Hauptfigur Jensen muss in Linus Reichlins Krimi “Der Assistent der Sterne“ lernen, dass es Dinge gibt, die sich nicht so einfach erklären lassen.

Hannes Jensen ist ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Kein Träumer, keiner, der sich aus dem Alltag herauswünscht in eine Welt, die dem Schein, nicht dem Sein unterworfen ist. Jensen war Inspektor bei der Polizei im belgischen Brügge, wohin es ihn, den Deutschen, der Liebe wegen verschlagen hatte. Doch das ist lange her, längst ist die Liebe fort und Jensen nicht mehr bei der Polizei - frühpensioniert auf eigenen Wunsch, da er sich, Mitte fünfzig und nach einer Erbschaft finanziell abgesichert, seiner großen Leidenschaft widmen will: der Physik.

Doch schon in Linus Reichlins wunderbarem Debüt "Die Sehnsucht der Atome", ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis, musste Jensen erfahren, dass es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die sich nicht so einfach den Gesetzen der Physik unterwerfen lassen. Und auch in "Der Assistent der Sterne", dem neuen Kriminalroman des Ben-Witter-Preisträgers Reichlin, ergeht es Jensen ähnlich.

Das Schicksal, wenn man es denn so nennen möchte, begegnet Jensen in Gestalt eines Afrikaners, der ihm prophezeit, er, Jensen, werde in naher Zukunft während einer Reise eine Frau treffen, von der er sich unbedingt fernhalten müsse. Es sei lebenswichtig für ihn. Reiner Zufall, denkt Jensen bei sich, dass er tags darauf nach Island zu reisen plant, zu einem Seminar für Hobbyphysiker, bei dem sich auch eine Frau angekündigt hat. Sie trägt allerdings einen anderen Namen als den, den ihm der Afrikaner genannt hat. Jensen macht sich also auf, reist nach Island - und lässt sich während des Seminars auf einen One-Night-Stand ein mit der ihm unbekannten Frau.

Was erst einmal folgenlos bleibt, außer dass Jensen das schlechte Gewissen plagt gegenüber seiner Freundin in Brügge, einer außergewöhnlich schönen, blinden Frau.

Reichlin, dem in Berlin lebenden Schweizer, gelingt es, aus dieser dramaturgischen Matrix eine Geschichte wachsen zu lassen, deren Handlung voller überraschender Wendungen steckt. Und in deren Fortgang sich der verzweifelt um logisches Denken bemühte Jensen immer tiefer in scheinbar schicksalhafte Strukturen verstrickt. Denn auch der besten Freundin seiner Geliebten ist etwas prophezeit worden: Ihre Tochter werde ermordet werden von einem Mann, der ein Mal am Hals trägt. Jensen stürzt diese Prophezeiung in tiefe Verwirrung - als Reminiszenz seiner isländischen Liebesnacht nämlich hat er eine Bisswunde zurückbehalten. Direkt am Hals...

Mit stilistischer Eleganz und erzählerischer Verve entfaltet Reichlin seine komplexe, Geschichte - und löst sie doch schlüssig auf.

Mit "Der Assistent der Sterne" jedenfalls schickt Linus Reichlin sich an, einen Platz in der ersten Reihe der deutschsprachigen Kriminalschriftsteller zu erobern.

Linus Reichlin: Der Assistent der Sterne. Verlag Galiani/Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten; 19,95 Euro