Jussi Adler-Olsens Kriminalromane sind Verkaufsschlager. Jetzt ist “Das Alphabethaus“ auf Deutsch erschienen, sein wuchtiges Debüt von 1997.

Man schreibt den 11. Januar 1944, als die beiden Royal-Air-Force-Piloten Bryan Young und James Teasdale zu einem Kampfeinsatz aufbrechen. Sie sind müde, der Weihnachtsurlaub wurde ihnen gekürzt, das Ziel des Bombergeschwaders, dem sie angehören, sind Flugzeugfabriken in Deutschland. Young und Teasdale erhalten einen Sonderauftrag, sie sollen sich vom Geschwader absetzen, die Gegend südlich von Dresden fotografieren und kartografieren. Auf sechs Stunden ist der Einsatz terminiert, für Bryan und James soll er ein Leben lang dauern.

Was inhaltlich anmutet wie eine Weltkrieg-II-Schmonzette, ist keine. Der Roman des dänischen Bestsellerautors Jussi Adler-Olsen erzählt vielmehr die überaus dramatische Geschichte einer Freundschaft in den Zeiten des Krieges und in den Jahren danach. "Das Alphabethaus" ist ein Thriller, der unter die Haut geht.

Und es ist Adler-Olsens erster Roman. Bereits 1997 in Dänemark und einigen anderen Ländern erschienen, hat sich der deutsche Verlag nach den Bestsellern "Erbarmen", "Schändung" und "Erlösung" entschlossen, auch dieses Buch auf den deutschen Markt zu werfen, was wenig überrascht. Mit erwartbarem, wenngleich fulminantem Erfolg: Gleich in der zweiten Woche steht der Titel auf Platz eins der Bestsellerlisten von "Spiegel" und "Focus", gleich drei Romane Adler-Olsens sind unter den ersten zehn platziert.

"Das Alphabethaus" ist weit mehr als das literarische Fallobst eines Bestsellerautors. Adler-Olsen, Sohn eines Psychiaters, hat eine außerordentliche Geschichte aufgeschrieben, eine außerordentlich spannende zudem: Während ihres Kampfeinsatzes werden die britischen Piloten über Deutschland abgeschossen. Beide überleben, verletzt zwar, aber bewegungsfähig. Bei eisigen Temperaturen schlagen sie sich bis zu einer Bahnlinie durch, wo sie sich Rettung erhoffen. Sie springen auf einen Zug, der aus dem Osten kommend schwer verletzte SS-Offiziere gen Westen transportiert. Es gelingt ihnen, zwei auf der Reise Sterbenden die Papiere zu entwenden und so in deren Identität zu schlüpfen. Das Ziel des Transporters kennen Bryan und James nicht: In einer Nervenheilanstalt im Schwarzwald, nördlich von Freiburg, soll ihre Flucht enden. Rettung sieht anders aus.

Um nicht als Simulanten entlarvt zu werden stellen sich Bryan und James den Ärzten gegenüber stumm, vor experimentellen Behandlungen schützt es sie nicht. Alle Kriegsversehrten, Versuchsobjekte an Körper und Geist, sind diesen Therapien unterworfen - Elektroschocks, zweifelhafte Medikationen, die dem Körper Wasser entziehen. Die Patienten erhalten eine Identifikationsnummer, bestehend aus Buchstaben und Zahlen, weshalb die Anstalt das Alphabethaus genannt wird.

Etwa die Hälfte der Geschichte spielt in diesem Haus. Es sind vor allem diese Bilder, die Adler-Olsen für jene Zustände dort erfindet, die im Gedächtnis bleiben, es sind keine schönen Bilder, sondern solche des Schreckens. Was Bryan und James anfangs nicht wissen: Es gibt weitere Simulanten auf der Station, hochrangige SS-Offiziere, die ihr eigenes Spiel spielen.

Als Bryan, der ein wenig Deutsch spricht, schließlich die Flucht gelingt, beginnt für James die wirkliche Tortur. Doch davon ahnt Bryan nichts, ihm glückt die Rückkehr nach England. Wo sich James aufhält, das weiß er nicht, aller von ihm angestellten Recherchen zum Trotz. Erst Anfang der 70er-Jahre erhält er einen Hinweis auf den Verbleib des Freundes. James scheint den SS-Offizieren von damals, mittlerweile sind alle Freiburger Honoratioren, ausgeliefert zu sein. Noch immer spricht er nicht, doch es reift ein Plan in ihm. Ein über Jahrzehnte hinweg entwickelter, der langsam Gestalt annimmt.

Die Erfolgsgeschichte Jussi Adler-Olsens setzt auch "Das Alphabethaus" fort. Ein starker Roman, ein wuchtiger zudem, von kurzen Ausflügen ins Klischeehafte abgesehen. Und Ende August erscheint der vierte Fall für Sonderermittler Carl Mørck, "Verachtung". Der nächste Bestseller des 61 Jahre alten Dänen ist garantiert.

Jussi Adler-Olsen: "Das Alphabethaus". Deutsch von Hannes Thiess und Marieke Heimburger, dtv premium, 592 Seiten, 15,90 Euro