Nächste Woche kommt Helmut Dietls “Zettl“ in die Kinos - eine Komödie mit Abitur, für die Benjamin von Stuckrad-Barre am Drehbuch mitschrieb.

ICE 717, Wagen 37. Genießen, das sei eigentlich doch ein ekliges Wort, sinniert Benjamin von Stuckrad-Barre (BvSB) beim Studieren der Erste-Klasse-Teebecher-Beschriftung im ICE von Hamburg nach Berlin. So in etwa darf man sie sich also vorstellen, die sechs Jahre, in denen Helmut Dietl (DER Helmut Dietl, der mit Patrick Süskind als Koautor, mit "Monaco Franze", "Kir Royal", "Rossini" und "Schtonk!") und BvSB das Buch für den neuen Helmut-Dietl-Film "Zettl" modelliert haben. Pedantisches Drehen und Wenden, bis es passt, immer wochentags von Punkt 10 bis 14 und 16 bis 19 Uhr. Preußisch halt.

Er sei in der extra angemieteten Wohnung, wo die beiden sich wegschlossen, Dietls Pingpongpartner gewesen. "Das alles ist in ihm drin, und er braucht jemanden, der ihm behilflich ist, diese Denkprozesse rauszuholen, im Gespräch. Der da ist und Freude daran hat, über ein einziges Wort anderthalb Tage zu streiten, die Tür zuzuknallen, sich zu versöhnen und am nächsten Tag wieder damit anzukommen. Diese Versessenheit mit Sprache, die teilen wir."

Seine Fahrt von Berlin nach Hamburg am Morgen hatte sich BvSB für ein anderes Interview mit zwei Society-Journalistinnen geteilt. Und, wie waren die so? Klassische Interview-Traumfrage seinerseits, funktioniert fast so gut wie "Salziger oder süßer Snack?" neulich bei Hans-Olaf Henkel. "Die hatten wahnsinnig wenig Fragen und irre gute Laune." Hätte dieser Moment eine Tonspur, wäre leises Kichern der Business-Herren in den Nachbarsitzen zu hören.

Ein handverlesenes All-Star-Ensemble, vom Burgtheater-Alphatier Gert Voss über Senta Berger und Götz George bis zur RTL-"Frauenknast"-Diva Katy Karrenbauer, für das andere Filmemacher kleinere Körperverletzungen begehen würden, und viele raffiniert komponierte Szenen. Mit einem tragisch versoffenen Bundeskanzler, einem, sagen wir: teilweise männlichen Berliner Bürgermeister und einer Promi-Konkubine (Karoline Herfurth), die so niedlich ist, dass man sie auf ein Frühstück zu Tiffany einladen möchte.

Aber deswegen auch ein toller Film, der hält, was Dietls Renommee verspricht? Das war die Befürchtung, bevor das Licht im Kino ausging und "Zettl" begann. Und die sich während der meisten seiner 100 Minuten nicht bestätigte, weil Dietl seine Triple-A-Opfer so charmant mit dem Florett tranchiert, dass man die Keule erst später spürt.

Dietl, Bilderbuch-Münchner der alten Schule, in der man noch ungeohrfeigt "Mei, die Hasn ..." seufzen konnte, ist einer dieser immer rareren Film-Wahnsinnigen, die so detailverliebt sind, dass sogar in der albernen Hemdkragenform des Schweizer Medienmoguls Urs Doucier (Ulrich Tukur) eine Pointe lauert. Allein der Name des Titelhelden: Max Zettl. Anfangs nur Promi-Chauffeur, aber scharf auf den Chefredakteursposten bei Berlins nächstem großen Mediending. Shakespeares "Sommernachtstraum"-Handwerker steckt da drin, der den Löwen auch noch spielen mag, Arno Schmidts verzettelter Träumer, vielleicht auch eine Anspielung auf Dietls Nachnamen? Vielleicht auch nicht, das ist ja das Tolle, wenn einer wie Dietl sich vornimmt, wieder einen Film zu drehen. Dann muss nicht alles wirklich sein, nur wahr. Ein feiner Unterschied. "Ich hab mich einfach auf die Komödie gefreut und die Knallcharge in schnellem Schwyzerdütsch gespielt", sagt Tukur zu seiner Dietl-Premiere, "sonst habe ich ja eher schwere historische Stoffe zu bearbeiten. Wenn er einen fragt, ob man Lust hat, bei dieser ,Kir Royal'-Variation dabei zu sein, macht man das natürlich."

"Ich hab ja keinen Führerschein, aber das war so, als wenn ich bei Sebastian Vettel Fahrstunden gehabt hätte", erinnert sich BvSB. "Ich wusste die ganze Zeit, auch wenn es wahnsinnig anstrengend war: Das ist die schönste Zeit meines Lebens. So. Mehr werde ich nie lernen können, für alles. Dieser Gesprächspartner über die echt großen Fragen: Wie geht man mit Frauen um? Was muss man lesen? Aus welchem Material sollten Pullover sein?" Eine "Zettl"-Fortsetzung sei in Arbeit.

