Zwei Generationen Rock: Heute erscheinen die starken neuen Alben der beiden Hamburger Bands Sport und Vierkanttretlager.

Hamburg. Um das Innere glaubwürdig nach außen zu tragen, so schien es, benötigten Musiker in den vergangenen Jahren zwingend eine akustische Gitarre. Das zart Gezupfte des Singer-Songwriters, das weich Klagende des Folkkünstlers schien in unseren fragilen Zeiten wie gemacht, um Krisenzustände und Seelenpein angemessen in Klang zu betten. Doch die existenziellen Schwergewichte, die Liebe und der Tod, die Gewalt und die Hoffnung, drängen und ringen mitunter so heftig, dass sie nicht leisetretend verhandelt werden können. Dann bedarf es der elektrischen Gitarre, dem Strom fürs Leben.

Grenzen wollen mit Wums überschritten, Zweifel verzerrt intoniert werden. Dass das hervorragend funktioniert, zeigen zwei Platten aus Hamburg, die heute veröffentlicht werden. Der Rock, er ist ein probates Mittel, um Situationen an der Schwelle auszutarieren. Egal ob die Band gerade der Jugend entwachsen ist, wie Vierkanttretlager. Oder ob sich der Songschreiber bereits mit der Geburt der eigenen Kinder befasst, wie bei der Gruppe Sport.

"Der erste Text, der für die Platte entstand, handelt davon, bewusst eine Entscheidung zu treffen, die das eigene Leben stark verändert", erzählt Felix Müller von der Arbeit am vierten Sport-Album "Aus der Asche aus dem Staub". Müller ist kein Rocktier, sondern ein schmaler Typ, der sich in schlichter Eleganz kleidet. Pulli, Hemd, Jeans.

Der Sänger und Gitarrist beschloss vor mehr als zwei Jahren, mit seiner Freundin nach Berlin zu ziehen und dort eine Familie zu gründen, während der Rest der Band an der Elbe blieb. Ein eindeutiger Weg, der künstlerisch Ausdruck fand in der Nummer "Sattelt die Hühner, wir reiten nach El Paso". Treibend treten da die Gitarren in einen Dialog, während Müller das Hadern vor dem Entschluss schildert: "Kein Los vertreibt dich / Und kein Schicksal, das dich drängt". Das ist das Phlegma der Wohlstandsgesellschaft, in der das Streben nach Glück häufig genug in ein entschiedenes Vielleicht mündet, weil sich eventuell noch etwas Besseres findet.

Die innere Suche nach einem aufrichtigen, auch kritischen Leben, die Sport beschreibt, sie ist ein Luxus, der oftmals dem Westen vorbehalten ist. Im bewussten Kontrast dazu steht daher die Desert-Rock-Nummer "Eldorado ruft uns", die mit der Idee spielt, ganz real in eine (vermeintlich) bessere Welt zu fliehen. "Für viele Menschen ist es eine Notwendigkeit, woanders hinzugehen, etwa für jene, die sich von Afrika nach Europa aufmachen", sagt Müller.

Das Thema Veränderung durchzieht die gesamte Platte. Um das Sujet auch im ganz großen Bogen zu behandeln, weiht der Musiker in dem Stück "In einem Land nach unserer Zeit" zum stampfenden Rockriff die menschliche Evolution dem Untergang. Der Song "Der Tod singt den Blues" befasst sich ebenfalls mit dem Ende des Daseins. Der Hörer begegnet dem personifizierten Tod und erfährt, wie sich die Wahrnehmung des Sterbens im medialen Zeitalter gewandelt hat.

Tonfragmente von 9/11 bis zum Columbine-Massaker lassen die apokalyptischen Meldungen aus den Nachrichten wie eine Flut des Flüchtigen erscheinen. Als positives Gegenmodell liefert Müller mit dem Lied "Trotzdem" ein eindeutiges Credo für das Weitermachen und proklamiert: "Wir lassen diese Welt so nicht allein."

Nicht nur inhaltlich bewegt sich das Sport-Album im spannungsreichen Wechselspiel. Auch musikalisch erkundet das Quartett die Facetten des Rock weiträumig. "Dünnes Eis" etwa, ein Duett mit Sängerin Masha Qrella, ist ein dunkles, sachtes Liebeslied. Es erzählt davon, dass der Mensch das Leben und seine Spuren immer erst rückblickend beurteilen kann. Für den ersten Schritt auf unsicheres Terrain braucht es Mut, immer wieder. Eine Einsicht, die vielleicht mit dem Alter kommt. Seit mehr als 15 Jahren gibt es die Gruppe Sport, seit 2008 ist Jan-Eike Michaelis als zusätzlicher Gitarrist dabei. Die Band ist eine Konstante im Hamburger Rock.

Neu auf die popkulturelle Bühne steigen hingegen die Jungs von Vierkanttretlager, die sich mit Rapper Casper als Gastsänger bereits vorab Popularitätspunkte sichern. Kantiger, nervöser, teils auch poppiger als ihre Kollegen von Sport präsentieren sie auf dem Debüt "Die Natur greift an" ihre Sicht auf das Leben. Und auch wenn sie das Abitur gerade erst in der Tasche haben, sind die Themen der neuen Indierock-Generation nicht minder gravierend.

Das Aufwachsen in der Husumer Provinz hallt nach ("Leichenschmaus in der Musterhaussiedlung"), während die Identität neu ausgelotet wird ("Hier im Vorhof meiner Seele / zupfe ich das Unkraut aus"). Dass mit 20 Jahren die Zukunft offensteht, führt bei Vierkanttretlager jedoch nicht dazu, künstlerisch in blinden Aktionismus zu verfallen. Stattdessen dichtet Sänger Max Richard Leßmann derart pointiert und poetisch, dass die innere Reife dem äußeren Alter überlegen scheint. Zwar vermitteln einige Songs durchaus Aufbruchstimmung (hitverdächtig: "Das neue Gold"). Doch Leßmann verhandelt in seinen Texten auch den Druck und das Damoklesschwert der Vergänglichkeit, das über einem Neustart schwebt.

Besonders deutlich wird dieser Ansatz in den letzten drei Titeln der Platte. Die Trilogie umreißt, wie der Mensch in die Welt geworfen wird und sich dort im Existieren übt. "Nur ohne Zwang lockt der Gewinn / gib deinem Leben keinen Sinn", resümiert Leßmann. Diese Philosophie erinnert an die große Hamburger Rockband Tocotronic, die auf ihrem jüngsten Album "Schall & Wahn" proklamiert: "Im Zweifel für den Zweifel / Und gegen allen Zwang." Das ist die gleiche Band, die bereits 1995 feststellte: "Es ist einfach Rockmusik." Stimmt.

Sport: Aus der Asche aus dem Staub (Strangeways), live: 22.3., Molotow, Eintritt: 10 Euro (Vvk.) Vierkanttretlager: Die Natur greift an (Unter Schafen Records), Releasekonzert: heute, 21.00, Pony Bar, Allende-Platz 1, Eintritt frei