Sie stellen sich niedlich und ein bisschen dumm an und begeistern: Millionen Nutzer folgen im Internet dem Phänomen von Katzenvideos.

Hamburg. "Miau!" Weiche Pfötchen drücken auf Klaviertasten. Fellknäuel laufen gegen Türen. Pelzige Köpfchen stecken in Kartons fest. Katzenvideos sind im Internet seit Jahren ein plüschiger Renner. Die Frage ist nur: Warum?

Die beste Erklärung für dieses Phänomen liefert derzeit die englische Sprache. "Cute overload" heißt der Begriff (und eine Webseite). Auf Deutsch: Das ist so niedlich, dass es nicht mehr auszuhalten ist. Reizüberflutung an Drolligkeit. Und in unserer anonymen, komplizierten, postmodernen, technisierten Welt sind die possierlichen, wohlig schnurrenden Wesen wie eine lebende Heizung für unsere Seele. Sie sind wie die Schokolade, die zu süß ist, von der man aber nicht lassen kann - bis zum Zuckerschock. Wie sonst ließe sich erklären, dass der simple Suchbegriff "cat" auf dem Videokanal YouTube weit mehr als eine Million Ergebnisse liefert.

Wie wir nicht erst seit den Blondinenwitzen wissen, ist eine putzige Mieze auch gerne mal schlichtweg: dumm. Das vermindert die Attraktivität aber offensichtlich nicht im Geringsten. Hunderttausende erfreuen sich an Filmchen, die unter dem Schlagwort "dumme Katze" zu finden sind. Sie springen in die Wanne, nur um zu merken, dass es dort nass ist. Sie klemmen in Fenstern fest, rotieren an Ventilatoren, fallen hinter Sofa, und sie begreifen ihr Spiegelbild als Konkurrenz.

Die kanadische Werbeagentur John St. hat den Trend aufgegriffen und aus ihrem Hauptfeld, dem Advertising, kurzerhand Catvertising gemacht. Auch wenn es sich um eine Parodie handeln mag: Das Promotion-Video, das Kreativdirektoren und Texter an ihren Rechnern umgeben von flauschigen, maunzenden Statisten zeigt, könnte zukunftsweisend sein. Jason Last, Strategieplaner bei John St., sagt mit sehr ernster Miene voraus: "2015 machen Katzenvideos 90 Prozent der Inhalte im World Wide Web aus." Parallel zu seinen Worten ist eine Computergrafik zu sehen, in der eine Katze sowohl Pornografie in der Internetpopularität überholt als auch den schauspielernden Kater Charlie Sheen. Sehr überzeugend. "Fragen Sie sich, was Katzenvideos für Ihr Geschäft tun können." Mit dieser Aussage endet der Film der Werber.

Was aber tun, wenn gerade kein felliger Freund zur Hand ist, um die eigene Botschaft mit tatzenfesten Argumenten zu unterstreichen? Die Mitglieder der Wiener Indierock-Band Kreisky haben sich einfach spitze Ohren und lange Schwänze angeheftet und für den Videoclip zu ihrem Song "Bitte Bitte" die angesagtesten Katzenvideos nachgespielt. Einer jagt die Wäsche, die in der Maschine schleudert. Ein anderer hängt verloren am Baum. Beeindruckend, wie viel Tier im Mann steckt. Auch das abseitige Subgenre "Kitler" (Katzen, die wie Hitler aussehen) wird bei dieser Persiflage aus Österreich nicht ausgespart.

Wer nun aber denkt, Katzenvideos seien eine Zeitgeist-Erfindung, der hat weit gefehlt. Ein knapp halbminütiger Schwarz-Weiß-Streifen zeigt zwei Katzen, die in einem Miniaturring miteinander boxen. Das Material stammt aus dem Jahr 1894 und entstand im ersten kommerziellen Filmstudio der Welt, dem Black Maria im US-Bundesstaat New Jersey, wo die Edison Manufacturing Company zahlreiche Unterhaltungskünstler aufnahm. So trat auch ein gewisser Professor Henry Welton mit seinen "Boxing Cats" vor die Kamera. Für Fans des sogenannten "Kitty Content" ist das kurze historische Dokument ein Beweis dafür, dass das Betrachten von Katzenvideos ein menschliches Grundbedürfnis ist.

Doch Obacht: Die Wettbewerber schlafen nicht. Unter dem Titel "Lovely Owl" kursiert im Internet ein Filmchen, das eine winzige, dösende Eule zeigt, die sich voller Wonne über den kleinen Kopf streicheln lässt. "Uhhh!"