Könnt ois scho sei. Dietl, für seine Bewunderer eine Mischung aus Billy Wilder, Ernst Lubitsch und Woody Allen, dreht eine gezwirbelte Parodie auf die dröhnend leere Mitte von Berlin-Mitte, über die Medien- und Politiker-Mischpoke im provinziellen Arschloch-Biotop der Hauptstadt, in dem Gestalten wie Conny Scheffer (Harald Schmidt mit schlimmer Halbglatze) durchs Bild schleimen. Der schwäbelnde Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, der sich von Zettl eine Lotusblüte seiner Wahl - "Hanoi, Fräulein Suzy" - aus dem China Club aufs Zimmer liefern lässt und am Morgen danach bigott den Bach-Choral "Was Gott tut, das ist wohlgetan" auf der Heimorgel zurechtfummelt. Doucier will natürlich einen Berliner "New Yorker" für sein Geld, bekommt aber doch nur eine grobklumpige Boulevard-Soße zusammengerührt, samt gepiercter Was-mit-Medien-Praktikantin.

Aber: Dafür Baby Schimmerlos, den legendär halbseidenen Klatschreporter aus München, über den Weißwurst-Äquator zu exportieren, ließ sich leider nicht einrichten, weil Franz Xaver Kroetz keine Lust hatte, sich als alter Krauter im Klischee-Porsche mit Zubehör-Blondine lächerlich zu machen. Also durfte Michael "Bully" Herbig ran, in einer Charakterrolle, die nichts weniger hat als eben das und für die er von Tukur gelobt wird: "Herbig hat eine große Eleganz in seinem Spiel."

Bullys Zettl sagt einmal: "Das Leben schreibt die linkesten Kisten." Doch Dietl ist auch wirklich nicht schlecht darin. Und da dieses Berlin nur ein unabgeschlossener Käfig voller Narren ist, würzt er seine Gestalten, wie es so seine Art ist, mit Dialekten aus fast allen Provinzen, um klarzumachen, dass im dicken B, ungeniert und fern der Heimat, jeder nur das eine will, für sich das meiste vom Kuchen nämlich. Bis entweder einer Kanzler ist oder tot oder beides oder die Wahrheit so absurd ist, dass man sie tatsächlich abgekauft bekommt, am besten buchstäblich.

"Dieser Film tut dem Land gut, glaub ich. Soll'n die Leute den seh'n", meint BvSB, bevor wir uns fragen, was genau "Zettl" wohl ist. Satire, Farce, Tragödie mit zu vielen Lachern, Komödie? "Ich glaub, Komödie ist ein gutes Wort dafür, das in Deutschland allerdings sehr missbräuchlich gebraucht wird. Was hier so alles Komödie genannt wird", hier die drei berühmten Dietl-Punkte als Denklücke, "man nennt es wohl am besten Helmut-Dietl-Film." Komödie mit Abitur? "Vielleicht sogar mit falschem Doktortitel."

Womit wir bei den echten politischen Höhepunkten der letzten Wochen wären. Viel Freude hätte er daran gehabt, meint der Drehbuch-Debütant BvSB. "Es ging los mit Staffel 2 von "Gutti", die war noch besser als die erste. Die indische Augenärztin, genial! In Kanada das Zeug faseln, in Brüssel zuständig sein für die Wahrung von Urheberrechten - also, wirklich super! Und dann beim Seehofer im Büro. Toller Cliffhanger für Staffel 3." Der ICE nähert sich Berlin Hauptbahnhof und damit auch Bellevue. Ähnlich süffiges Hauptstadt-Thema, wenn auch mit Hannover-Aroma. "Jetzt haben wir ein geistiges Klima, in das der Film gut passt, ohne dass jemand sagt, so ist das doch gar nicht. Und das mit Wulff wird auch immer besser. Alles daran ist gut. Bettina Wulff ist fantastisch, und der Glaeseker, der wäre schon überbesetzt!"

Spandau ist durch, auf der Zielgeraden verrät BvSB noch ein kleines Betriebsgeheimnis: Neulich hätte sich der Helmut mit dem Galeristen von Jonathan Meese getroffen, und als ihm ein Meese-Bild gefallen hat, bekam er ein mephistophelisches Sonder-Angebot. Falls "Zettl" mehr als eine Million Zuschauer hat, kriegt Dietl das Bild für 10 000 Euro. Werden es weniger, ist es kostenfrei. "Die Kugel ist aus dem Lauf", hieß es damals bei "Rossini".

"Zettl" läuft am 2. Februar in den Kinos an.