Christian Krachts glänzend geschriebener Roman hat zu Unrecht einen Literaturskandal ausgelöst. “Der Spiegel“ sah rechtes Gedankengut.

Hamburg. Als "klein und weich" würden ihn wohl seine Freunde beschreiben, hat der Autor Christian Kracht einmal geantwortet. Groß ist der 1966 in der Schweiz in begüterte Verhältnisse hineingeborene Autor nicht. Und was er mit "weich" bezeichnet, meint wohl die empfindsame Natur des blonden Ästheten, der, seit er 1995 seinen Roman "Faserland" veröffentlichte, immer wieder exotische Schauplätze aufsuchte und faszinierend verstörende Menschen und Situationen beschrieb. Sein pracht- und kunstvoller Schreibstil, sein dandyhaftes, leises Auftreten irritierten gelegentlich die Öffentlichkeit. Zumal sich Kracht nie erklärend zu seinem Werk äußerte. Kracht galt als Exzentriker, als Sonderling, als "nicht stromlinienförmig". Dass er einer der souveränsten deutschsprachigen Schriftsteller ist, konnte er mit jedem seiner Werke beweisen.

Nun vermutete "Spiegel"-Autor Georg Diez im soeben erschienenen Roman Christian Krachts, "Imperium", einen "Wegbereiter" für "totalitäres, rassistisches" Ideengut und klagte den Autor als "Türsteher der rechten Gedanken" an. "Skandal" hieß es im "Spiegel", Autor Kracht wurde denunziert, in der literarischen Öffentlichkeit brach ein Sturm der Entrüstung los. Autoren wie Elfriede Jelinek oder Daniel Kehlmann nahmen Kracht gegen den Vorwurf in Schutz, er habe durch die Hauptfigur des Romans - den deutschen Südsee-Aussteiger und Vegetarier August Engelhardt, der in der Ära des Wilhelminismus die Welt mit einem Kokosnuss-Projekt verbessern will, wie Hitler Vegetarier ist und dem Antisemitismus verfällt - den Kolonialismus verharmlosen und rechte Gesinnungen populär machen wollen.

+++ Ein Roman, ein Vegetarier und ein Hitler-Vergleich +++

In der Tat wirken Diez' Vorwürfe konstruiert. Man meint, er habe einen anderen Roman gelesen und bewusst eine Sensation herbeischreiben wollen. So reißt er etwa Zitate aus dem Zusammenhang, stellt damit falsche Bezüge her und wird dem hochliterarischen Ton des Romans, einer heiteren Satire über Weltverbesserer und Aussteiger, einer tragischen Groteske von schrulligem Glücksrittertum, falschen Propheten und Wirrköpfen, nicht gerecht. Kracht hat nicht nur eine irre Abenteuergeschichte geschrieben. Er hat sich literarisch auch an Thomas Mann, Hermann Hesse, an Joseph Conrad oder Herman Melville orientiert und schneidet dabei nicht schlecht ab. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beispielsweise heißt es über "Imperium", "so lustvoll las sich der Autor noch nie". Die "Süddeutsche Zeitung" nennt ihn "ein wundersam leichtes, hochartistisches Experiment", und "Die Zeit" bezeichnet ihn als "ganz und gar meisterhaften Kolonialroman". Was ist bloß in den "Spiegel" gefahren, eine derartig unfundierte Generalabrechnung mit einem Literaten zu drucken? Hat dort niemand vorher den Artikel gelesen? Und warum wurde hinterher darüber nicht gründlich diskutiert, sondern Krachts Verleger Helge Malchow gebeten, eine Widerrede zu schreiben?

Worum geht es aber in Christian Krachts "Imperium"? Sein Romanheld August Engelhardt, der die moderne Zivilisation hasst und die Menschheit durch die Ernährung von Kokosnüssen und Nacktheit retten und gottgleich machen will, hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich gelebt. Ebenso wie der Gesundheitsapostel, der in die ehemalige deutsche Kolonie Neupommern ausgewandert ist, existierten auch die Romanhelden Großgrundbesitzerin Queen Emma, Gouverneur Hahl oder die Engelhardt-Jünger, die unter ungeklärten Umständen in der Kokosnussplantage zu Tode kamen. Kracht lässt nun durch Vor- und Rückblenden das vermeintliche Paradies, in das sich Abenteurer und Heilssucher von kruden Esoterikfantasien und Weltverbesserungsvorschlägen treiben lassen, als Sammelbecken irrlichternder Macht- und Erlösungsträume am Ende des Wilhelminischen Reiches erscheinen und bedient sich dabei solcher Sätze wie: "Die ersten dunklen Wolken jedoch waren schon im Anmarsch, und zwar zügig, wie wir nun sehen werden." Engelhardt, der reif für die Insel ist, landet nicht im Garten Eden, sondern wird fanatisch, verblendet und wahnsinnig, nachdem er auf der Insel gelandet ist. "Engelhardt tat einen entscheidenden Schritt nach vorne auf den Strand - in Wirklichkeit war es ein Schritt zurück in die exquisiteste Barbarei."

Der eifernde Spinner, Nudist und asexuelle Sonderling, der sich ausschließlich mit Kokosnüssen (und Fingernägeln) ernährt - "es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob seine Diät oder aber seine zunehmende Einsamkeit als Ursache für die sich langsam anbahnende Seelenstörung anzusehen war" -, der von einer stets präsenten Stimme im Roman begleitet wird, erinnert damit an alle Propheten, die ihr "Heil" in der Ausschließlichkeit von Ideen, religiösem Eifer oder strikter Ablehnung alles Andersartigem sehen. Dies mit Hitler in Verbindung zu bringen, wie Diez es tut, ist schlichtweg Schwachsinn. Hitler hatte ein Millionenheer an Gefolgsleuten, als er die Macht übernahm. Engelhardt hat zunächst einen Anhänger namens Aeuckens ("Engelhardt bemerkt, wie ihn Aeuckens, wir bitten um Verzeihung, beäugt"), später noch den Musiker Max Lützow.

+++ Christian Kracht sagt Buchvorstellung ab +++

Nazistische Unterstellungen erscheinen absurd. Schließlich gab eszu Beginn des 20. Jahrhunderts viel Sprengstoff zwischen Kolonialherren und Einheimischen, Händlern und Gouverneuren, Verwaltern und Pflanzern. Kracht beschreibt das in schönen Naturbildern, atmosphärisch dicht - etwa den Stich einer Mücke, die Malaria überträgt, einen Sturm oder Ereignisse im Ort - und in kunstvoller Sprache.

Weder zwischenmenschlich noch mit seinen Ideen reüssiert Engelhardt. Die Geschichte des Aussteigers erinnert auch an Bhagwan-Jünger und übrig gebliebene Hippies, deren Träume häufig in Schmutz und Armut endeten.Romantik kann gefährlich sein.

Christian Kracht, der Kuriositäten sammelt, der Reiseberichte aus den exotischsten Gegenden der Welt geschrieben hat, der eine deutschsprachige Literaturzeitschrift in Kathmandu hergestellt hat, vielleicht, um von ganz oben auf die Welt zu schauen, hat einen seltenen, feinen Humor, den Anhänger des brüllend Komischen wohl nicht erkennen. "Ich begreife meine Werke als humoristisch", hat er einmal gesagt. "Ich schreibe immer moralische Bücher. Komischerweise versteht man das nicht."

Christian Kracht: "Imperium" Kiepenheuer & Witsch, 242 Seiten, 18,99 Euro