Immer mehr Fußball-Kommentatoren arbeiten mit ehemaligen Profis und Trainern zusammen. Doch kaum ein Zuschauer nimmt die Experten wahr.

Hamburg. Im Grunde ist es kaum zu erklären, dass über die Arbeit von Fußballkommentatoren so wenig bekannt ist - immerhin gehört das, was sie erledigen, zum Anspruchsvollsten im Journalismus: Sie sehen ein Spiel und beschreiben es gleichzeitig, finden Bilder für das Gesehene, analysieren und bewerten es. Gleichzeitig bedienen sie eine anspruchsvolle Mikrofon- und Schalttechnik, stehen in ständigem Kontakt mit der Regie - undihren Assistenten. Sie sind die Experten hinter den Experten, schieben ihnen Zettel mit taktischen Analysen zu, werten Statistiken während des Spiels aus. Doch niemand an den Fernsehschirmen nimmt sie wahr, sie sind die unsichtbaren Helfer im Hintergrund, die Taktiker unter den Talkern. Sie sind die "Fußballflüsterer".

Der ehemalige HSV-Trainer Michael Oenning ist einer von ihnen. Dass es sich so ergeben hat, war im Grunde ein Zufall: Oenning absolvierte 1998 seinen Trainerschein in Köln und wohnte bei einem Freund, der bei RTL jobbte - die Sportredaktion saß direkt gegenüber der Wohnung. "Als die RTL-Sport-Leute dann zu Premiere gewechselt sind, ist Marcel Reif mitgegangen", sagt Oenning. Er ist ein Fußballflüsterer der ersten Stunde. "Mit Reif wollte man einen völlig neuen Kommentarstil entwickeln, der mehr analysiert und dem Zuschauer erklärt, und da suchte man jemanden, der ihn dabei unterstützt." So kam man auf Michael Oenning. Drei Weltmeisterschaften hat der 46-Jährige inzwischen als Assistent begleitet, dazu ein gutes Dutzend Champions-League- und Europapokal-Endspiele.

Den Kommentator des Spiels nennt er "den Mann, der auf dem Drahtseil tanzt": Man müsse ihn möglichst gut aussehen lassen. Und eigentlich spricht Oenning auch ganz gern über dieses Thema - hätte es nicht in der Vergangenheit und vor allem während seiner Zeit als Bundesligatrainer Kritik an seinem Engagement gegeben. "Da hieß es dann schnell: Warum sitzt der denn am Mittwochabend bei Arsenal gegen Mailand, der sollte lieber bei seiner Mannschaft sein." Wäre er einfach Pizza essen gewesen, hätte sich wahrscheinlich niemand dafür interessiert. "Dabei ist es unbezahlbar für einen Trainer. Weil man das immer wieder in Bezug setzen kann zu dem, was man trainieren will, was man selbst sieht in der Bundesliga."

Unbezahlbar ist aber auch die Arbeit, die ein guter Fußballflüsterer während eines Spiels leistet. Tausende von Daten sind bereits vor Anpfiff über die jeweiligen Teams verfügbar, sie fassen alles zusammen, was für die Analyse interessant sein könnte: Zweikampfwerte, pro Spiel zurückgelegte Kilometer, Gelbe Karten, verschossene Elfmeter. Doch auch während des Spiels zerlegen inzwischen Computerprogramme das Geschehen auf dem Rasen in unzählige Angaben und Statistiken - daraus die Essenz für die laufende Partie zu ziehen ist für einen Kommentator so gut wie unmöglich. Mit den Augen muss er immer auf dem Feld sein. Und deshalb ist es für Kommentatoren auch kein Problem zuzugeben, dass die fachliche Analyse nicht von ihnen allein kommt, sondern in Zusammenarbeit mit einem Experten entsteht. "Was kann es für einen Reporter auch Besseres geben", sagt Oenning. "Er weiß, dass da jemand neben ihm sitzt, auf den er sich hundertprozentig verlassen kann."

Im deutschen Fernsehen gibt es inzwischen eine ganze Reihe Fußballflüsterer, ohnehin ist ja der Sportjournalismus voller Grenzgänger und Seitenwechsler. Es gibt ehemalige Spieler, die jetzt Journalisten sind - Markus Lotter zum Beispiel, der mit dem FC St. Pauli in der Bundesliga spielte und heute Sportchef der "Berliner Zeitung" ist. Und es gibt Journalisten, die Fußballflüsterer werden: Christoph Biermann, Autor zahlreicher Fußballbücher und Mitglied der "11Freunde"-Chefredaktion, ist seit Sommer 2010 der neue Mann an Marcel Reifs Seite. Michael Oenning, der über zehn Jahre mit Reif gearbeitet hat, assistiert jetzt Kai Dittmann. Gemeinsam kommentieren sie heute Abend das Spiel FC Barcelona gegenFC Chelsea London.

Neben ARD-Reporter Tom Bartels sitzt seit Jahren der ehemalige Fußballprofi Gerrit Meinke. Die beiden kennen sich, seit sie zusammen bei TuRa Melle in der fünfthöchsten Amateurklasse gekickt haben. "Gerrit ist mein wichtigster Kollege, mein Partner", sagt Bartels über Meinke. "Wir verstehen uns ohne Worte. Vor dem Spiel hilft er mir beim Sammeln der Infos, während des Spiels ist er meine Absicherung, meine Kontrollinstanz: Ich habe ihn per Kopfhörer 90 Minuten auf dem Ohr." Eigentlich wäre es da nur fair, die taktische Analyse mit einer Einblendung zu würdigen - wie es bei Kommentar und Regie ja bereits passiert.

Fußball-Champions-League Halbfinalrückspiel FC Barcelona - FC Chelsea, Sky Sport, 20.45 Uhr