieder in Berlin. Am liebsten arbeitet sie in ihrem schnuckeligen Haus auf Sylt. So kann sie, nach stundenlanger Kopfarbeit, mal raus und sich den Wind um die Ohren pusten lassen.

Neben der Betreuung der Autoren geben Lektoren Sammelbände heraus, schreiben Texte für die Programmvorschauen, die Klappen- und Buchrückseitentexte und vieles andere mehr. Grimm macht das alles auch. In Absprache mit den Verlagen organisiert sie die Abläufe bei Herstellung, Werbung und mit der Presseabteilung. Denn Lektoren müssen nicht nur ästhetisch, sondern auch ökonomisch argumentieren können. Büchernarren, die am liebsten mit viel Zeit und Liebe Manuskripte betreuen würden, können so zu Produktmanagern werden, die darauf schauen, was dem Markt dienlich ist.

Lektoren sind eine Art Doppelagent zwischen Verleger und Autor. Sie benötigen das kaufmännische Verständnis eines Bankiers und das Einfühlungsvermögen eines Sozialarbeiters. "Eine meiner ehemaligen Verlegerinnen hat gern zu mir gesagt: Frau Grimm, Sie setzen sich bitte bei dem Autor durch. Und der hat mir dann geantwortet: Was diese Frau sagt, interessiert mich überhaupt nicht."

Die meisten Autoren, die Ingrid Grimm betreut, rangeln nicht mit ihr um Kompetenz, sondern suchen ihre Hilfe. "Wenn wir schon länger zusammen sind, erarbeiten wir vorher die Themen. Ich frage zuerst: Wie viel wissen Sie denn über dieses Thema? Und wenn der Autor etwas zu erzählen hat und ich beginne mich dafür zu interessieren, denke ich, dass es auch andere Menschen interessieren wird."

Natürlich geht es bei einer erfahrenen Lektorin, die in der Branche bekannt ist, auch andersherum. Ein Verlagsleiter tritt an die Lektorin heran, und fragt, ob sie nicht einen seiner Schriftsteller betreuen kann. Einmal bat sie einer einen Wissenschaftsautor zu lektorieren, der gerade seinen ersten Roman schrieb. Über Riesenkalmare. "Tiere interessieren mich eigentlich nicht", antwortete Grimm und lehnte dankend ab. "Zufällig flogen wir dann im selben Flugzeug zur Buchmesse nach Jerusalem, und der Verleger bat mich: Guck doch mal rein." Sie hat sich im Hotel auf die Terrasse gesetzt: "Und ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen, so spannend war die Geschichte." Das Buch hat sie dann lektoriert, "ich hab daran so viel über die Tiefsee, über Fische, Forscher gelernt". Ihre Aufgabe war es, den viel zu langen Text neu zu konzipieren. "Kürzen, Spannung reinbringen, Vorschläge machen." Der Autor fand seine eigene Geschichte plötzlich viel besser.

Das ist die Quintessenz des Lektoren-Berufes: einen Text zu verbessern. Diplomatie ist auch wichtig. "Wenn mir etwas missfällt, sage ich das natürlich nicht direkt, sondern mache Vorschläge, beispielsweise was ich spannender fände. Gemeinsam kommt man meistens auf die beste Lösung." Problematisch sind Autoren, die wunderbar schreiben, aber keine Geschichte erzählen können. "Denen sage ich: Sie müssen leider noch einmal von vorne anfangen."

Jeder Autor ist froh, dass er in der Lektorin einen Menschen hat, der sich so intensiv mit seinem Text, seinem Herzblut befasst. "Dann darf es ruhig auch mal kritisch sein." Die häufigsten Fehler von Autoren seien, sich im Vorfeld nicht intensiv genug mit ihren Figuren beschäftigt zu haben. "Man muss alles über seine Figuren wissen", sagt Grimm, "noch ehe man die Geschichte beginnt. Und die Figuren müssen leben." Und sie sollten über klar erkennbare Charaktermerkmale verfügen. Auch, um sich voneinander zu unterscheiden.

Jeder, der einen Roman schreibt, verarbeitet sein eigenes Leben. "Da man darüber kritisch reden muss, kommt man oft automatisch dazu, jemanden persönlich zu kritisieren. Manchmal macht es die Zusammenarbeit schwer, dass man so eng zusammenarbeitet." "Ich kenne seine geheimsten Gedanken, hat mir ein Autor mal bescheinigt", sagt Grimm. "Und das klang sehr nach Hilferuf."

Acht bis elf Bücher lektoriert Ingrid Grimm pro Jahr. Liest sie auch noch privat? "Ja. Im Urlaub und abends im Bett." Entdeckt sie da Berufsfehler ihrer Kollegen? Grimm lacht: "Klar. Jede Menge. Manchmal würde ich am liebsten den Stift nehmen und sofort losredigieren. Aber ich kann mich zum Glück noch immer gefangen nehmen und begeistern lassen."