Auch wenn die Schweiz auf der Landkarte des internationalen Kriminalromans keine herausragende Position einnimmt, so besitzt sie doch eine kleine, gleichwohl feine Tradition. Friedrich Glauser und Friedrich Dürrenmatt sind zu nennen, in neuerer Zeit etwa Sam Jaun, Peter Zeindler, Roger Graf oder Hansjörg Schneider. Was diese Autoren eint? Sie alle stammen aus der deutschsprachigen Schweiz, im italienischen Sprachraum war das Genre des Kriminalromans bislang kaum vertreten.

Mit Andrea Fazioli, Jahrgang 1978, hat sich das geändert. Fazioli arbeitet für den italienischsprachigen Schweizer Rundfunk und lebt in Bellinzona, der Hauptstadt des Kantons Tessin. Dort hat er auch seinen Kriminalroman "Am Grund des Sees" angesiedelt - die Geschichte eines ökologischen und baupolitischen Skandals.

An die 20 Jahre ist es her, dass ein Bergdorf gegen die Proteste der Bevölkerung geflutet wurde, um dort einen Stausee entstehen zu lassen. Seit jenem Tag ist Elia Continis Vater verschwunden, der mit seiner Familie in einem Haus in jenem Tal wohnte, das später geflutet wurde. Beweise dafür, dass er ertrunken ist, gibt es nicht, auch nicht für das Gerücht, der Vater sei ermordet und im Haus versteckt worden, bis das Wasser kam. Contini, damals noch ein Knabe, versuchte, die Geschehnisse zu vergessen. Als der Stausee nun erweitert werden soll, erwacht die Vergangenheit wieder. Contini, der als Privatdetektiv arbeitet und als so eigenbrötlerischer wie verschlossener Typ gilt, sieht sich mit den alten Geschichten aufs Neue konfrontiert - und muss erfahren, dass vor allem ökonomische Interessen die Debatte um den Stausee bestimmen.

Als eines Tages der Bürgermeister des Bergdorfes sowie kurze Zeit später auch der Stauseeingenieur das Zeitliche segnen, gerät Contini in das Fadenkreuz der polizeilichen Ermittler.

Andrea Fazioli lässt seine Leser von Beginn an nicht im Unklaren darüber, wer nun Bürgermeister wie Ingenieur getötet hat. Gleichwohl gelingt es ihm in diesem atmosphärisch stimmig entworfenen Kriminalroman, die Spannung hochzuhalten, indem er die Schlinge des Bedrohlichen ganz langsam enger zieht um den mürrischen Contini. Dramaturgisch, erzählerisch und stilistisch ist Fazioli ein äußerst lesenswerter Kriminalroman geglückt.

Vielleicht ist er der Anfang einer kleinen kriminalliterarischen Tradition auch für die italienischsprachige Schweiz.

Andrea Fazioli: Am Grund des Sees. Deutsch von Barbara Schaden. Btb, 352 Seiten, 9 Euro