Er hielt das Ideal des uneigennützigen Helfens hoch - und wurde kritisiert, weil er ein weißer Wohltäter im “unvernünftigen“ Afrika sei.

Auch Kultfiguren unterliegen dem Wandel. Albert Schweitzer (1875-1965) galt schon in der Weimarer Zeit als vorbildlicher Menschenfreund, der sich aus "Ehrfurcht vor dem Leben" den Menschen eines dunklen, gefährlichen Kontinents verschrieb. Nach Nazizeit und Zweitem Weltkrieg gehörte er zu den wenigen "guten" Deutschen, denen man einen Friedensnobelpreis verleihen konnte (1953).

Später bröckelte das Schweitzer-Monument. Gavin Millars neuer, aufwendiger Kinofilm "Albert Schweitzer - Ein Leben für Afrika", der heute anläuft, will jetzt wieder an einen ungewöhnlich tatkräftigen und willensstarken Mann erinnern. Aber Millar weiß auch, dass Afrika längst selbst Kultfiguren liefert - etwa Nelson Mandela.

Schweitzer repräsentierte eine Art von Altruismus, die heute selten geworden ist. Er war promovierter Theologe und Philosoph, anerkannter Orgelvirtuose und Bach-Experte - und gab all das auf, weil er sein Leben ab seinem 30. Geburtstag 1905 dem "Dienst am Menschen" widmen wollte. Als streitbarer Theologe durfte er nicht Missionar werden, also studierte er auch noch Medizin; 1913 konnte er endlich aus eigener Kraft im damaligen Französisch-Äquatorialafrika, dem heutigen Gabun, sein Urwaldkrankenhaus Lambarene gründen. Um Spenden für seine Arbeit in dem schwülheißen Malariagebiet zu sammeln, hielt Schweitzer bis zu seinem Tod immer wieder in Europa Vorträge und gab Orgelkonzerte.

Zwar übte Schweitzer heftige Kritik an den Kolonialmächten. Aber als sich die afrikanischen Länder in den 1950er- und 1960er-Jahren vom Kolonialismus befreiten, geriet Schweitzer selbst in die Kritik. Die Rollenverteilung des weißen Wohltäters, der unvernünftige Schwarze auf den rechten Weg bringt, wollten Europas Dritte-Welt-Gruppen nicht mehr akzeptieren. Als Kind seiner Zeit begegnete Schweitzer den Afrikanern nicht auf Augenhöhe. Er beschäftigte auch keinen schwarzen Arzt.

Aber er hat trotzdem bis heute viele Menschen zum Engagement motiviert. So kompromisslos wie er verschreiben sich allerdings fast nur Ordensleute der Nächstenliebe. Etwa Mutter Teresa. Oder die Brüder der protestantischen Christusträger-Bruderschaft, die seit mehr als 20 Jahren in Kabul Kranke versorgen.

Schweitzer sei ihm "ein grandioses Vorbild", sagt Rupert Neudeck (70), Gründer des Notärzte-Komitees Cap Anamur und Leiter der Hilfsorganisation Grünhelme. Eine Professorenkarriere aufzugeben und in den Tropen Schwerstarbeit zu leisten, "das bringt heute kein Mensch aus dem Vollkasko-Europa fertig", sagt Neudeck. Auch die Vereinigung der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) betrachtet ihn "als einen unserer geistigen Väter", sagt Matthias Jochheim vom deutschen Zweig.

Häufig entdecken erfolgreiche Wirtschaftsführer erst im Ruhestand, dass es auch ein Gebot zur Nächstenliebe gibt - erst kommt die Gewinnbeteiligung, dann kommt Moral.

Aber der Vorwurf, die Menschen seien heute zu selbstsüchtig und ichbezogen, ist pures Gejammer. Künstler/innen wie Nena oder bekannte Sportler/innen wie Steffi Graf betätigen sich gern als Zugpferde für Hilfsorganisationen. Der Survival-Experte Rüdiger Nehberg müsste sich nicht für die Yanomami-Indianer einsetzen oder gegen die Beschneidung von Mädchen in Afrika zu Felde ziehen. Aber er tut es und erreicht damit mehr als jedes Buch.

Albert Schweitzer hat viele Nachfolger gefunden. Auch wenn nicht alle im Urwald Klavier spielen wie er.