Das Blenden ist eine Männerdomäne - oder hat schon mal jemand eine wirklich schamlose Aufschneiderin und Durchmoglerin getroffen?

Hamburg. Der Blender ist seit Karl-Theodor zu Guttenberg fürs Erste ordentlich bloßgestellt: Und dennoch gibt es ihn weiterhin in vielfacher Ausführung. Er ist eine zeitlose Sozialfigur, ein immerwährendes Ärgernis - und allmorgendlich das berechnend lächelnde Gegenüber im Fahrstuhl der Firma. Für ihn fährt der eigentlich immer nach oben, sofern er nicht den Fehler begeht, aus Titel-Sucht die eine oder andere Fußnote zu vergessen.

Dabei ist der Blender, für den es eine Vielzahl von anderen Begriffen gibt, doch auch eine beinah unerlässliche Person, auf deren Existenz der Bürotratsch baut; das nie verstummende Gerücht. Man nennt diese wenig gemochte Spezies auch Durchmogler, Schleimer, Speichellecker, Karrierist, Goldjunge oder Prahlhans. Schleimer, wohlgemerkt, nicht Schleimerin - Blenderinnen begegnen einem seltener. Diese Meinung vertritt übrigens auch Roman Maria Koidl in seinem neuen Buch "Blender. Warum immer die Falschen Karriere machen": So plump wie Männer sind Frauen oft einfach nicht.

Blender sind begeisterte Wettbewerber, sie betrachten die Arbeits-, nicht selten aber auch die übrige Welt als Kampfplatz. Auf dem gilt es, den anderen auszustechen, dafür sind viele Mittel recht. Zum Beispiel das strategische Intrigieren, durch das man Kollegen schlecht und sich selber gut aussehen lässt. Oder das beständige In-den-Vordergrund-Spielen, mithilfe dessen man Teamarbeit als eigene verkauft.

Oder das grundsätzliche Herumwieseln um den Chef. Der Name "Stromberg" muss jetzt fallen: Der ist das Paradebeispiel des manipulativen Möchtegern-Alphamännchens, dessen durchsichtige und doch so schwer auszubremsende Manöver hohen Wiedererkennungswert haben. So ein, Pardon, Arschloch hat jeder schon einmal kennengelernt. Oder doch zumindest fast: So großzügig mit der Wahrheit, so schamlos mit den Mechanismen der Macht wie die Fernsehfigur hantiert dann wohl doch niemand im wirklichen Leben. Der Blender ist ja kein Paria der Leistungsgesellschaft, obwohl ihn keiner mag; im Gegenteil hat er einen hohen Wert an der Aufmerksamkeitsbörse, weil er sich zu inszenieren weiß.

Und wenn er geschickt ist, kann ihm nie jemand nachweisen, dass er nicht durch Leistung, Können und Expertise eine hohe Position ergattert hat. Der Blender ist eine Erscheinung, die habituell auffällig ist - und die trotzdem mit ihren Aufschneidereien viel zu oft durchkommt. Der Blender kann nämlich auch ziemlich nett sein. Er weiß immer, welche Knöpfe er drücken muss, um andere für sich arbeiten zu lassen. Zum Beispiel, indem er lobt oder auch einfach nur äußerlich einnehmend ist: Körperliche Attraktivität wirkt immer.

Die gesellschaftliche Praxis des Blendens hängt nicht exklusiv mit der Karrieregeilheit ihrer Nutzer zusammen. Nein, das Blenden - das Vortäuschen eines strahlenden Wesens, dem sich keiner entziehen kann - gehört zum Alltag der Wettbewerbsgesellschaft. Er ist nicht nur Bestandteil der Unternehmens(un)kultur, sondern der sozialen Bemühungen schlechthin. Die Leistungs- und Mediengesellschaft fordert diesen Tribut: Wer hat sich in einem Bewerbungsschreiben nicht schon einmal größer gemacht, als er ist, und etwa eine Fremdsprache ("fließend") mehr angegeben, als er eigentlich spricht? Es geht immer darum, sich als interessant, begabt, geschmackssicher und gut vernetzt darzustellen. Facebook und seine faszinierenden, verführerischen Möglichkeiten der Selbstinszenierung sind da nur der zeitgemäße Entwicklungsstand einer Gesellschaft, in der sich jeder produzieren muss.

Die poetische Version des Moglers, der sich mit schauspielerischen Mitteln nimmt, was er will, ist Felix Krull: ein gleichwohl sympathischer Schelm. Und nicht zufällig ein Mann: Denn sein Geschlecht, führt der Sachbuchautor Roman Maria Koidl pointenreich in seiner oben genannten Abhandlung vor, hat die elende Blenderei schließlich erfunden und in männerbündlerischer Übereinkunft für karrieretauglich befunden. Zum Schaden für die Frauen.

Die sind, schreibt Koidl und rekapituliert damit nicht ganz neue psychologische Erkenntnisse, wesentlich teamfähiger, weniger aufstiegsfixiert und opportunistisch als Männer: Sie möchten nur mit einer Karriere belohnt werden, wenn sie sich die durch harte Arbeit verdient haben. Ein Hohelied auf die Frau also? I wo: Grund dafür, warum in den Vorständen der 30 deutschen DAX-Unternehmen nur vier Frauen sind, sei auch, dass Frauen zu wenig ehrgeizig seien - und sich oft nur zu gerne von den Männern blenden ließen.

Roman Maria Koidl liest heute Abend, 19.30 Uhr, in den Hamburger Kammerspielen aus "Blender. Warum immer die Falschen Karriere machen" (Hoffmann und Campe, 16,99 Euro)