Sie werden sich bejubeln lassen, für jeden ihrer 100 000 Schritte. Von denen sich die letzten 30 000 anfühlen, als würden die Schienbeine zersägt. Ohne Narkose. Manche werden es kurz nach dem Eppendorfer Baum anfangen zu hassen, die entspannten Gesichter der Stehenden, die Partylaune, den Lärm, der an den Nerven zerrt wie Dornenschläge. "Gleich hast du's, nur noch zwokammafünf Kilometer, Tina", und "Nicht gehen, Otto, laufen!" Nur! Laufen?! Purer Zynismus von Spalierguckern, die Sonntags-Kuchen samt Prosecco genießen und nicht ahnen, dass die Rothenbaumchaussee ein böser, kaltherziger Killerberg mitten in Hamburg ist. Und doch das Vademecum, um sich zu bezwingen. Um etwas zu schaffen, was kein anderer für dich tun kann. Wer den Killerberg bei Kilometer 38 schafft, ist gefährlich. Er weiß, dass der Mensch nicht so schnell kaputt zu kriegen ist. Und wer das weiß, ist kein Typ mehr zum Herumschubsen.

Auf den letzten Metern werden sich alle Sehnen so zusammenziehen, dass der Körper einer verschmirgelten Wachsmarionette mit ungleich langen Fäden ähnelt. Der Kopf zu schwach, um mehr als nur auf den Asphalt zu sehen, der sich wie eine Hochhauswand mit Zähnen unter den Füßen aufzubäumen scheint. Nach dem Zieldurchlauf können die Marathoni(a)s die Treppen zur U-Bahn nur rückwärts heruntergehen, weil vorwärts nichts mehr mitmacht. Nicht die Knie, nicht die Hüfte, nicht das Hirn.

Verrückt, könnte man sagen. Wieso machen die das. Rennen stundenlang durch die Gegend. Leiden die gern? Laufen die vor was weg? Wollen die sich bewundern lassen, von den Pummel-Kollegen?

Wer niemals selber lief, denkt so etwas. Dass Laufen Weglaufen ist. Dabei ist es ein Nachlaufen, unterwegs findet man seine Seele. Seine Ängste. Und Stärken. Das Leiden macht auch keinen Spaß. Es ist nur nicht zu vermeiden, genauso wie im Leben; wer ständig fürchtet, zu leiden, wird niemals herausfinden, wer er sein könnte. Und was Ruhm und Ehre angeht: niemand trainiert ein Jahr lang, um sich für einen kurzen Montag im Büro behimmeln zu lassen. Aber was lohnt dann? Kathrine Switzer, die sich 1967 als erste Frau in den bis dato nur Männern erlaubten Marathon schlich, hat die vielleicht ehrlichste Antwort: "It's like being wild again."

25 Jahre Marathon in Hamburg So 25.4. ab 9.00, Streckenführung, Programm, Messe in Schuppen 52 (Busshuttle am Hauptbahnhof und Bahnhof Harburg), Australiastraße 52a; www.marathon-hamburg.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.