Das Stummfilmdrama “The Artist“ von Michel Hazanavicius ist der große Gewinner bei den Golden Globes. Der Film taucht in die 20er-Jahre ein.

Manchmal geschehen auch in Hollywood noch Wunder - dies ist eines davon. Da träumt also ein französischer Regisseur, der zuvor Agentenparodien gedreht hat, jahrelang laut vor sich hin: "Ich möchte einen Stummfilm machen." Keiner nimmt ihn für voll, niemand macht einen Cent für die Schnapsidee locker - bis sie schließlich dem Produzenten Thomas Langmann zu Ohren kommt. Der Traum wird zum Projekt. Rund acht Jahre später hat Michel Hazanavicius den nach Meinung der meisten Filmkritiker besten Film des Jahres gedreht - dreifacher Sieger bei den Sonntagnacht verliehenen Golden Globes und Anwärter auf diverse Oscars.

So einfach geht das, denkt man sich. Aber so einfach war es natürlich nicht. Es war im Gegenteil ganz schön mutig. Verrückt geradezu. In Zeiten des 3-D-Kinos und der Spezialeffekte, in der Avatare und Raumschiffe, bestenfalls noch Teenagerlieben zwischen Vampiren Menschenmassen ins Kino locken, wagt "The Artist" das Einzigartige. Verzichtet auf Farbe und gesprochene Dialoge. Erzählt von einer Ära, die längst nicht mehr existiert und den meisten Kinogängern fremd ist wie ein alter Hindu-Brauch.

"The Artist" taucht ein ins Hollywood der goldenen 20er-Jahre. Die Karriere des Stummfilmstars George Valentin (Jean Dujardin) befindet sich dank des neu eingeführten Tonfilms im Niedergang, gleichzeitig mausert sich ein Starlet aus der dritten Reihe, das auf den schönen Namen Peppy Miller hört (Hazanavicius' Lebensgefährtin Bérénice Bejo), zu Hollywoods neuem Sweetheart. Von Aufstieg und Absturz, vor allem aber von der Liebe zwischen diesen beiden Schauspielern erzählt der Film. Darüber hinaus ist er eine Verbeugung vor den Werken der frühen Regie-Heroen Murnau und Lang, Hitchcock und Lubitsch, Wilder und Ford.

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Wer das Kino mit Haut und Haaren liebt, also auch das ganze Spektakel, das in seinem Namen veranstaltet wird, und die Nostalgie, die untrennbar mit ihm verbunden ist, der kommt bei "The Artist", der ab 26. Januar in den deutschen Kinos zu sehen ist, auf seine Kosten. Mit Liebe zum Detail und leichter Hand inszeniert, führt der Film den Beweis an, dass die rein filmische Bildkraft ausreicht, um den Zuschauer emotional zu packen. Hier gibt es ein anderes stummes Kino zu bewundern als das der Pantomime, der Verfolgungsjagden und Sahnetorten. Ein Stummfilm nämlich, der den Plot so eingängig und prägnant erzählt, dass es kaum Zwischentitel braucht, um der Handlung zu folgen. Das Schwarz-Weiß schimmert in weichen Kontrasten, ist mehr Erzähl- als bloßes Stilmittel: Der Held geht vom Licht in die Dunkelheit, die Heldin von der Dunkelheit ins Licht. Und irgendwo auf halber Strecke begegnen sie sich, verlieben sich.

"The Artist" heutzutage ins Kino zu schicken ist ein wenig so, als würde man einen Oldtimer in einem Formel-1-Rennen starten lassen. Eigentlich unmöglich, dass er es auf die Zielgerade schafft, mehr noch: dass er seine Verfolger scheinbar mühelos abhängt. Schon bei den letztjährigen Filmfestspielen von Cannes gewann Dujardin eine Palme als bester Darsteller, der Film schon jetzt mehr als 30 internationale Preise.

Einzig Alexander Paynes bewegende Verfilmung "The Descendants" (ebenfalls ab 26. Januar im Kino) konnte bei der Globes-Verleihung mithalten und gewann als bestes Drama, George Clooney in der Rolle eines trauernden Ehemanns als bester Hauptdarsteller. Umso weniger dürfte man bei der Oscar-Verleihung im Februar um beide Filme herumkommen.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich ganz auf ihre Geschichte verlassen. Sie wollen das Kino nicht neu erfinden, sondern besinnen sich im Gegenteil auf seine eigentlichen Stärken. Es sind große Themen - Ruhm und Angst und Niedergang beim einen, Trauer und Tod und Familie beim anderen -, die auf schnörkellose Weise erzählt werden, geradeaus ins Zuschauerherz. Man weiß in diesen Filmen nie, ob man lachen oder weinen soll, doch man kann immer wieder staunen.

Fürs Erste hilft es, wenn man einfach nur die Augen aufhält. Dann kann man zum Beispiel sehen, wie Regentropfen aufs Dach der Schauspielervilla prasseln, sie einhüllen wie in einen spinnwebenzarten Mantel. Einen Hund, Uggy, der mit seinem Herrchen durch dick und dünn geht. Oder einen minutenlangen Stepptanz, in dem die Hauptdarstellerin herumwirbelt wie ein besonders unbekümmertes Blatt im Wind, ihr Partner - mit herrlich verschmitztem Augenfunkeln und Menjoubärtchen - bewegt sich mit einer Leichtigkeit, wie Fred Astaire es vorgemacht hat. Dieser Tanz, wenn man so will, feiert die Geburt des Kinos, als es noch eine gewisse Kindlichkeit gab, Unbekümmertheit und Entdeckerfreude.

Augenzwinkernd zwar, aber doch mit dem nötigen Ernst haben sich die Macher freiwillig in ein Korsett begeben, um auszuprobieren, wie weit sie damit kommen. "The Artist" ist also genau die Sorte Film, die das Kino als populäre Kunstform immer wieder am Leben hält.